Heft 
(1897) 08
Seite
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Stechlin.

nicht, was er überhaupt vorhat, und dann wissen wir auch nicht: wer ist die Priesterin? Ist die Com- tesse die Priesterin, oder ist die Gräfin die Priesterin? Ich glaube, wer schon verheiratet war, kann wohl eigentlich nicht Priesterin sein."

Ach," sagte Imme, in dem sich, was gelegent­lich vorkam, der naturwüchsige Mecklenburger regte, sein kann alles. Ueber so was wächst Gras. Ich glaube, es is die Gräfin."

Robinson nickte.Glaub' ich auch, rlmä nlmt's tük reasou, äoar Mrs. Jinme? Weil Witib vor Jungfrau geht und meist einen Schritt vorauf hat. Ich weiß wohl, es ist immer viel die Rede von virginit^, aber vviäo^v ist mehr als virgin."

Frau Imme, die nur halb verstanden hatte, verstand doch genug, um Zu kichern, was sie übrigens sittsam mit der Bemerkung begleitete, sie habe so was von Mr. Robinson nicht geglaubt.

Robinson nahm es als Huldigung und trat, nachdem er sich mit Erlaubnis derLady" ein kurzes Pfeifchen mit türkischem Tabak angesteckt hatte, au ein Fensterchen, in dessen mit einer kleinen Laubsäge gemachten Blumenkasten rote Verbenen blühten, und sagte, während er auf den Hof mit seinen drei Akazien­bäumen heruuterblickte:Wer is denn der hübsche Junge da, der da mit seinem boop spielt? Hier sagen sie Reisen."

Das is ja Hartwigs Rudolf," sagte Frau Imme.Ja, der Junge hat viel Chic. Und wie er da mit dem Reisen spielt und die Hedwig immer hinter ihm her, wiewohl sie doch beinahe seine Mutter sein könnte. Na, ich freue mich immer, wenn ich ausgelassene Menschen sehe, und wenn Hartwig kommt ich wundere mich bloß, daß er noch nicht da ist, da können Sie ihm ja sagen, wie hübsch Sie die verwöhnte kleine Range finden. Das wird ihn freuen; er ist furchtbar eitel. Alle Portiers­leute sind eitel. Aber das muß wahr sein, es ist ein reizender Junge."

Während sie noch so sprachen, erschien Hartwig, aus den Imme, skatdurstig, schon seit einer Viertel­stunde gewartet hatte, und keine drei Minuten mehr, so war auch Hedwig da, die sich bis kurz vorher mit ihrem kleinen Cousin Rudolf in dem Hof unten abgeäschert hatte. Beide wurden mit gleicher Herz­lichkeit empfangen, Hartwig, weil nach seinem Er­scheinen die Skatpartie beginnen konnte, Hedwig, weil Frau Imme nun gute Gesellschaft hatte. Denn Hedwig konnte wundervoll erzählen und brachte jedesmal Neuigkeiten mit. Sie mochte vierundzwanzig sein, war immer sehr sauber gekleidet und von heiter-übermütigem Gesichtsausdruck. Dazu krauses, kastanienbraunes 5>ar. Es traf sich, daß sie mal wieder außer Dienst war.

Nun, das ist recht, Hedwig, daß du kommst," sagte Frau Imme.Rudolfen Hab' ich eben erst gefragt, wo du geblieben wärst, denn ich habe dich ja mit ihm spielen sehen; aber solch Junge weiß nie was; der denkt bloß immer an sich, und ob er sein Stück Kuchen kriegt. Na, wenn er kommt, er Sll's haben; Robinson ißt immer so wenig. Wiewohl er den Streußel ungeheuer gern mag. Aber

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so sind die Engländer, sie sind nicht so Zugreissch, und dann geniert sich Imme auch, und die Hälfte bleibt übrig. Na, jedenfalls is es nett, daß du wieder da bist. Ich habe dich ja seit deinem letzten Dienst noch gar nicht ordentlich gesehen. Es war ja wohl 'ne Hosrätin? Na, Hofrätinnen, die kenn' ich. Aber es giebt auch gute. Wie war er denn?"

Na, mit ihm ging es."

Deine krausen Haare werden wohl wieder schuld sein. Die können manche nicht vertragen. Und wenn dann die Frau was merkt, dann is es vorbei."

Nein, so war es nicht. Er war ein sehr an­ständiger Mann. Beinahe zu sehr."

Aber, Kind, wie kannst du nur so was sagen? Wie kann einer zu anständig sein?"

Ja, Frau Imme. Wenn einen einer gar nicht ansieht, das is einem auch nicht recht."

Ach, Hedwig, was du da bloß so red'st! Und wenn ich nich wüßte, daß du gar uich so bist. . . Aber was war es denn?"

Ja, Frau Imme, was soll ich sagen, was es war; es is ja immer wieder dasselbe. Die Herr­schaften können einen nich richtig unterbringen. Oder wollen auch nich. Immer wieder die Schlafstelle oder, wie manche hier sagen, die Schlafgelegenheit."

Aber, Kind, wie denn? Du mußt doch 'ne Gelegenheit zum Schlafen haben."

Gewiß, Frau Imme. Und 'ne Gelegenheit, so denkt mancher, is 'ne Gelegenheit. Aber gerade die, die hat man nich. Man ist müde zum Um­fallen, und man kann doch nicht schlafen."

Versteh' ich nich."

Ja, Frau Imme, das macht, weil Sie von Kindesbeinen an immer bei so gute Herrschaften waren, und mit Lizzi is es jetzt wieder ebenso. Die hat es auch gut un is, wie wenn sie mit dazu gehörte. Meine Tante Hartwig erzählt mir immer davon. Und einmal Hab' ich es auch so gut ge­troffen. Aber bloß das eine Mal. Sonst fehlt immer die Schlafgelegenheit."

Frau Imme lachte.

Sie lachen darüber, Frau Imme. Das is aber nich recht, daß Sie lachen. Glauben Sie mir, es is eigentlich zum Weinen. Und mitunter Hab' ich auch schon geweint. Als ich nach Berlin kam, da gab es ja noch die Hängeböden."

Kenn' ich, kenn' ich; das heißt, ich habe davon gehört."

Ja, wenn man davon gehört hat, das is nich viel. Man muß sie richtig kennen lernen. Immer sind sie in der Küche, mitunter dicht am Herd oder auch gerade gegenüber. Und nun steigt man aus eine Leiter, und wenn man müde is, kann man auch 'runter fallen. Aber meistens geht es. Und nu macht man die Thür auf und schiebt sich in das Loch hinein, ganz so wie in einen Backofen. Das is, was sie 'ne Schlaf­gelegenheit nennen. Und ich kann Ihnen bloß sagen: auf einem Heuboden is es besser, auch wenn Mäuse da sind. Und am schlimmsten is es im Sommer. Draußen sind dreißig Grad, und aus dem Herd War­den ganzen Tag Feuer; da is es denn, als ob man auf den Rost gelegt würde. So war es, als ich