34
Wilhelm Fensen. An der See.
Nun durchfuhr rhu ein Gedanke. Die schmale Insel war ihm auf Schritt und Tritt bekannt und so auch die Bewohner der kleinen, da und dort an ihrem Rand verstreuten Fischerhütten. Mit verdoppelter Schnelligkeit durchspalteten seine Hände die Wellen, um an's Ufer zu gelangen; der hohe Seegang ließ unter dem Dünenhang des Eilandes bereits nach, bald berührte sein Fuß in seichterem Wasser den weichen Sand. Hurtig lief er vorwärts, und um wenige Minuten später polterte seine Faust an die Thür einer der armseligen Hütten. Vom Schlaf auffahrend, kam ein alter Fischer hervor, hülf- bereit und ohne Staunen, denn nächtliches Antreiben von Schiffbrüchigen an der Küste zählte nicht zu seltenem Vorkommniß. Nach kurzem Wechselwort händigte er Tileman bereitwillig seinen eigenen Hansilp und einen alten Mantelrock seiner lang verstorbenen Frau ein, und bekleidet lief der junge Fischer an den Strand zurück.
Mit Kieseln und Muscheln glitzernd, lag dieser jetzt von wolkenloser Mondhelle übergossen. Nur mit einem leichten Schaumkamm sich kräuselnd, rollten die Wogen hier lang-gleichmäßig an's Ge- stad, weißbrüstige Möven schossen drüber und verschwanden kreischend im rinnenden Licht. Doch da kam nordaufwärts über den gelben Sandboden durch das Strahlengeflimmer eine Menschengestalt, vom Scheitel bis fast zu den Knien herab wie mit Goldfäden übersponnen. Und nun hielt Tileman Daub den Fuß, schleuderte den mitgebrachten Rock vor sich hinaus und rief: „Da is en Kled vor Di, dat Du nich früst!"
Aber gleichmüthig schritt die Gestalt weiter aus ihn zu. Sie raffte keinen Stein auf, sondern legte, bis an ihn hinantretend, den Arm ihm um den Nacken und sprach: „Du Heft um mi friet, un de Vadder het mi Di tospraken. Jk kunn Di nich ehnder den Brudkuß geben, Tileman Luchterhand."
Sich vorbiegend, küßten ihre Lippen durch das Bernsteinhaar seinen Mund. Ihre Stimme sprach sanft und weich, etwas wie ein leiser Klageton klang durch sie hin. Und traumhaft stand sie da, ganz ihrer selbst vergessend, doch auch sonst nicht, wie früher. Sie erschien ihm klein, die Wucht der Glieder von ihr abgefallen, wie der harte Trotz von ihrem Gesicht. Das war keine Schildwalkyre mehr, sondern eine Schwanenjungfrau Odins, der ein Sterblicher am einsamen Seegestad ihr Gewand geraubt und sie dadurch in seine Gewalt gebracht. Zu einem schwachen, irdischen Weibe geworden, folgte sie ihm unterwürfig als Gattin, wohin er sie führte. So raunte es am Herd in der Stnrm- nacht noch fort, daß diese weiße Dünenküste es in den Tagen der alten Vorväter-Gotter gesehn.
Auch Tileman Daub stand, von Wind und Wasser umrauscht, wie in einem Traum. Ihm
kam schauernd das Gedächtniß der alten, oft belauschten Sage, und leise, kaum vernehmbar, raunte er: „Hess ik Di, Swanenfru? Davor hebbt se Di Swaneke nennt, Du stammst vun de Art."
Doch nun stieß er jäh heraus: „Du früst — treck Di an!" Er bückte sich rasch, hob den Mantelrock vom Boden, warf ihn um sie, und das wundersame Bild war aus dem Mondglanz verschwunden.
„Kumm!" Er faßte ihre Hand. Aber sie warf sich . auf die Knie und griff nach seiner rechten Hand, über die sie am Abend das siedende Wasser geschüttet. Und mit dem Klageton von zuvor sagte sie: „Deckst et uoch weh? Dat het mi in't kole Water brenut as Füer", und sie drückte demüthig ihre Lippen aus die rothe Blase der verbrannten Hand.
Nun gingen sie zusammen der Fischerhütte zu, wo das Mädchen völlige Bekleidung erhielt. Der traumhafte Zauberbann der Mondnacht war vorüber, und seltsam übergoß jetzt, als sie, vom Hals bis zu den Füßen verhüllt, zu Tilemau aus der Kammer zurücktrat, ihr Antlitz blutrothe Scham. Mit dem alten Fischer bestiegen sie das Segelboot des letzteren und steuerten südwärts den Gellen hinauf.
Das leichte Fahrzeug flog hurtig am Strand von Hiddens-Oe entlang, der Mond stieg abwärts und zeigte ihnen im Versinken die hochmastige Kogge, die noch mühsam mit dem Gegenwind kämpfend, erst den Eingang der schmalen Enge des Strela- sundes erreicht hatte. Nun war das weiße Licht der Nacht erloschen, nur im Osten stand ein falber Strich des ersten Morgeuscheins. Die Insassen des Bootes nutzten einen Augenblick, in welchem das Schiff die Segel umlegte und während des Stillstandes der Drehung glitt die kleine Jolle mit ihrem braunen Segel wie ein dunkler Schatten behend unter das Fallreep der Kogge. Gleich zwei Eichkatzen schnellten Tileman und Swaneke sich an die Taue hinüber, und das Boot flog schon wieder im Wind seitab.
Niemand am Bord hatte im tiefen Dunkel etwas davon wahrgenommen, wie Keiner ihre Abwesenheit bemerkt. Peter Schüddekop saß noch, wie zuvor, auf seiner Kiste und blickte reglos in die Nacht; jetzt trat Tileman Daub an ihn hin und sagte:
„Jk Hess mit Swaneke spraken; se will."
„Godt, min Söhn", antwortete der Alte, „se kriggt de Snigg to Utstüer."
Weiter ward kein Wort gewechselt. Es dämmerte, Tileman und Swaneke standen mit verschränkten Händen an der Brüstung, über die er sie in die Tiefe mit sich gerissen. Auch sie redeten kaum; er lachte nur einmal: „Dat weer hitt un
kold Water vunnacht", und sie sprach zurück: „Du