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Hleber Land und Meer.
„Nein. Wie war es denn, Molchowd"
„Nun, er mußte da wohl 'ne halbe Stunde warten, und als er Zuletzt mit 'nem Anschnauzer gegen Petrus 'rausfahren wollte, da sagte ihm der Fels der Kirche: „Königliche Hoheit, halten zu Gnaden, aber es ging nicht anders; ich habe die elstausend Jungfrauen erst in Sicherheit bringen müssen."
„Stimmt, stimmt," sagte Kraatz. „So war der Alte. Der reine Deubelskerl. Aber schneidig. Und ein richtiger Prinz. Und dann, meine Herren, — ja, du mein Gott, wenn man nu mal Prinz is, irgend was muß man doch von der Sache haben . . . Und so viel weiß ich, wenn ich Prinz wäre..."
XX.
Um sechs stand das Wahlresultat so gut wie fest; einige Meldungen fehlten noch, aber das war aus Ortschaften, die mit ihren paar Stimmen nichts mehr ändern konnten. Es lag zu Tage, daß die Sozialdemokraten einen beinahe glänzenden Sieg davongetragen hatten; der alte Stechlin stand weit zurück, Katzenstein aus Gransee noch weiter. Im ganzen aber ließen beide besiegte Parteien dies ruhig über sich ergehen; bei den Freisinnigen war wenig, bei den Konservativen gar nichts von Verstimmung zu merken. Dnbslav nahm es ganz von der heiteren Seite, seine Parteigenossen noch mehr, von denen eigentlich ein jeder dachte: „Siegen ist gut, aber zu Tische gehen ist noch besser." Und in der That, gegessen mußte werden. Alles sehnte sich danach, bei Forellen und einem guten Chablis die langweilige Prozedur zu vergessen. Und war man erst mit den Forellen fertig, und dämmerte der Rehrücken am Horizont heraus, so war auch der Sekt in Sicht. Im „Prinz-Regenten" hielt man ans eine gute Marke.
Durch den oberen Saal hin zog sich die Tafel: der Mehrzahl nach Rittergutsbesitzer und Domänenpächter, aber auch Gerichtsräte, die so glücklich waren, den „Hauptmann in der Reserve" mit auf ihre Karte setzen zu können. Zu diesem Gros d'Armee gesellten sich Forst- und Steuerbeamte, Rentmeister, Prediger und Gymnasiallehrer. An der Spitze dieser stand Rektor Thormeyer aus Rheinsberg, der große, vorstehende Augen, ein mächtiges Doppelkinn, noch mächtiger als Koseleger, und außerdem ein Nenomniee wegen seiner Geschichten hatte. Daß er nebenher auch ein in der Wolle gefärbter Konservativer war, versteht sich von selbst. Er hatte, was aber schon Jahrzehnte zurücklag, den großartigen Gedanken gefaßt und verwirklicht: die ostelbischen Provinzen, da, wo sie strauchelten, durch Gustav Kühnsche Bilderbogen auf den richtigen Pfad zurück- zusühren, und war dafür dekoriert worden. Es hieß denn auch von ihm, „er gälte was nach oben hin", was aber nicht recht Zutraf. Man kannte ihn „oben" ganz gut.
Um halb sieben (Lichter und Kronleuchter brannten bereits) war man unter den Klängen des Tannhäusermarsches die hie und da schon ausgelaufene Treppe hinausgestiegen. Unmittelbar vorher hatte noch ein Schwanken wegen des Präsidiums bei Tafel
stattgesunden. Einige waren für Dnbslav gewesen, weil man sich von ihm etwas Anregendes versprach, auch speziell mit Rücksicht auf die Situation. Aber die Majorität hatte doch schließlich Dubslavs Vorsitz als ganz undenkbar abgelehnt, da der Edle Herr von Alten-Friesack, trotz seiner hohen Jahre, mit zur Wahl gekommen war; der Edle Herr von Alten- Friesack sei doch nun mal — und von einem gewissen Standpunkt aus auch mit vollstem Fug und Recht —- der Stolz der Grafschaft, überhaupt ein Unikum, und ob er nun sprechen könne oder nicht, das sei, wo sich's um eine Prinzipienfrage handle, durchaus gleichgültig. Ueberhaupt, die ganze Geschichte mit dem „Sprechen-können" sei ein moderner Unsinn. Die einfache Thatsache, daß der Alte von Alten-Friesack da säße, sei viel, viel wichtiger als eine Rede, und sein großes Präbenden- krenz ziere nicht bloß ihn, sondern den ganzen Tisch. Einige sprächen freilich immer von seinem Götzeugesicht und seiner Häßlichkeit, aber auch das schade nichts. Heutzutage, wo die meisten Menschen einen Friseurkopf hätten, sei es eine ordentliche Erquickung, einem Gesicht zu begegnen, das in seiner Eigenart eigentlich gar nicht unterzubringen sei. Dieser von dem alten Zählen, trotz seiner Vorliebe für Dnbslav, eindringlich gehaltenen Rede war allgemein zugestimmt worden, und Baron Beetz hatte den götzenhaften Alten - Friesacker an seinen Ehrenplatz geführt. Natürlich gab es auch Schandmäuler. An ihrer Spitze stand Molchow, der dem neben ihm sitzenden Katzler zuslüsterte: „ Wahres Glück, Katzler, daß der Alte drüben die große Blumenvase vor sich hat; sonst, so bei veau en tortuo, — vorausgesetzt, daß so was Feines überhaupt in Sicht steht — würd' ich der Sache nicht gewachsen sein."
Und nun schwieg der von einem Thormeyerschen Unterlehrer gespielte Tannhänsermarsch, und als eine bestimmte Zeit danach der Moment für den ersten Toast da war, erhob sich Baron Beetz und sagte: „Aleine Herren. Unser Edler Herr von Alten- Friesack ist von der Pflicht und dem Wunsch erfüllt, den Toast aus Seine Majestät den Kaiser und König auszubringen." Und während der Alte, das Gesagte bestätigend, mit seinem Glase grüßte, setzte der in seiner alter ego-Nolle verbleibende Baron Beetz hinzu: „Seine Majestät der Kaiser und König lebe hoch!" Der Alten-Friesacker gab auch hierzu durch Nicken seine Zustimmung, und während der junge Lehrer abermals auf den auf einer Rheinsberger Schloßauktion erstandenen alten Flügel zueilte, stimmte man an der ganzen Tafel hin das „Heil dir im Siegerkranz" an, dessen erster Vers stehend gesungen wurde.
Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine gewisse Fidelitas, an der es übrigens von Anfang an nicht gefehlt hatte, konnte jetzt nachhaltiger in ihr Recht treten. Allerdings war noch immer ein wichtiger und zugleich schwieriger Toast in Sicht, der, der sich mit Dnbslav und dem unglücklichen Wahlausgänge zu beschäftigen hatte. Wer sollte den ausbringen? Man hing dieser Frage mit einiger Sorge nach und war eigentlich froh, als es mit einem Male hieß, Gundermann werde sprechen. Zwar