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Wilhelm Pensen.
„Se kamt — wenn se dat Water twingt, dat is vk vor uns dat letzt."
Nur Tileman Luchterhand sprang auf und rief: „Sünd wi Stock un Steen, to toben, bet se öwer uns kamt?"
Aber er ward überdröhnt von einem hausschüt- ternden Fanstschlag auf die Tischplatte, daß die Näpfe kollerten. Aufspringend hatte Old Peer ihn heruntergedonnert, stand mit den aufgerisfenen Augen wie eine heranrollende fchaummähnige Welle und schrie:
„Du Heft em sehn, Berndt? He schall achtern Walfisch vertelln, dat de Hansen noch up't Water sünd! Rut, Jungens! Up den Wallensteiner! Wer löppt mit mi nt? Min Snigg heet Clas vnn de Lipp!"
Die Stille in der niedrigen Stube war mit einem Schlage in lautes Stimmengetöse verwandelt. Tile- mans Ruf scholl zuerst nach: „Rut mit old Peer! En Wif, de vunnacht up't Dröge sitt!" und es war keiner, der mit Wort oder Miene Widerrath leistete. Zugleich fuhr eine unvermuthete Rührigkeit in alle langen, ungelenk scheinenden Gliedmaßen; wie bei einem jähen Sturmstoß auf der See ihre Arme und Beine in die Gaffeln hinaufflogen, so sprangen ihre Füße vom Sitz. Gesprochen ward nichts mehr, lautloses Gedränge ging durch die Thür, theilte sich hierhin und dorthin den Dorfhäusern und Hütten von Olde Vehr zu. Nur kurze Zeit verging, dann kam's überallher zurück und sammelte sich an der Fährbrücke; wie die 'kleinen Trupps dort zusammengetrvffen waren, machten sie ungefähr die doppelte Kopfzahl von denen aus, die zuvor in der Stube Peter Schüddekops gesessen. Jeder trug eine Axt oder einen Spitzkolben in der Hand, auch jetzt fiel kaum ein Wort, die dunklen, nur in Umrissen unterscheidbaren Gestalten verschwanden eilig in einige Böte, Ruder schlugen rundum ein, und gleich schwarzen taumelnden Schatten zog's über den Gellen. Die Nacht war finster, doch nicht vollkommen lichtlos, nach Osten zu sprenkelten sich einzelne Helle Flecken über den Himmel und thaten kund, daß der Mond hinter den' fliegenden Wolken aufstieg. Eine Weile tanzten die kleinen Fahrzeuge in gleicher Richtung über das glucksende, weißquirlende Wasser, dann hob sich etwas größeres Schwarzes, aus und nieder schaukelnd, vor ihnen. Die Häringssnigge old Peers war's, blitzschnell ging's aus der ersten Jolle am Fallreep empor, die Insassen der nachkommenden enterten am Backbord auf. Mit unglaublicher Hurtigkeit waren die Bote an die Wanten gehißt, das Ankertau rollte am Gangspill in die Höh, Segel knatterten im Wind, bauschten und bogen die Masten des nordwesthin sortschießenden Schiffes. Zur Linken hoben St. Nieolai und St. Marien ihre schwarzen
Thurmsilhouetten über Stralsund gegen den Horizont, hinter ihnen landeinwärts glühten als rothe Flecke da und dort die Wachtfeuer der Belagerer. Von St. Jaeob schlug's zehn Uhr, verhallend trug der Wind den Schall der kreuzenden Snigge nach. Sie machte ein paar Schläge zwischen den flachgestreckten, dunklen Küstenlinien Rügens und des pommerschen Festlandes hin und wieder, bis sie sich durch das enge Fahrwasser in's Freie gearbeitet. Dann schnitt sie mit günstigstem Wind gradaus durch die breite Bucht unter Hiddens-Oe in die See.
Das dämmernde Halblicht nahm zu, denn der Mond stieg höher. Manchmal flog ein plötzlicher weißer Glanz ans, daß einen Augenblick alles Takelwerk der Masten gleich einem vielsädig ausge- spannten Netz in der Lust stand; rasch draus verschwand es wieder wie vom Wind zerrissen und über die See davongewirbelt. Ueber die Wolkenlücke, durch welche die Mondscheibe flüchtig vorgeblitzt, war es schwarz heraufgejagt, und Alles lag wie zuvor nur in einem allgemeinen ungewissen Zwittern. Im Vordermastkorb hockte Joost Söke- land; er suchte jetzt nicht Land, sondern sein Blick lugte rastlos nach dem Auftauchen eines dunklen Körpers über den Wogenbergen und Thälern. Alle drunten am Bord thaten das Gleiche, doch ein Wellengischtmantel umschleierte zumeist das Schiss.
Old Peer hielt das Steuer, Tileman Daub lies hin und her, wo's zu schaffen gab. Nun gebot er Einem, an dem er vorüberkam: „Seit den Bntenklüwer bi!" Einer der kurzen Lichtblicke brach hervor und warf seinen Schein unter dem breiten Südwester auf das Gesicht des Angesprochenen und über sein bernsteingelbes, im Nacken aufgeknotetes Haar. Mit einem Kopfruck hielt Tieleman stutzend an, unter der Krämpe schillerten die Meeraugen Swaneke Schüddekops ihm entgegen. Ohne daß er sie bemerkt, hatte sie sich mit eingeschifft. Sie erschien völlig allen Uebrigen gleich, trug einen dicken Wollenhansup ihres Vaters und einen blinkenden Spitzhammer in der Hand.
Halb noch ungläubig stieß er hervor: „Du? Wat wist Du hier up't Water?"
Sie gab mit trotzigen! Mund Antwort: „Du Heft seggt, Wiver bliwt to Hus. Dach'st, ik weer een davnn?"
Nun suhr's ihm unwirsch durch die Zähne: „Dat Schip brukt so'n Ballast nich, de hört an'n Melkpot!"
Ohne Erwiderung drehte sie sich und setzte nach seinem Geheiß den Außenklüwerbaum bei, als ob sie eine weibliche Arbeit im Haus verrichte.
Gleich danach rief Joost Sökelands Stimme von oben durch das Gepseis der Lust: „Ik seh ein luv up!"
Alle Hälse reckten sich ein paar Minuten noch