Stechlin.
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„Haben besohlen. Ja, das ist gerade so das Nichtige; sieht mir ähnlich . . . Nun, Lorenzen, schieben Sie sich mal 'nen Stuhl 'ran, und wenn Engelke nicht geplaudert hat (denn er hält nicht immer dicht), so Hab' ich eine richtige Neuigkeit für Sie. Woldemar ist nach England..."
„Ah, mit der Abordnung."
„Also wissen Sie schon davon?"
„Nein, ausgenommen das eine, daß eine Deputation oder Gesandtschaft beabsichtigt sei. Das las ich, und dabei Hab' ich dann freilich auch an Woldemar gedacht."
Dubslav lachte. „Sonderbar. Engelke hat sich so was gedacht, Lorenzen hat sich auch so was gedacht. Nur der eigne Vater hat an gar nichts gedacht."
„Ach, Herr von Stechlin, das ist immer so. Väter sind Väter und können nie vergessen, daß die Kinder Kinder waren. Und doch hört es mal auf damit. Napoleon war mit Zwanzig ein armer Lieutenant und an Ansehn noch lange kein Stechlin. Und als er so alt war, wie jetzt unser Woldemar, ja, da stand er schon zwischen Marengo und Austerlitz."
„Hören Sie, Lorenzen, Sie greisen aber hoch. Meine Schwester Adelheid wird sich Ihnen übrigens wohl anschließen und von heut ab eine neue Zeitrechnung beginnen. Ich nehm' es ruhiger, trotzdem ich einsehe, daß es nach großer Auszeichnung schmeckt. Und ist er wieder zurück, dann wird er auch allerlei Gutes davon haben. Aber so lang er drüben ist! Ich trau' der Sache nicht. Von Behagen jedenfalls keine Rede. Die Vettern sind nun mal nicht zufrieden zu stellen; vielleicht ärgern sie sich, daß es draußen in der Welt auch noch ein ,Regiment Königin von Großbritannien und Irland' giebt. Das besorgen sie sich lieber selbst und nehmen so was, wenn andre damit kommen, wie 'ne Prätension. Wie stehen denn Sie dazu? Sie haben die Beef- eaters vielleicht in Ihr Herz geschlossen wegen der vielen Dissenter. Ein Kardinal, der freilich auch noch Gourmand war, soll mal gesagt haben: .Schreckliches Volk; hundert Sekten und bloß eine Sauce.'"
„Ja," lachte Lorenzen, „da bin ich freilich für die .Beefeaters', wie Sie sagen, und gegen den Kardinal. Das mit den hundert Sekten lass' ich auf sich beruhn, mein Geschmack, beiläufig, ist es nicht, aber unter allen Umstünden bin ich für höchstens eine Sauce. Das ist das einzig Gesunde. Die Dinge müssen in sich was sein, und wenn das richtig ist, so ist eigentlich jede,Sauce', und nun gar erst die Sauce im Plural, schon vorweg gerichtet. Aber lassen wir den Kardinal und seine Gewagtheiten und nehmen wir den Gegenstand seiner Abneigung: England. Es hat für mich eine Zeit gegeben, wo ich bedingungslos dafür schwärmte. Nicht zu verwundern. Hieß es doch damals in dem ganzen Kreise, drin ich lebte: ,Ja, wenn wir England nicht mehr lieben sollen, was sollen wir dann überhaupt noch lieben?' Diese halbe Vergötterung Hab' ich noch ehrlich mit durchgemacht. Aber das ist nun eine hübsche Weile her. Sie sind drüben schrecklich
'runtergekommen, weil der Kult vor dem goldenen Kalbe beständig wächst; lauter Jobber und die vornehme Welt obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie sagen ,Christus' und meinen Kattun."
„Js leider so, wenigstens nach dem bißchen, was ich davon weiß. Und alles in allem, und neuerdings erst recht, bin ich deshalb immer für Rußland gewesen. Wenn ich da so an unfern Kaiser Nikolaus zurückdenke und an die Zeit, wo seine Uniform als Geschenk bei uns eintraf und dann als Kirchenstück in die Garnisonskirche kam. Natürlich in Potsdam. Wir haben zwar die Reliquien abgeschafft, aber wir haben sie doch aus unsre Art, und ganz ohne so was geht es nu mal nicht. Mit dem alten Fritzen fing es natürlich an. Wir haben seinen Krückstock und den Dreimaster und das Taschentuch (na, das hätten sie vielleicht weglassen können), und zu den drei Stücken haben wir nu jetzt die Nikolaus-Uniform."
Lorenzen sah verlegen vor sich hin; etwas dagegen sagen, ging nicht, und zustimmen noch weniger.
Dubslav aber fuhr fort: „Und dann sind sie da forscher in Petersburg und geht alles mehr ans dem Vollen, auch wenn die besten Steine mitunter schon 'rausgebrochen sind. So was kommt vor; is eben noch ein Naturvolk. Ich kann das ,Schenken' eigentlich nicht leiden, es hat so was von Bestechung und sieht aus wie 'n Trinkgeld. Und Trinkgeld ist noch schlimmer als Bestechung und paßt mir eigentlich ganz und gar nicht. Aber es hat doch auch wieder was Angenehmes, solche Tabatiere. Wenn es einem gut geht, ist es ein Familienstück, und wenn es einem schlecht geht, ist es 'ne letzte Zuflucht. Natürlich, ein ganz reinliches Gefühl hat man nicht dabei."
Lorenzen blieb eine volle Stunde. Der Alte war immer froh, wenn sich ihm Gelegenheit bot, sich mal ausplaudern zu können, und heute standen ja die denkbar besten Themata zur Verfügung: Woldemar, England, Kaiser Nikolaus und dazwischen Tante Adelheid, über die zwar immer nur kurze Worte fielen, aber doch so, daß sie, weil spöttisch, die gute Laune des Alten wesentlich steigerten.
Und in dieser guten Laune war er auch noch, als er, um die fünfte Stunde, seinen Eichenstock und seinen eingeknautschten Filzhut vom Riegel nahm, um am See hin, in der Richtung aus Globsow zu, seinen gewöhnlichen Spaziergang zu machen. Unmittelbar am Süduser, da wo die Wand steil abfiel, befand sich eine von Buchenzweigen überdachte Steinbank. Das war sein Lieblingsplatz. Die Sonne stand schon unterm Horizont, und nur das Abendrot glühte noch durch die Bäume. Da saß er nun und überdachte sein Leben, Altes und Neues, seine Kind- heits- und seine Lieutenantstage, die Tage kurz vor seiner Verheiratung, wo die junge blasse Dame, die seine Frau werden sollte, noch Lieblingshofdame bei der alten Prinzeß Karl war. All das zog jetzt wieder an ihm vorüber, und dazwischen seine Schwester Adelheid, in jenen Tagen noch leidlich gut bei Weg, aber auch schon hart und herbe wie heute, so daß sie den reizenden Kerl, den Baron Krech, bloß weil er über ein beinah' abgestorbenes „Verhältnis"