Heft 
(1.1.2019) 01
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Wilhelm Pensen.

der Seeanschlag; wie die Uferwellen manchmal murrend einen Flintkiesel zwischen den Kies an den Strand rollten und zurückebbend wieder mit sich nahmen, so fiel dann und wann ein Wort zwischen den Zähnen eines Mundes heraus, um gleich wieder zu verstummen. Sie hatten nicht viel zu sagen und brauchten's erst recht nicht, da sie mnth- maßlich alle nur wenig, doch das Gleiche dachten. Ab und zu dröhnte einmal etwas südher über den Gellen, ein verwehter, dumpfer, aber doch schärfen abgesetzter Ton, als das Gerohr von Luft und Wasser. Man kannte es hier bald seit einem hal­ben Jahr, nächtliche Karthaunenschüsse waren's von den feindlichen Werken drüben vor der umlagerten Stadt.

Nnn kam's wieder, stärker vom Wind herge- tragen, und Peter Schüddekop hob die graue Scheitelmähne gegen seine Tochter und heischte von ihr:Lang' dat Book vun't Schapp dal, Swanke, un lest uns dat vor! Weest wat, vun old Clas; dat is as ut de Bibel."

Bruk' ick nich, Vadder, dat kan ick utwennig," antwortete das Mädchen mit einer tiefen Brust­stimme, wie die wuchtige Körpergestalt sie erwarten ließ. Sie stemmte ihr Knie auf den Rand einer Lade, schnellte sich kraftvoll aus diese hinauf und holte das Buch von dem hohen Wandschrankbord herunter. Das einzige im Haus war's, ein Schweins­lederband mit einem Druckwerk nach einer Stral- sunder Chronik; doch wie sie's erwiedert, hatte sie nicht nöthig, den dicken Band anfzuschlagen. An einen Tisch tretend, stützte sie nur die beiden starken Hände aus das Buch, wie ein Prediger seine Bibel auf die Kanzelbrüstung, und Hub zu sprechen an:

Dat weer nu vör twehundert Johrn"

In ihrer plattdeutschen Zunge berichtete sie es weiter:

Das war nun vor zweihundert Jahren, da rüstete der Dänenkönig Erich eine große Schiffs­macht gegen diedudesche Hansa." An siebenzig Fahrzeuge, groß und klein, mit anderthalb Tausend Gewassneten drauf. Bei Nacht und Nebel kamen sie durch den Gellen, und im ersten Grau liefen sie an die Ladebrücke von Stralsund. Was da war, raubten, zerhieben und verbrannten sie und schrien über die Mauer die Bürger der Stadt aus dem Schlaf. Die stürzten heran, aber sie waren für den plötzlichen Ueberfall mit so großer Macht nicht vorgesehen und mußten sich auf den Mauern von den Dänen drunten höhnen lassen. »Tydske Garper« ein uraltes Schimpfwort schrien sie ihnen in's Gesicht und forderten die Ungerüsteten zum Kamps. Doch-konnten sie wider die Stadt selber nichts ausrichten, und wie's Abend ward, gingen sie wieder an Bord. Der Wind aber war umge-

spnmgen und ließ sie nicht westwärts aus dem Gellen zurück, so segelten sie nach Süd durch den Strelasund. Derweil lief ein halb Dutzend von Kanffahrerkoggen aus der See in den Stralsunder Hafen, und der Burgemeister Clas von der Lippe setzte hurtig Mannschaft und Donnerbüchsen drauf, daß sie über Nacht zu Orlogsschiffen wurden. Der Wind war aber wieder nach Osten herumgegangen, daß die Dänen im Greisswalder Bodden Kehrt machten und durch die Enge an der Stadt vor­übersegelten. Da brachen die Stralsunder Koggen jählings in sie hinein und rannten die ganze Dänen­flotte in den Grund oder schleppten die Schiffe als Beute heim. Allein das Admiralschiff kam mit seinen gepanzerten Rittern davon und brachte Kund­schaft nach Dänemark, wie die »deutschen Garpen« den Schimpf wett gemacht. Das war bei der Insel Strela, die heißt seit dem Tag Dänholm, und des Dänenkönigs Erich Letztes war's, denn er lief da­nach wie ein Dieb mit dem Krongestein bei Nacht von Schloß und Reich und ward ein Seeräuber aus Gothlaud."

Nun hatte das Mädchen den oft gelesenen Chronikbericht auserzählt und es war wieder stimm­los still in der Stube; nur da und dort bliesen sich ein paar Backen auf und stießen mit einem glucksenden Ruck die Luft heraus, eine Art bild­licher und tönender Nachahmung, wie die windge­bauschten Stralsunder Segel in die Dänenflotte ge­stoßen. Aber old Peer allein sprach:Dat weer de dudesche Hanse." Dabei schienen seine beiden Augen ihre Höhlungen nach allen Richtungen aus­zudehnen und zu zwei großen grellflammenden Blendspiegeln anzuwachsen. Und danach hob er den Arm, ließ die Faust auf den Tisch fallen und ries:Wo is se blewen? Jk seh' nix as Water

uu Wind! Wo is de dütsche Hanse blewen? Weest Du dat, Tileman Luchterhand?"

Die letzte Frage sprach Einen an, der ihm grad' in den Wurf fiel. Es kam noch ein junger Schiffer durch die Thür, sichtlich eben aus hohem Seegang an's Land, denn sein Hansup war nicht nur gischtbespritzt, sondern triefend durchnäßt. Sein Kops bückte sich bei'm Eintritt etwas vor, gewohn­heitsmäßig schien's, wenn er sich voll aufrichtete, stieß sein störriger Scheitelwirbel an die Deckbalken. Von Vaterabkunft her hieß er eigentlich Tileman Daub, aber er ward von Kindheit aus stets nur Luchterhand genannt, weil er linkshändig war. Von seinen Hünenschultern ragte der Kopf auf einem schlankeren Hals, als dem der übrigen Stubenin­sassen, doch auch in seinem Gesicht war etwas, was die Anderen nicht besaßen. Wo's lag, ließ sich, zumal in dem trüben ^lackerlicht von Lampe und Herdseuer, nicht gleich finden.

Wat hefft Ji, old Peer?" antwortete er, die