Heft 
(1897) 09
Seite
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Ueber Lan

Vokabeln beholfen hatte. Natürlich war er anch in Südrußland gewesen und hatte sich da vor einem Liqueurkasten ohne jede Spur von Russisch mit einem alten Popen derart angesreundet, daß er seitdem ein Amendement begünstigte, das lautete:Ja, hundert Vokabeln. Aber bei 'nem Popen bloß fünfzig." Und das muß ich sagen, ich habe das mit den hundert in England durchaus bestätigt gefunden.

xlease, a jug ok lloknater," so viel muß man weghaben, sonst sitzt man da. Denn der Natur­engländer weiß gar nichts."

Wie lange waren Sie denn eigentlich drüben, Herbstfelde?"

Drei Wochen. Aber die Reisetage mitgerechnet."

Und sind Sie so Ziemlich auf Ihre Kosten ge­kommen? Einblick ins Volksleben, Parlament, Oxford, Cambridge, Gladstone. . ."

Herbstfelde nickte.

Und wenn Sie nun so alles zusammennehmen, was hat da so den meisten Eindruck auf Sie gemacht? Architektur, Kunst, Leben, die Schiffe, die großen Brücken? Die Straßenjungens, wenn man in einem Cab vorüberfährt, sollen immer Rad neben einem her schlagen, und die Dienstmädchen, was noch wich­tiger ist, sollen sehr hübsch sein, kleine Hauben und Tändelschürze."

Ja, Raspe, da treffen Sie's. Und ist eigent­lich auch das Interessanteste. Denn sogenannte Meisterwerke giebt es jetzt überall, von Kirchen und dergleichen gar nicht zu reden. Und Schiffe haben wir ja jetzt auch und auch ein Parlament. Und manche sagen, unsres sei noch besser. Aber das Volk. Sehen Sie, da steckt es. Das Volk ist alles."

Na, natürlich Volk. Oberschicht überall dasselbe. Was da los ist, wissen wir."

Und eigentlich Hab' ich die ganzen drei Wochen auf 'nem Omnibus gesessen und bin abends in die Matrosenkneipen an der Themse gegangen. Ein bißchen gefährlich; man hat da seinen Messer­stich weg, man weiß nicht, wie, ganz wie in Italien. Bloß in Italien giebt es vorher doch immer noch ein Liebesverhältnis, was in Old-Wapping so heißt nämlich der Stadtteil an der Themse nicht mal nötig ist. Und dann, wenn ich zu Hause war, sprach ich natürlich mit Mary. Viel war es freilich nicht. Denn die hundert Vokabeln, die dazu nötig sind, die hatte ich damals noch nicht voll."

Na, 's ging aber doch?"

So leidlich. Und dabei halt' ich mal 'ne Scene, die war eigentlich das Hübscheste. Meine Wohnung befand sich eine Treppe hoch in einer kleinen, stillen Querstraße von Oxford-Street. Und Mary war gerade bei mir. Und in dem Augenblicke, wo ich mich mit dem hübschen Kinde zu verständigen suche.."

Worüber?"

In demselben Augenblicke sieht ein Chinese grinsend in mein Fenster hinein, so daß er eigentlich eine Ohrfeige verdient hätte."

Wie war denn das aber möglich?"

Ja, das ist ja eben das, was ich das Londoner Volksleben nenne. Alles mögliche, wovon wir hier gar keine Vorstellung haben, vollzieht sich da mitten

d und Meer.

auf dem Straßendamm. Und so waren denn auch an jenem Tage zwei Chinesen, ihres Zeichens Akrobaten, in die Querstraße von Oxford-Street gekommen, und der eine, ein dicker starker Kerl, hatte einen Gurt um den Leib, und in seiner Gurtöse steckte 'ne Stange, auf die der zweite Chinese hinauskletterte. Und wie er da oben war, war er gerade in Höhe meiner Beletage und sah hinein, als ich mich eben bemühte, mich Mary klar Zu machen."

Ja, Herbstfelde, das war ein Pech, und wenn Sie wieder drüben sind, müssen Sie natürlich nach hinten hinaus wohnen oder höher. Aber interessant ist es doch. Und ich bezweifle nur, daß Stechlin in eine gleiche Lage kommen wird."

Gewiß nicht. Daran hindern ihn seine Mo­ralitäten."

Und noch mehr die Barbys."

XXIl.

Woldemar, von der ihm bevorstehenden Aus­zeichnung unterrichtet, kürzte seinen Aufenthalt in Ostpreußen um vierundzwauzig Stunden ab, hatte trotzdem aber, nach seinem Wiedereintreffen in Berlin, nur noch zwei Tage zur Verfügung. Das war wenig. Denn außer allerlei zu treffenden Reise­vorbereitungen lag ihm auch noch ob, verschiedene Besuche zu machen, so bei den Barbys, bei denen er sich für den letzten Abend schon brieflich ange­meldet hatte.

Dieser Abend war nun da. Die Koffer standen gepackt um ihn her, er selber aber lehnte sich, ziemlich abgespannt, in seinen Schankelstuhl zurück, nochmals überschlagend, ob auch nichts vergessen sei. Zuletzt sagte er sich:Was nun noch fehlt, fehlt; ich kann nicht mehr." Und dabei sah er nach der Uhr. Vis zu seinem am Kronprinzenufer angesagten Besuche war noch fast eine Stunde. Die wollt' er ausnutzen und sich vorher nach Möglichkeit ruhn. Aber er kam nicht dazu. Sein Bursche trat ein und meldete:Hauptmann von Czako."

Ah, sehr willkommen."

Und Woldemar, so wenig gelegen ihm Czako kam, sprang doch auf und reichte dem Freunde die Hand.Sie kommen, um mir zu meiner englischen Reise zu gratulieren. Und wiewohl es so so damit steht, Ihnen, glaub' ich's, daß Sie's ehrlich meinen. Sie gehören zu den paar Menschen, die keinen Neid kennen."

Na, lassen wir das Thema lieber. Ich bin dessen nicht so ganz sicher; mancher sieht besser aus, als er ist. Aber natürlich komm' ich, um Ihnen wohl oder übel meine Glückwünsche zu bringen und meinen Reisesegen dazu. Donnerwetter, Stechlin, wo will das noch mit Ihnen hinaus! Sie werden natürlich Londoner Militärattache, sagen wir in einem halben Jahr, und in ebensoviel Zeit haben Sie sich drüben sportlich eingelebt und etablieren sich als Sieger in einem Steeplechase, voraus­gesetzt, daß es so was noch giebt (ich glaube nämlich, man nennt es jetzt alles ganz anders). Und vier­zehn Tage nach Ihrem ersten großen Sportsiege