Heft 
(1897) 09
Seite
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Stechlin.

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doch auch bloß ein unexaminierter Naturmensch, und das gerade giebt ihm seinen Charme. Beiläufig, finden Sie nicht auch, daß er dem alten Stechlin ähnlich sieht?"

Ja, äußerlich."

Auch innerlich. Natürlich 'ne andre Nummer, aber doch derselbe Zwirn, Pardon für den etwas abgehaspelten Berolinismus. Und wenn Sie vielleicht an Politik gedacht haben, auch da ist wenig Unterschied. Der alte Graf ist lange nicht so liberal und der alte Dubslav lange nicht so junkerlich, wie's anssieht. Dieser Barby, dessen Familie, glaub' ich, vordem zu den Reichsunmittelbaren gehörte, dem steckt noch so was von .Gottesgnadenschaft' in den Knochen, und das giebt dann die bekannte Sorte von Vornehmheit, die sich den Liberalismus glaubt gönnen Zn können. Und der alte Dubslav, nun, der hat dafür das im Leibe, was die richtigen Junker alle haben: ein Stück Sozialdemokratie. Wenn sie gereizt werden, bekennen sie sich selber dazu."

Sie verkennen das, Czako. Das alles ist ja bloß Spielerei."

Ja, was heißt Spielerei? Spielen. Wir haben schöne alte Fibelverse, die vor der Gefährlichkeit des Mit-dem-Feuerspielens warnen. Aber lassen wir Dubslav und den alten Barby. Wichtiger sind doch Zuletzt immer die Damen, die Gräfin und die Com- tesse. Welche wird es? Ich glaube, wir haben schon mal darüber gesprochen, damals, als wir von Kloster Wutz her über den Kremmerdamm ritten. Viel Vertrauen zu Freund Woldemars richtigem Frauenverständnis Hab' ich eigentlich nicht, aber ich sage trotzdem: Melusine."

Und ich sage: Armgard. Und Sie sagen es eigentlich auch."

-st

Es war zwei Tage vor Woldemars Rückkehr aus Ostpreußen, daß Rex und Czako dies Tiergarten­gespräch führten. Eine halbe Stunde später fuhren sie, wie verabredet, vom Bellevuebahnhof aus wieder in die Stadt zurück. Ueberall war noch ein reges Leben und Treiben, und Leben war denn auch in dem aus bloß drei Zimmern verschiedener Größe sich Zusammen­setzenden Kasino der Gardedragoner. In dem zunächst am Flur gelegenen großen Speisesaale, von dessen Wänden die früheren Kommandeure des Regiments, Prinzen und Nichtprinzen, herniederblickten, sah man nur wenig Gäste. Daneben aber lag ein Eckzimmer, das mehr Insassen und mehr flotte Bewegung hatte. Hier, über dem schräg gestellten Kamin, drin ein kleines Feuer flackerte, hing seit kurzem das Bildnis, deshohen Chefs" des Regiments, der Königin von England, und in der Nähe eben dieses Bildes ein ruhmreiches Erinnerungsstück aus dem sechsundsechziger und siebziger Kriege: die

Trompete, darauf derselbe Mann (Stabstrompeter Wollhaupt) erst am dritten Juli aus der Höhe von Lipa und dann am sechzehnten August bei Mars la Tour das Regiment zur Attacke gerufen hatte, bis er an der Seite seines Obersten fiel; der Oberst mit ihm.

Dies Eckzimmer war, wie gewöhnlich, auch heute der bevorzugte kleine Raum, drin sich jüngere

und ältere Offiziere zu Spiel und Plauderei Znsammen- gefunden hatten, unter ihnen die Herren von Wolss- hagen, von Herbstselde, von Wohlgemuth, von Grumbach, von Raspe.

Weiß der Himmel," sagte Raspe,wir kommen aus den Abordnungen auch gar nicht mehr heraus. Wir haben freilich drei Sendens im Regiment, aber es sind der Sendbotschasten doch fast zu viel. Und diesmal nun auch unser Stechlin dabei. Was wird er sagen, wenn er oben in Ostpreußen von der ihm zugedachten Ehre hört. Er wird vielleicht sehr ge­mischte Gefühle haben. Uebermorgen ist er von Trakehnen wieder da, mutmaßlich bei dem scheuß­lichen Wetter schlecht ajnstiert, und dann Hals über Kopf und in großem Trara nach London. Und London ginge noch. Aber auch nach Windsor. Alles, wenn es sich um chic handelt, will doch seine Zeit haben, und gerade die Vettern drüben sehen einem sehr ans die Finger."

Laß sie sehn," sagte Herbstfelde.Wir sehen auch. Und Stechlin ist nicht der Mann, sich über derlei Dinge graue Haare wachsen zu lassen. Ich glaube, daß ihn was ganz andres geniert. Es ist doch immerhin was, daß er da mit nach Eng­land hinüber soll, und einer solchen Auszeichnung ent­spricht selbstverständlich eine Nichtanszeichnung andrer. Das paßt nicht jedem, und nach dem Bilde, das ich mir von unfern: Stechlin mache, gehört er zu diesen. Er ficht nicht gern unter der Devisenur über Leichen", hat vielmehr umgekehrt den Zug, sich in die zweite Linie zu stellen. Und nun sieht es aus, als wär' er ein Streber."

Stimmt nicht," sagte Raspe.Für so verrannt kann ich keinen von uns halten. Stechlin sitzt da oben in Ostpreußen und kann doch unmöglich in seinen Mußestunden hieher intrigiert und einen etwaigen Rivalen aus dem Sattel geworfen haben. Und unser Oberst! Der ist doch auch nicht der Mann dazu, sich irgend wen aufreden zu lassen. Der kennt seine Pappenheimer. Und wenn er sich den Stechlin aussucht, dann weiß er, warum. Uebrigens, Dienst ist Dienst; man geht nicht, weil man will, sondern weil man muß. Spricht er denn englisch?"

Ich glaube nicht," sagte von Grumbach. Soviel ich weiß, hat er vor kurzem damit an­gefangen, aber natürlich nicht wegen dieser Mission, die ja wie vom blauen Himmel auf ihn niederfällt, sondern der Barbys wegen, die beinah' zwanzig Jahre in England waren und halb englisch sind. Im übrigen Hab' ich mir sagen lassen, es geht drüben auch ohne die Sprache. Herbstfelde, Sie waren ja voriges Jahr da. Mit gutem Deutsch und schlechtem Fran­zösisch kommt man überall durch."

Ja," sagte Herbstfelde.Bloß ein bißchen Landessprache muß doch noch dazu kommen. In­dessen, es giebt ja kleine Vademekums, und da muß man dann eben nachschlagen, bis man's hat. Sonst sind hundert Vokabeln genug. Als ich noch zu Hause war, hatten wir da ganz in unsrer Nachbarschaft einen verdrehten alten Herrn, der eh' ihn die Gicht nnterkriegte sich in der ganzen Welt Herum­getrieben und nach seinem eignen Zeugnis mit hundert