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Ueöer Land und Meer.
und ein allerdings noch fortlebendes Spielschulden- Debet verfügte, durch ihre Tugend weggegrault hatte. Das waren die alten Geschichten. Und dann wurde Woldemar geboren, und die junge Frau starb, und der Junge wuchs heran und lernte bei Lorenzen all das dumme Zeug, das Neue (dran vielleicht doch was war), und nun fuhr er nach England 'rüber und war vielleicht schon in Köln und in drei Stunden in Ostende.
Dabei sah er vor sich hin und malte mit seinem Stock Figuren in den Sand. Der Wald war ganz still; auf dem See schwanden die letzten roten Lichter, und aus einiger Entfernung klangen Schläge herüber, wie wenn Leute Holz fällen. Er hörte mit halbem Ohr hin und sah eben auf die von Globsow her heräuf- führende schmale Straße, als er einer alten Frau von wohl siebzig gewahr wurde, die, mit einer mit Reisig bepackten Kiepe, den leis ansteigenden Weg heranfkam, etliche Schritte vor ihr ein Kind mit ein paar Enzianstauden in der Hand. Das Kind, ein Mädchen, mochte zehn Jahre sein, und das Licht siel so, daß das blonde wirre Haar wie leuchtend um des Kindes Kopf stand. Als die Kleine bis fast an die Bank heran war, blieb sie stehn und erwartete da das Näherkommen der alten Frau. Diese, die wohl sah, daß das Kind in Furcht oder doch in Verlegenheit war, sagte: „Geih man vorupp, Agnes; he deiht di nix."
Das Kind, sich bezwingend, ging nun auch wirklich, und während es an der Bank vorüberkam, sah es den alten Herrn mit großen klugen Augen an.
Inzwischen war auch die Alte herangekommen.
„Na, Buschen," sagte Dubslav, „habt Ihr denn aach bloß Bruchholz in Eurer Kiepe? Sonst packt Euch der Förster."
Die Alte griente. „Jott, jnädjer Herr, wenn Se doabi sinn, denn wird he joa woll nich."
„Na, ich denk' auch; is immer nich so schlimm. Und wer is denn das Kind da?"
„Dat is joa Karlinens."
„So, so, Karlinens. Is sie denn noch in Berlin? Und wird er sie denn heiraten? Ich meine den Rentsch in Globsow."
„Ne, he will joa nich."
„Is aber doch von ihm?"
»Joa, se seggt so. Awers he seggt, he wihr et nich."
Der alte Dubslav lachte. „Na, hört, Buschen, ich kann's ihm eigentlich nich verdenken. Der Rentsch is ja doch ein ganz schwarzer Kerl. Und nn seht Euch mal das Kind an."
„Dat hebb ick ook all seggt. Un Karline weet et ook nich so recht un lacht man ümmer. Un se brukt em ook nich."
„Geht es ihr denn so gut?"
„Joa; man kann et binah' seggen. Se plätt't ümmer. Alle so'ne plätten ümmer. Ick wihr oak dissen Summer mitAgnessen(se heet Agnes) in Berlin, un doa wihr'n wi joa tosamen in'n Cirkus. Un Karline wihr ganz fidel."
„Na, das freut mich. Und Agnes, sagt Ihr, heißt sie. Is ein hübsches Kind."
„Joa, det is se. Un is ook en gaudes Kind; se weent gliks und is ümmer so patschlich mit ehre lütten Hänn'. Sünne sinn ümmer so."
„Ja, das is richtig. Aber Ihr müßt aufpassen, sonst habt Ihr 'nen Urenkel, Ihr wißt nich wie. Na, gu'n Abend, Buschen."
„'n Abend, jnäd'ger Herr."
XXIV.
Der Baron Berchtesgadensche Wagen fuhr am Kronprinzenufer vor, und die Baronin, als sie gehört hatte, daß die Herrschaften oben zu Hause seien, stieg langsam die Treppe hinaus, denn sie war nicht gut zu Fuß und ein wenig asthmatisch. Arm- gard und Melusine begrüßten sie mit großer Freude. „Wie gut, wie hübsch, Baronin," sagte Melusine, „daß wir Sie sehn. Und wir erwarten auch noch Besuch. Wenigstens ich. Ich habe solch Kribbeln in meinem kleinen Finger, und dann kommt immer wer. Wrschowitz gewiß (denn er war drei Tage lang nicht hier) und vielleicht auch Professor Cujacius. Und wenn nicht der, so vr. Pusch, den Sie noch nicht kennen, trotzdem Sie ihn eigentlich kennen müßten, — noch alte Bekanntschaft ans Londoner Tagen her. Möglicherweise kommt auch Frommel. Aber vor allem, Baronin, was bringen Sie für Wetter mit? Lizzi sagte mir eben, es neble so stark, man könne die Hand vor Augen nicht sehn."
„Lizzi hat Ihnen ganz recht berichtet, der richtige London Fog, wobei mir natürlich Ihr Freund Stechlin einfällt. Aber über den sprechen wir nachher. Jetzt sind wir noch beim Nebel. Es war draußen wirklich so, daß ich immer dachte, wir würden zusammenfahren; und am Brandenburgerthor, mit den großen Kandelabern dazwischen, sah es beinah' ans wie ein Bild von Skarbina. Kennen Sie Skarbina?
„Gewiß," sagte Melusine, „den kenn' ich sehr gut. Aber allerdings erst von der letzten Ausstellung her. Und was, außer den Gaslaternen im Nebel, mir so recht eigentlich von ihm vorschwebt, das ist ein kleines Bild: langer Hotelkorridor, Thür an Thür, und vor einer der vielen Thüren ein paar Damenstiefelchen. Reizend. Aber die Hauptsache war doch die Beleuchtung. Von irgend woher fiel ein Licht ein und vergoldete das Ganze, den Flur und die Stiefelchen."
„Richtig," sagte die Baronin. „Das war von ihm. Und gerade das hat Ihnen so sehr gefallen?"
„Ja. Was auch natürlich ist. In meinen italienischen Tagen — wenn ich übrigens von ,italienischen Tagen' spreche, so meine ich nie meine Verheiratungstage; während meiner Verheiratungstage Hab' ich Gott sei Dank so gut wie gar nichts gesehn, kaum meinen Mann, aber immer noch zu viel — also während meiner italienischen Tage Hab' ich vor so vielen Himmelfahrten gestanden, daß ich jetzt für Stiefeletten im Sonnenschein bin."
„Ganz mein Fall, liebe Melusine. Freilich bin ich jetzt nebenher auch noch fürs Japanische: Wasser und drei Binsen und ein Storch daneben. In meinen Jahren darf ich ja von Storch sprechen. Früher hätt' ich vielleicht Kranich gesagt."