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Uelicr Land und Meer.
Hauptmann Czako, weil er ahnen mochte, was sein Freund in nächster Minute sagen würde, gab sofort deutliche Zeichen von Ungeduld, während Herr von Rex nicht nur von dem „Ernst der Zeiten" zu sprechen anfing, sondern von dein Bau neuer Kirchen auch einen allgemeinen und noch bevorstehenden Umschwung erwartete. Was mich natürlich erheiterte."
Woldemars Kommando nach Ostpreußen war bis auf Anfang November berechnet, und mehr als einmal sprachen im Verlaufe dieser Zeit Rex und CZako bei den Barbys vor. Freilich immer nur einzeln. Verabredungen Zu gemeinschaftlichem Besuche waren zwar mehrfach eingeleitet worden, aber jedesmal erfolglos, und erst zwei Tage vor Woldemars Rückkehr fügte es sich, daß sich die beiden Freunde bei den Barbys trafen. Es war ein ganz besonders gelungener Abend, da neben der Baronin Berchtesgaden und vr. Wrschowitz auch ein alter Malerprofessor (eine neue Bekanntschaft des Hauses) zugegen war, was eine sehr belebte Konversation herbeigeführt hatte. Besonders der neben seinen andern Apartheiten auch durch langes weißes Haar und große Leuchte-Augen ausgezeichnete Professor hatte, gestützt auf einen unentwegten Peter Cornelius- Enthusiasmus, alles Hinzureißen gewußt. „Ich bin glücklich, noch die Tage dieses großen und einzig dastehenden Künstlers gesehn zu haben. Sie kennen seine Kartons, die mir das Bedeutendste scheinen, was wir überhaupt hier haben. Auf dem einen Karton steht im Vordergrund ein Tubabläser und setzt das Horn an den Mund, um zu Gericht zu rufen. Diese eine Gestalt balanciert fünf Kunstausstellungen, will also sagen netto 15000 Bilder. Und eben diese Kartons, samt dem Bläser zum Gericht, die wollen sie jetzt fortschaffen und sagen in naiver Effronterie, solch schwarzes Zeug mit Kohlenstrichen dürfe überhaupt nicht fo viel Raum einnehmen. Ich aber sage Ihnen, meine Herrschaften, ein Kohlen- strich von Cornelius ist mehr wert als alle modernen Paletten zusammengenommen, und die Tuba, die dieser Tubabläser da an den Mund setzt — verzeihen Sie mir altem Jüngling diesen Kalauer —, diese Tuba wiegt alle Tuben aus, aus denen sie jetzt ihre ^ Farben herausdrücken. Beiläufig auch eine miserable Neuerung. Zu meiner Zeit gab es noch Beutel, und diese Beutel aus Schweinsblase waren viel besser. Ein wahres Glück, daß König Friedrich Wilhelm IV. diese jetzt etablierte Niedergangsepoche nicht mehr erlebt hat, diese Zeit des Abfalls, so recht eigentlich eine Zeit der apokalyptischen Reiter. Bloß zu den dreien, die der große Meister uns da geschaffen hat, ist heutzutage noch ein vierter Reiter gekommen, ein Mischling von Neid und Ungeschmack. Und dieser vierte sichelt am stärksten."
Alles nickte, selbst die, die nicht ganz so dachten, denn der Alte mit seinem Apostelkopfe hatte ganz wie ein Prophet gesprochen. Nur Melusine blieb in einer stillen Opposition und flüsterte der Baronin zu: „Tubabläser. Mir persönlich ist das Böcklinsche Meerweib lieber. Ich bin freilich Partei."
Die Abende bei den Barbys schlossen immer zu früher Stunde. So war es auch heute wieder. Es schlug eben erst zehn, als Rex und Czako aus die Straße hinaustrateu und drüben an dem langgestreckten Ufer Tausende von Lichtern vor sich hatten, von denen die vordersten sich im Wasser spiegelten.
„Ich möchte Wohl noch einen Spaziergang machen," sagte Czako. „Was meinen Sie, Rex? Sind Sie mit dabei? Wir gehen hier am Ufer entlang, an den Zelten vorbei bis Bellevue, und da steigen wir in die Stadtbahn und fahren zurück, Sie bis an die Friedrichsstraße, ich bis an den Alexanderplatz. Da ist jeder von uns in drei Minuten zu Haus."
Rex war einverstanden. „Ein wahres Glück," sagte er, „daß wir uns endlich mal getroffen haben. Seit fast drei Wochen kennen wir nun das Haus und haben noch keine Aussprache darüber gehabt. Und das ist doch immer die Hauptsache. Für Sie gewiß."
„Ja, Rex, das ,für Sie gewiß', das sagen Sie so spöttisch und überheblich, weil Sie glauben, klatschen sei was Inferiores und für mich gerade gut, für Sie aber nicht vornehm genug. Aber da machen Sie meiner Meinung nach einen doppelten Fehler. Denn erstlich ist Klatschen überhaupt nicht inferior, und zweitens klatschen Sie gerade so gern wie ich und vielleicht noch ein bißchen lieber. Sie bleiben nur immer etwas steifer dabei, lehnen meine Frivolitäten zunächst ab, warten aber eigentlich darauf. Im übrigen denk' ich, wir lassen alles auf sich beruhn und sprechen lieber von was andern:. Ich finde, wir können unserm Freunde Stechlin nicht dankbar genug dafür sein, uns mit einem so liebenswürdigen Hanse bekannt gemacht Zn haben. Den Wrschowitz und den alten Malerprofessor, der von dem Engel des Gerichts nicht loskonute, — nun die beiden schenk' ich Ihnen (ich denke mir, der Maler wird wohl nach Ihrem Geschmacke sein), aber die andern, die man da trifft, wie reizend alle, wie natürlich. Obenan dieser Frommel, dieser Hofprediger, der mir am Theetisch fast noch besser gefällt als aus der Kanzel. Und dann diese bayrische Baronin. Es ist doch merkwürdig, daß die Süddeutschen uns im Gesellschaftlichen immer um einen guten Schritt vorauf sind, nicht von Bildungs, aber von glücklicher Natur wegen. Und diese glückliche Natur, das ist doch die wahre Bildung."
„Ach Czako, Sie überschätzen das. Es ist ja richtig, wenn sie da so die Würstel aus dem großen Kessel herausholen und irgend eine Loni oder Toni mit dem Maßkrug kommt, so sieht das nach was aus, und wir kommen uns wie verhungerte Schulmeister daneben vor. Aber eigentlich ist das, was wir haben, doch das Höhere."
„Gott bewahre. Alles, was mit Grammatik und Examen Zusammenhängt, ist nie das Höhere. Waren die Patriarchen examiniert, oder Moses oder Christus? Die Pharisäer waren examiniert. Und da sehn Sie, was dabei herauskommt. Aber, um mehr in der Nähe zu bleiben, nehmen Sie den alten Grasen. Er war freilich Botschaftsrat, und das klingt ein bißchen nach was; aber eigentlich ist er