Heft 
(1897) 09
Seite
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Stechlin.

wußte jeder, daß der Siebenmühlener nicht ernsthaft zu nehmen sei, ja, daß Sonderbarkeiten und vielleicht sogar Scheiterungen in Sicht stünden, aber man tröstete sich, je mehr er scheitere, desto besser. Die meisten waren bereits in erheblicher Ansregung, also sehr unkritisch. Eine kleine Weile verging noch. Dann bat Baron Beetz, dem die Rolle des Fest­ordners zugefallen war, für Herrn von Gundermann auf Siebenmühlen ums Wort. Einige sprachen un­geniert weiter,Ruhe, Ruhe!" riesen andre da­zwischen, und als Baron Beetz noch einmal an das Glas geklopft und nun, auch seinerseits um Ruhe bittend, eine leidliche Stille hergestellt hatte, trat Gundermann hinter seinen Stuhl und begann, während er mit affektierter Nonchalance seine Linke in die Hosentasche steckte:Meine Herren. Als ich vor so und so viel Jahren in Berlin studierte" (alles lachte,na nu"),als ich vor Jahren in Berlin studierte, war da mal 'ne Hinrichtung..."

Alle Wetter, der setzt gut ein."

. . . war da mal 'ne Hinrichtung, weil eine dicke Klempnermadamm, nachdem sie sich in ihren Lehrburschen verliebt, ihren Mann, einen würdigen Klempnermeister, vergiftet hatte. Und der Bengel war erst siebzehn. Ja, meine Herren, so viel muß ich sagen, es kamen damals auch schon dolle Ge­schichten vor. Und ich, weil ich den Gefängnis­direktor kannte, ich hatte Zutritt zu der Hinrichtung, und um mich 'rnm standen lauter Assessoren und Referendare, ganz junge Herren, die meisten mit 'nem Kneifer. Kneifer gab es damals auch schon. Und nun kam die Witwe, wenn man sie so nennen darf, und sah so weit ganz behäbig und beinahe füllig aus, weil sie, was damals viel besprochen wurde, 'neu Kropf hatte, weshalb auch der Block ganz be­sonders hatte hergerichtet werden müssen. Sozusagen mit 'nein Ausschnitt."

Mit 'nem Ansschnitt.. .; gut, Gundermann."

Und als sie nun, ich meine die Delinquentin, all die jungen Referendare sah, wobei ihr wohl ihr Lehrling einfallen mochte..."

Keine Verspottung unsrer Referendare . . ."

. . . Wobei ihr vielleicht ihr Lehrling einfallen mochte, da trat sie ganz nahe an den Schafottrand heran und nickte uns zu (ich sage ,uris', weil sie mich auch ausah) und sagte: ,Ja, ja, meine jungen Herren, dat kommt davon../ Und sehen Sie, meine Herren, dieses Wort, wenn auch von einer Delinquentin herrührend, bin ich seitdem nicht wieder losgeworden, und wenn ich so was erlebe wie heute, dann muß einem solch Wort auch immer wieder in Erinnerung kommen, und ich sage dann auch, ganz wie die Alte damals sagte: ,Ja, meine Herren, dat kommt davon/ Und wovon kommt es? Von den Sozialdemokraten. Und wovon kommen die Sozialdemokraten?"

Vom Fortschritt. Alte Geschichte, kennen wir, Gundermann. Was Neues!"

Es giebt da nichts Neues. Ich kann nur be­stätigen, vom Fortschritt kommt es. Und wovon kommt der? Davon, daß wir die Abstimmungs­maschine haben und das große Haus mit den vier

Ecktürmen. Und wenn es meinetwegen ohne das ^ große Haus nicht geht, weil das Geld am Ende bewilligt werden muß und ohne Geld, meine Herren, geht es nicht" (Zustimmung;ohne Geld hört die Gemüilichkeit aus")nun denn, wenn es also sein muß, was ich zugebe, was sollen wir, auch unter solchen Zugeständnissen, anfangen mit einem Wahlrecht, wo Herr von Stechlin gewählt werden soll, und wo sein Kutscher Martin, der ihn zur Wahl ! gefahren, thatsächlich gewählt wird oder wenigstens gewählt werden kann. Und der Kutscher Martin unsers Herrn von Stechlin ist mir immer noch lieber als dieser Torgelow. Und all das nennt sich Frei­heit. Ich nenn' es Unsinn, und viele thnn des­gleichen. Ich denke mir aber, gerade diese Wahl,

^ in einem Kreise, drin das alte Preußen noch lebt, gerade diese Wahl wird dazu beitragen, die Augen oben Helle zu machen. Ich sage nicht, welche Augen."

Schluß, Schluß!"

Ich komme zum Schluß. Es hieß Anno siebzig, daß sich die Franzosen als die ,glorreich Besiegten' bezeichnet hätten. Ein stolzes und nachahmenswertes Wort. Und wie wir, ohne uns was zu vergeben, diesen Sekt aus Frankreich nehmen, so dürfen wir, glaub' ich, auch das eben citierte stolze Klagewort aus Frankreich herübernehmen. Wir sind besiegt, aber wir sind glorreich Besiegte. Wir haben eine Revanche. Die nehmen wir. Und bis dahin in alle Wege: Herr von Stechlin auf Schloß Stechlin, er lebe hoch!"

Alles erhob sich und stieß mit Dubslao an. Einige freilich lachten, und von Molchow, als er einen neuen Weinkübel heranbestellte, sagte Zu dem neben ihm sitzenden Katzler:Weiß der Himmel, dieser Gundermann ist und bleibt ein Esel. Was sollen wir mit solchen Leuten? Erst beschreibt er uns die Frau mit 'nein Kropf, und dann will er das große Haus abschaffeu. Ungeheure Dämelei. Wenn wir das große Haus nicht mehr haben, haben wir gar nichts; das ist noch unsre Rettung, und die einzige Stelle, wo wir den Mund (ich sage Mund) einigermaßen aufthun und was durchsetzen können. Wir müssen mit dem Zentrum paktieren. Dann sind wir egal 'raus. Und nun kommt dieser Gunder­mann und will uns auch das noch nehmen. Es ist doch 'ne Wahrheit, daß sich die Parteien und die Stände jedesmal selbst ruinieren. Das heißt, von ,Ständen' kann hier eigentlich nicht die Rede sein; denn dieser Gundermann gehört nicht mit dazu. Seine Mutter war 'ne Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er sich auch immer vor."

Bald nach Gundermanns Rede, die schon eine Art Nachspiel gewesen war, flüsterte Baron Beetz dem Alten-Friesacker zu, daß es Zeit sei, die Tafel aufzuheben. Der Alte wollte noch nicht recht, denn wenn er mal saß, saß er; aber als gleich danach mehrere Stühle gerückt wurden, blieb ihm nichts andres übrig, als sich anzuschließen, und unter den ^ Klängen desHohensriedbergers" derPrager", drin es heißt,Schwerin fällt", wäre mit Rücksicht auf die Gesamtsituation vielleicht häßlicher gewesen kehrte man in die Parterreräume Zurück, wo die