339
Stechlin.
verloben Sie sich mit Ruth Rüssel oder mit Geraldine Cavendish, haben denBedsorder- oder denDevonshire- Herzog als Rückendeckung und gehen als Generalgouverneur nach Mittelafrika, links die Zwerge, rechts die Menschenfresser. Emin soll ja doch eigentlich aufgefressen sein."
„Czako, Sie machen sich's zu nutze, daß die Mittagsstunde glücklich vorüber ist, sonst könnten Sie's kaum verantworten. Aber rücken Sie sich einen Sessel 'ran, und hier sind Zigaretten. Oder lieber Zigarre?"
„Nein, Zigaretten . . . Ja, sehen Sie, Stechlin, solche Mission oder wenn auch nur ein Bruchteil davon..."
„Sagen wir Anhängsel."
„ . . Solche Mission ist gerade das, was ich mir all mein Lebtag gewünscht habe. Bloß Erhörung kam nicht geschritten. Und doch ist gerad' in unserm Regiment immer was los. Immer ist wer auf dem Wege nach Petersburg. Aber weiß der Teufel, trotz der vielen Schickerei, meine Wenigkeit ist noch nicht 'ran gekommen. Ich denke mir, es liegt an meinem Namen. Hier hat er ja auch schon einen Beigeschmack, einen Stich ins Komische, aber das Slavische drin giebt ihm ein bißchen was Apartes, während es in Petersburg wahrscheinlich heißen würde: ,Czako, was soll das? Was soll Czako? Dergleichen haben wir hier echter und besser.' Ja, ich gehe noch weiter und' bin nicht einmal sicher, ob man da drüben in der Wahl eines ,Czako' nicht vielleicht einen Witz oder versteckten Affront wittert. Aber wie dem auch sei, Winterpalais und Kreml sind mir verschlossen. Und nun gehen Sie nach London und sogar nach Windsor. Und Windsor ist doch nun mal das denkbar Feinste. Rußland, wenn Sie mir solche Frühstücksvergleiche gestatten wollen, hat immer was von Astrachan, England immer was von Colchester. Und ich glaube, Colchester steht höher. In meinen Augen gewiß. Ach, Stechlin, Sie sind ein Glückspilz, ein Wort, das Sie meiner erregten Stimmung zu gute halten müssen. Ich werde wohl an der Majorsecke scheitern, wegen verschiedener Mankos. Aber sehn Sie, daß ich das einsehe, das könnte das Schicksal doch auch wieder mit mir versöhnen."
„Czako, Sie sind der beste Kerl von der Welt. Es ist eigentlich schade, daß wir solche Leute wie Sie nicht bei unserm Regiment haben. Oder wenigstens nicht genug. ,Fein' ist ja ganz gut, aber es muß doch auch mal ein Donnerwetter dazwischen fahren, ein Cynismus, eine Bosheit; sie braucht ja nicht gleich einen Giftzahn zu haben. Uebrigens, was die Patentheit angeht, so fühl' ich deutlich, daß ich auch nur so gerade noch passiere. Nehmen Sie beispielsweise bloß das Sprachliche. Wer heutzutage nicht drei Sprachen spricht, gehört in die Ecke..."
„Sag' ich mir auch. Und ich habe deshalb auch mit dem Russischen angesangen. Und wenn ich dann so dabei bin und über meine Fortschritte beinah' erstaune, dann berapple ich mich momentan wieder und sage mir: ,Courage gewonnen, alles gewonnen.' Und dabei lass' ich dann zu meinem weiteren Trost
all unsre preußischen Helden Zu Fuß nud zu Pferde an mir vorüber ziehen, immer mit dem Gefühl einer gewissen wissenschaftlichen und mitunter auch moralischen Ueberlegenheit. Da ist zuerst der Derfflinger. Nun, der soll ein Schneider gewesen sein. Dann kam Blücher, — der war einfach ein ,Ü6u'er. Und dann kam Wrangel und trieb sein verwegenes Spiel mit ,mir und mich'."
„Bravo, Czako. Das ist die Sprache, die Sie sprechen müssen. Und Sie werden auch uicht an der Majorsecke scheitern. Eigentlich läuft doch alles bloß darauf hinaus, wie hoch man sich selber einschätzt. Das ist freilich eine Kunst, die nicht jeder versteht. Das Wort vom alten Fritz: ,Denk Er nur immer, daß Er hunderttausend Mann hinter sich hat,' dies Trostwort ist manchem von uns ein bißchen verloren gegangen, trotz unsrer Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege produzieren unter Umständen auch Bescheidenheit."
„Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zu viel davon. Aber wenn Sie erst Ihre Ruth haben..."
„Ach Czako, kommen Sie mir nicht immer mit ,Ruthü Oder eigentlich, seien Sie doch bedankt dafür. Denn dieser weibliche Name mahnt mich, daß ich mich für heut abend am Kronprinzenufer angemeldet habe, bei den Barbys, wo's, wie Sie wissen, freilich keine Ruth giebt, aber dafür eine ,Melusine', was fast noch mehr ist."
„Versteht sich, Melusine is mehr. Alles, was aus dem Wasser kommt, ist mehr. Venus kam aus dem Wasser, ebenso Hero. . . Nein, nein, entschuldigen Sie, es war Leander."
„Egal. Lassen Sie's, wie's ist. Solche verwechselte Schillerstelle thut einem immer wohl. Uebrigens können Sie mich in meinem Coupe begleiten ; vom Kronprinzenufer aus haben Sie knapp noch halben Weg bis in Ihre Kaserne."
Das Coupe that seine Schuldigkeit, und es schlug eben erst acht, als Woldemar vor dem Barbyschen Hause hielt und, sich von Czako verabschiedend, die Treppe hinauf stieg. Er fand nur die Familie vor, was ihm sehr lieb war, weil er kein allgemeines Gespräch führen, sondern sich lediglich für seine Reise Rats erholen wollte. Der alte Graf kannte London besser als Berlin, und auch Melusine war schon über siebzehn, als man, bald nach dem Tode der Mutter, England verlassen und sich auf die Graubündener Güter zurückgezogen hatte. Darüber waren nun wieder nah' an anderthalb Jahrzehnte vergangen, aber Vater und Töchter hingen nach wie vor an Hydepark und dem schönen Hause, das sie da bewohnt hatten, und gedachten dankbar der in London verlebten Tage. Selbst Armgard sprach gern von dem Wenigen, dessen sie sich noch aus ihrer frühen Kindheit her erinnerte.
„Wie glücklich bin ich," sagte Woldemar, „Sie allein zu finden! Das klingt freilich sehr selbstisch, aber ich bin doch vielleicht entschuldigt. Wenn Besuch da wäre, nehmen wir beispielsweise Wrschowitz, und ich ließe mich Hinreißen, von der Prinzessin von Wales und in natürlicher Konsequenz von ihren zwei