Heft 
(1897) 08
Seite
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Melier Land und Meer.

vorbei, auch in Italien selbst. Die letzten Ent­scheidungen, von denen Sie sprechen, liegen heut­zutage ganz wo anders, und es sind bloß ein paar Ihrer Zeitungen, die nicht müde werden, der Welt das Gegenteil Zu versichern. Alles bloße Nachklänge. Das moderne Leben räumt erbarmungslos mit all dem Ueberkommenen aus. Ob es glückt, ein Nil­reich aufzurichten, ob Japan ein England im Stillen Ozean wird, ob China mit seinen vierhundert Mil­lionen Einwohnern aus dem Schlaf aufwacht und, seine Hand erhebend, uns und der Welt zuruft: ,Hier bin ich', allem vorauf aber, ob sich der vierte Stand etabliert und stabiliert (denn darauf läuft doch in ihrem vernünftigen Kern die ganze Sache hinaus) das alles fällt ganz anders ins Gewicht als die Frahe ,Quirinal oder Vatikan'. Es hat sich überlebt. Und anstaunenswert ist nur das eine, daß es überhaupt noch so weiter geht. Das ist der Wunder größtes."

Und das sagen Sie, der Sie zeitweilig den Dingen so nahe gestanden?"

Weil ich ihnen so nahe gestanden."

-X-

Auch die beiden voranschreitenden Paare waren in lebhaftem Gespräch.

An dem schon in Dämmerung liegenden östlichen Horizont stiegen die Fabrikschornsteine von Spindlers- felde vor ihnen auf, und die Rauchfahnen zogen in langsamen: Zuge durch die Luft.

Was ist das?" fragte die Baronin, sich an Woldemar wendend.

Das ist Spindlersfelde."

Kenn' ich nicht."

Doch vielleicht, gnädigste Frau, wenn Sie hören, daß in eben diesem Spindlersfelde der für die weib­liche Welt so wichtige Spindler seine geheimnisvollen Künste treibt. Besser noch feine verschwiegenen. Denn unsre Damen bekennen sich nicht gern dazu."

So, der! Ja, dieser unser Wohlthäter, den wir Sie haben ganz recht in unser«: Undank so gern unterschlagen. Aber dies Unterschlagen hat doch auch wieder sein Verzeihliches. Wir thun jetzt so vieles, was wir, nach einer alten Anschauung, eigentlich nicht thun sollten, weil es nicht recht mehr für uns paßt. Es ist nicht paffend, auf einem Pferdebahnperron Zu stehen, zwischen einem Schaffner und einer Kiepen­frau, und es ist noch weniger paffend, in einem Fünfzigpfennigbazar allerhand Einkäufe Zu machen und an der sich dabei anfdrängenden Frage: ,Wo­durch ermöglichen Sie diese Preise?' still vorbeizu­gehen. Unser Freund in Spindlersfelde da drüben degradiert uns vielleicht auch durch das, was er für uns thut. Armgard, wie denken Sie darüber?"

Ganz wie Sie, Baronin."

Und Melusine?"

Diese gab kopfschüttelnd die Frage weiter und drang darauf, daß die beiden älteren Herren, die mittlerweile herangekommen waren, den Ausschlag geben sollten. Aber der alte Graf wollte davon nichts wissen.Das find Doktorfragen. Auf derlei Dinge lass' ich mich nicht ein. Ich schlage vor, wir machen lieber Kehrt und suchen uns im ,Eier­

häuschen' einen hübschen Platz, von dem aus wir das Leben auf dem Fluß beobachten und hoffentlich auch den Sonnenuntergang gut sehen können."

-X-

Ziemlich um dieselbe Stunde, wo die Barbyschen und Berchtesgadenschen Herrschaften ihren Spazier­gang auf Spindlersfelde Zu machten, erschien unser Freund Mr. Robinson, von seinen: Stallgebäude her, in Front der Lennestraße, sah erst gewohnheits­mäßig nach dem Wetter und ging dann quer durch den Tiergarten auf das Kronprinzenufer Zn, wo die Jmmes ihn bereits erwarteten.

Frau Imme, die, wie die meisten kinderlosen Frauen (und Frauen mit Sappenrbartmännern sind fast immer kinderlos), einen großen Wirtschafts- und Sauberkeitssinn hatte, hatte zu Mr. Robinsons Em­pfang alles in die schönste Ordnung gebracht, um so mehr, als sie wußte, daß ihr Gast, als ein ver­wöhnter Engländer, immer der Neigung nachgab, alles Deutsche, wenn auch nur andeutungsweise, zu bemängeln. Es lag ihr daran, ihn fühlen zu lassen, daß man's hier auch verstehe. So war denn von ihr nicht bloß eine wundervolle Kaffeeserviette, son­dern auch eine silberne Zuckerdose mit Streußel- knchentellern links und rechts ausgestellt worden. Frau Imme konnte das alles und noch mehr in­folge der bevorzugten Stellung, die sie von langer Zeit her bei den Barbys einnahm, zu denen sie schon als fünfzehnjähriges junges Ding gekommen und in deren Dienst sie bis zu ihrer Verheiratung geblieben war. Auch jetzt noch hingen beide Damen an ihr, und mit Hilfe Lizzis, die, so diskret sie war, doch gerne plauderte, war Frau Imme jederzeit über alles unterrichtet, was in: Vorderhause vorging. Daß der Rittmeister sich für die Damen interessierte, wußte sie natürlich wie jeder andre, nur nicht auch darin wie jeder andre, für welche.

Ja, für welche?

Das war die große Frage, selbst für Air. Robinson, der regelmäßig, wenn er die Jmmes sah, sich danach erkundigte. Dazu kam es denn auch heute wieder und zwar sehr bald nach seinem Eintreffen.

Eine große Familientasfe mit einem in Front eines Tempel seinen Bogen spannenden Amor war vor ihn hingestellt worden, und als er dem Streußelkuchen (für den er eine so große Vorliebe hatte, daß er regelmäßig erklärte, so was gäb' es in den vereinigten drei Königreichen nicht) als er den: Streußel liebevoll und doch auch wieder maßvoll zugesprochen hatte, betrachtete er das Bild auf der großen Taffe, zeigte, was bei seiner Augen­beschaffenheit etwas Komisches hatte, schelmisch lächelnd auf den bogenspannenden Amor und sagte:Hier hinten ein Tempel und hier vorn ein Lorbeer. Und hier tlli8 little kellovv rvllll lli.8 arrorv. Ich möchte mir die Frage gestatten Sie find eine so kluge Frau, Frau Imme: wird er den Pfeil fliegen lassen oder nicht, und wenn er den Pfeil fliegen läßt, ist es die Priesterin, die hier neben dem Lor­beer steht, oder ist es eine andre?"

Ja, Mr. Robinson," sagte Frau Imme,darauf ist schwer Zu antworten. Denn erstens wissen wir