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Ueöer Land und Weer.
Majorität dem Kaffee zusprechen wollte, während ! eine kleine Gruppe von Allertapfersten in die Straße ^ hinaustrat, um da, unter den Bäumen des „Triangelplatzes", sich bei Sekt und Cognac des weiteren § beus Zu thun. Obenan saß von Molchow, neben z ihm von Kraatz und van Peerenboom; Molchow gegenüber Direktor Thormeyer und der bis dahin mit der Festmusik betraute Lehrer, der bei solchen Gelegenheiten überhaupt Thormeyers Adlatus war. Sonderbarerweise hatte sich auch Kahler hier niedergelassen (er sehnte sich Wohl nach Eindrücken, die jenseits aller „Pflicht" lagen), und neben ihm, was ! beinahe noch mehr überraschen konnte, saß von der Nonne. Molchow und Thormeyer führten das Wort. Von Wahl und Politik — nur über Gundermann fiel gelegentlich eine spöttische Bemerkung — war längst keine Rede mehr; statt dessen befleißigte man sich, die neuesten Klatschgeschichten ans der Grafschaft heranzuziehen. „Ist es denn wahr," sagte Kraatz, „daß die schöne Lilli nun doch ihren Vetter heiraten wird, oder richtiger, der Vetter die schöne Lilli?"
„Vetter?" fragte Peerenboom.
„Ach, Peerenboom, Sie wissen auch gar nichts; i Sie sitzen immer noch zwischen Ihren Delfter Kacheln und waren doch schon 'ne ganze Weile hier, als die Lilli-Geschichte spielte."
Peerenboom ließ sich's gesagt sein und begrub jede weitere Frage, was er, ohne sich Zn schädigen, gut konnte, da kaum ein Zweifel war, daß der, der das Lilli-Thema herausbeschworen, ohnehin alles klarlegen würde. Das geschah denn auch.
„Ja, diese verdammten Kerle," fuhr v.Kraatz fort, „diese Lehrer! Entschuldigen Sie, Luckhardt, aber Sie sind ja beim Gymnasium, da liegt alles anders, und der, der hier 'ne Rolle spielt, war ja natür- ! lich bloß Hauslehrer, Hauslehrer bei Lillis jüngstem Bruder. Und eines Tages waren beide weg, der Kandidat und Lilli. Selbstverständlich nach England. Es kann einer noch so dumm sein, aber von Gretna Green hat er doch mal gehört oder gelesen. Und da wollten sie denn auch beide hin. Und sind auch. Aber ich glaube, der Gretna Greensche darf nicht mehr trauen. Und so nahmen sie denn Lodgings in London, ganz ohne Trauung. Und es ging auch so, bis ihnen das kleine Geld ausging."
„Ja, das kennt man."
„Und da kamen sie denn also wieder. Das heißt, Lilli kam wieder. Und sie war auch schon vorher mit dem Vetter so gut wie verlobt gewesen."
„Und der sprang nu ab?"
„Nicht so ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn Lilli ist sehr hübsch und nebenher auch noch sehr reich. Und da soll denn der Vetter gesagt haben, er liebe sie so sehr, und wo man liebe, da verzeihe man auch. Und er halte auch eine Entsühnung für durchaus möglich. Ja, er soll dabei von Pnr- gatorium gesprochen haben."
„Mißfällt mir, klingt schlecht," sagte Molchow. „Aber was er vorher gesagt, ,Entsühnungst das ist ein schönes Wort und eine schöne Sache. Nur das ,WiA — man weiß immer zu wenig von diesen Dingen — will mir nicht recht einleuchten. Als
Christ weiß ich natürlich (so schlimm steht es doch auch nicht mit einem), als Christ weiß ich natürlich, daß es eine Sühne giebt. Aber in solchem Falle? Thormeyer, was meinen Sie, was sagen Sie dazu? Sie sind ein Mann von Fach und haben alle Kirchenväter gelesen und noch ein paar mehr."
Thormeyer verklärte sich. Das war so recht ein Thema nach seinem Geschmack; seine Augen wurden größer und sein glattes Gesicht noch glatter.
„Ja," sagte er, während er sich über den Tisch zu Molchow vorbeugte, „so was giebt es. Und es ist ein Glück, daß es so was giebt. Denn die arme Menschheit braucht es. Das Wort Purgatorium will ich vermeiden, einmal, weil sich mein protestantisches Gewissen dagegen sträubt, und dann auch wegen des Anklangs; aber es giebt eine Purifikation. Und das ist doch eigentlich das, woraus es ankommt: Reinheitswiederherstellung. Ein etwas schwerfälliges Wort. Aber die Sache, drum sich's yier handelt, giebt es doch gut wieder. Sie begegnen diesem Hange nach Restitution überall, und namentlich im Orient, aus dem doch unsre ganze Kultur stamun, finden Sie diese Lehre, dieses Dogma, diese Thatsache."
„Ja, ist es eine Thatsache?"
„Schwer zu sagen. Aber es wird als Thatsache genommen. Und das ist ebensogut. Blut sühnt."
„Blut sühnt," wiederholte Molchow. „Gewiß. Daher haben wir ja unsre Duellinstitution. Aber wo wollen Sie hier die Blutsühne hernehmen? In diesem Spezialfalle ganz undurchführbar. Der Hauslehrer ist drüben in England geblieben, wenn er nicht gar nach Amerika gegangen ist. Und wenn er auch wiederkäme, er ist nicht satissaktionsfähig. War' er Reserve-Offizier, so hätt' ich das längst erfahren..."
„Ja, Herr von Molchow, das ist die hiesige Anschauung. Etwas primitiv, naturwüchsig, das sogenannte Blutracheprinzip. Aber es brrucht nicht immer das Blut des Uebelthäters selb,: zu sein. Bei den Orientalen..."
„Ach, Orientalen .. . dolle Gesellschaft ..."
„Nun denn meinetwegen, bei fast allen Völkern des Ostens sühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach orientalischer Anschauung — ich kam: das Wort nicht vermeiden, Herr von Molchow; ich muß immer wieder daraus zurückkommen — nach orientalischer Anschauung stellt Blut die Unschuld als solche wieder her."
„Na, hören Sie, Rektor."
„Ja, es ist so, meine Herren. Und ich darf sagen, es zählt das zu dem Feinsten und Tiefsinnigsten, was es giebt. Und ich habe auch neulich erst eine Geschichte gelesen, die das alles nicht bloß bestätigt, sondern beinahe großartig bestätigt. Und noch dazu aus Siam."
„Aus Siam?"
„Ja, aus Siam. Und ich würde Sie damit behelligen, wenn die Sache nicht ein bißchen Zu lang wäre. Die Herren vom Lande werden so leicht ungeduldig, und ich wundere mich oft, daß sie die Predigt bis zu Ende mitanhören. Daneben ist freilich meine Geschichte aus Siam..."
„Erzählen, Direktorchen, erzählen."
„Nun denn, aus Ihre Gefahr. Freilich auch