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Stechlin.
auf der Landstraße kam man an großen und kleinen Trupps von Häuslern, Teerschwelern und Glashüttenleuten vorüber, die sich einen guten Tag gemacht hatten und nun singend und johlend nach Hause Zogen. Auch Frauensvolk war dazwischen und gab allem einen Beigeschmack.
So trabte Dubslav auf den als halber Weg geltenden Nehmitzsee zu. Nicht weit davon befand sich ein Kohlenmeiler, Dietrichs-Ofen, und als Martin jetzt um die nach Süden vorgeschobene Seespitze Herumbiegen wollte, sah er, daß wer am Wege lag, den Oberkörper unter Gras und Binsen versteckt, aber die Füße quer über das Fahrgeleise.
Martin hielt an. „Gnädiger Herr, da liegt wer. Ich glaub', es is der alte Tuxen."
„Tuxen, der alte Süffel von Dietrichs- Ofen?"
„Ja, gnäd'ger Herr. Ich will mal sehn, was es mit ihm is."
Und dabei gab er die Leinen an Dubslav und stieg ab und rüttelte und schüttelte den am Wege Liegenden. „Awer Tuxen, wat moakst du denn hier? Wenn keen Moonschien wiehr, wiehrst du nn all kaput."
„Joa, joa," sagte der Alte. Aber man sah, daß er ohne rechte Besinnung war.
Und nun stieg Dubslav auch ab, um den ganz Unbehilflichen mit Martin gemeinschaftlich auf den Rücksitz zu legen. Und bei dieser Prozedur kam der Trunkene einigermaßen wieder zu sich und sagte: „Nei, nei, Martin, nich doa; pack mi lewer vorn upp'n Bock."
Und wirklich, sie hoben ihn da hinaus, und da saß er nun auch ganz still und sagte nichts. Denn er schämte sich vor dem gnädigen Herrn.
Endlich aber nahm dieser wieder das Wort und sagte: „Nn sage mal, Tuxen, kannst du denn von dem Branntwein nich lassen? Legst dich da hin; is ja noch Nachtfrost. Noch 'ne Stunde, dann warst du dod. Waren sie denn alle so?"
„Mehrschtendeels."
„Und da habt ihr denn für den Katzenstein gestimmt."
„Nei, gnäd'ger Herr, vor Katzenstein nich."
Und nun schwieg er wieder, während er vorn auf dem Bock unsicher hin und her schwankte.
„Na, man 'raus mit der Sprache. Du weißt ja, ich reiß' keinem den Kopp ab. Is auch alles egal. Also für Katzenstein nich. Na, für wen denn?"
„Vör Torgelow'n."
Dubslav lachte. „Für Torgelow, den euch die Berliner hergeschickt haben. Hat er denn schon was für euch gelhan?"
„Nei, noch nich."
„Na, warum denn?"
„Joa, se seggen joa, he will nu wat för uns duhn un is ook so sihr für de armen Lüd. Un denn kriegen wi joa'n Stück Tüffelland. Un se seggen ook, he is klüger, as de annern sinn."
„Wird wohl. Aber er is doch noch lange nich so klug, wie ihr dumm seid. Habt ihr denn schon gehungert?"
„Nei, dat grad nich."
„Na, das kann auch noch kommen."
„Ach, gnäd'ger Herr, dat wihrd joa woll nich."
„Na, wer weiß, Tuxen. Aber hier is Dietrichs- Ofen. Nu steigt mau ab und seht Euch vor, daß Ihr nicht fallt, wenn die Pferde anrucken. Und hier habt Ihr was. Aber nich mehr für heut. Für heut habt Ihr genug. Und nn macht, daß Ihr zu Bett kommt und träumt von ,Tüffelland'."
XXI.
Woldemar erfuhr am andern Morgen aus Zeitungstelegrammen, daß der sozialdemokratische Kandidat, Feilenhauer Torgelow, im Wahlkreise Nheinsberg- Wutz gesiegt habe. Bald darauf traf auch ein Brief von Lorenzen ein, der zunächst die Telegramme bestätigte und am Schlüsse hinzusetzte, daß Dubslav eigentlich herzlich froh über den Ausgang sei. Woldemar war es auch. Er ging davon aus, daß sein Vater Wohl das Zeug habe, bei Dressel oder Borchardt mit viel gutem Menschenverstand und noch mehr Eulenspiegelei seine Meinung über allerhand politische Dinge zum besten zu geben; aber im Reichstage fach- und sachgemäß sprechen, das könnt' er nicht und wollt' er auch nicht. Woldemar war so durchdrungen davon, daß er über die Vorstellung einer Niederlage, dran er als Sohn des Alten immerhin wie beteiligt war, verhältnismäßig rasch hinwegkam, pries es aber doch, um eben diese Zeit mit einem Kommando nach Ostpreußen hin betraut zu werden, das ihn auf ein paar Wochen von Berlin fernhielt. Kam er dann zurück, so waren Anfragen in dieser Wahlangelegenheit nicht mehr zu befürchten, am wenigsten innerhalb seines Regiments, in dem man sich, von ein paar Intimsten abgesehn, eigentlich schon jetzt über den unliebsamen Zwischenfall ausschwieg.
Und in Schweigen hüllte man sich auch am Kronprinzenufer, als Woldemar hier am Abend vor seiner Abreise noch einmal vorsprach, um sich bei der gräflichen Familie zu verabschieden. Es wurde nur ganz obenhin von einem abermaligen Siege der Sozialdemokratie gesprochen, ein absichtlich flüchtiges Berühren, das nicht anffiel, weil sich das Gespräch sehr bald um Rex und Czako zu drehen begann, die, seit lange dazu ausgefordert, gerade den Tag vorher ihren ersten Besuch im Barbyschen Hause gemacht und besonders bei dem alten Grasen viel Entgegenkommen gesunden hatten. Auch Melusine hatte sich durch den Besuch der Freunde durchaus zufrieden- gestellt gesehn, trotzdem ihr nicht entgangen war, was, nach freilich entgegengesetzten Seiten hin, die Schwäche beider ausmachte.
„Wovon der eine zu wenig hat," sagte sie, „davon hat der andre zu viel."
„Und wie zeigte sich das, gnädigste Gräfin?"
„O, ganz unverkennbar. Es traf sich, daß im selben Augenblicke, wo die Herren Platz nahmen, drüben die Glocken der Gnadenkirche geläutet wurden, was denn — man ist bei solchen ersten Besuchen immer dankbar, an irgend was anknüpfen zu können — unser Gespräch sofort aufs Kirchliche hinüberlenkte. Da legitimierten sich dann beide.