Heft 
(1.1.2019) 01
Seite
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An der Aee«.

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mit Inhalt erfüllen und den hartnäckigen Wider­stand Stralsunds brechen sollte. In schweißtreiben­der Hast rüstete er im Hafen von Wismar unter dem Schutz desWalfisch", eines starken Festungs­bollwerks am Hafeneingang, Kriegsfahrzeuge zu einer Armada, welche die Bestimmung besaß, so­bald sie zu zwei Dutzend Orlogschiffen angewachsen sei, Stralsund von der Wasserseite aus zu beren- nen. Doch die Zeit, die Unmöglichkeit, eine solche Flotte in wenig Wochen fertig und seetüchtig zu vollenden, standen nicht unter der Botmäßigkeit seiner fiebernden Ungeduld, und mit heißem Grimm mußte er harrend dreinsehen, daß der Herbst ein­brach und noch jeder Nachen seinerGeneralherr­schaft aus dem baltischen Meere" spottete.

Nun warf der Novembernachtwind die klatschen­den Wellen an die flache Küste von Olde Vehr. Der Strandort führte seinen Namen von der alten Fähre", welche nach der Erbauung Stral­sunds die nächste Verbindung der Stadt hierher- über mit dem Rügenfichen Ufer vermittelt hatte; schon seit Jahrhunderten war um den Landungs­platz ein Dorf ausgewachsen, dessen Einwohner sich ausschließlich von der Häringsfischerei nährten. Mächtige, wetterknorrige Gestalten, die Jungen wie die Alten, den Buchenstämmen der Insel ähnlich aus denen ihre Vorväter sich die erstenKoräkles,, gehöhlt und Segel ans Thierfellen daraus gespannt. Wie graue Rinde trugen alle den Schifserhansup vom Hals bis unter die Knie, wo er in den wuch­tigen Stieselschäften aus Seehnndshaut verschwand. So folgte jetzt ein Dutzend, einer um den andern, dem wassertriefenden Schritt Joost Sökelands nach und trat durch die Klinkthür in die Stube Peter Schüddekops ein. Es war so abendlicher Brauch des Zusammenkommens im Hause des Alten zum Reden, oder eigentlich mehr zum Schweigen. Old Peer winkte jedem bloß:Sitt dal!" Ab und zu, wenn er guter Laune war, gab's für die Gäste einen Napf mit heißem Trunk gleich dem seinigen. Er konnte den Wirth machen, denn die dicke Eichen­truhe unter seiner Bettlade steckte voll Beuteln mit Silbermünzen aller Länder und Städte an der Ost- und Nordsee von Reval bis nach London, und die größte und hurtigste Snigge, die sich im Stralsunder Hafen schaukelte, fast einer Kogge gleich, war sein. Das Alles war ihm auf Millionen Häringsflossen herangeschwommen; wie das Sprüch- wvrt redete, auch die reiche Stadt Amsterdam im Niederland sei auf Häringen erbaut. An Gut und Geld, Ansehen und Aussehen hatte Old Peer etwas von einem der alten Seekönige, die vor tausend Jahren hier an den Küsten gesessen.

Heut' Abend war er freigebig, denn wenn ein Gast eintrat, nickte er nicht nur:Sitt dal!" son­dern sprach hinterdrein:Swanke, to drucken!"

Der Auftrag drehte sich nach dem Herd, wo der Riesenkessel über dem Feuer brodelte. Daneben stand, mit Geräthen hantirend, ein weibliches Ge­schöpf, das einzige in der Stube und im Hause, Swaneke Schüddekop, die Tochter des Alten, etwa an zwanzig Jahre. Sie war vom selben Schlag wie all' die Mannsleute, hochwüchsig und breit in den Schultern; ihre Hand hob den schwergefüllten Kessel, als sei er leer, und man sah wie die kräf­tigen Muskeln des Arms ihr dabei unter dem dunkelblauen Aermel aus eigengemachtem Zeug an­schwollen. Beim Bücken und Athmen rundete ihre Brust sich weil vor, ein Behälter zweier Lunge» von Urkraft der Natur. Nur war ihr Gesicht nicht wetterschrundig gleich dem der Männer; aus der breiten, weißen Stirn zurückgekämmt, fiel ihr das dicke Haar des Alten über den Scheitel nach hinten auf den Nacken, auch mähnenartig, doch nicht grau, sondern beinahe von der Farbe einer goldgelben Tulpe. Das Geflacker des Feuers warf bald Lichter über sie, bald Schatten, ließ nun ihre obere Körper- Hälfte verschwinden und hob bei einer Bewegung deutlich unter dem schmiegsamen Wollenrock die straffen Formen ihrer Schenkel hervor; die ebenso strammen Waden boten sich noch ohne Strumpf­gewirk, völlig bloß unter dem nicht mehr als spann­weit über die Knie fallenden Saum zur Schau. Dann wechselte der Schattenwnrf, der Kopf stand in Licht getaucht, und unter den Brauen leuchteten einmal flüchtig zwei zurückgezogene meergrüne Augen, auf. Sonderbar, wie schillernder Seetang unter stiller Wasserfläche, wenn die Sonne drauf glim­mert. Und unter den Augen glichen die Lippen rothem Korallengeflecht über weißen, feucht hindurch­blickenden Quarzkieseln. Wenn old Peer Schüdde­kop an einen alten Seekönig gemahnte, so war an seiner Tochter Swaneke trotz der massigen Derbheit ihres Gliederbau's etwas von einer Wassernixe, wie das Geraun der Sage sie bei mitternächtigem Mondlicht drüben im Herthasee aufrudern und zur Tiefe zurücksinken ließ. Ihr uralter Name aber erhielt offenbar das Gedächtniß an die Schwanen- jungfrauen Odins, die bald als Schildwalkhren stürmisch von wildem Schlachtendrang fortgerissen wurden, bald von Liebe zu einem Erdensohne über­wältigt, in seinen Armen ihre göttliche Kraft und Unsterblichkeit dahingaben und zu schwachen irdi­schen Weibern herabsanken. Das geschah, wenn Jemand ihnen ihr Schwanengewand raubte, das sie an einsamem Seegestad abgelegt; dann hielt er sie in seiner Gewalt, ihm als Gattin zum Land an seinen Herd zu folgen.

Swaneke trug die dampfenden irdenen Gefäße hin und wieder, und die niedrige Stube war voll von lippenschlürfenden, schweigsamen Heunen. Draußen im Dunkel sauste der Wind und klatschte

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