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vr. Rainer v. Reinöhl.
Lithauer im Osten und die 150,000 Dänen im Norden. Die nördlichen Provinzen Belgiens (West- und Ost-Flandern, Limburg und Antwerpen) haben die germanischen Vlämen, die südlichen (Lüttich, Namur und Hennegau) die französischen Wallonen inne, nur Brabant ist gemischt und zwar vorwiegend französisch. Auf die Vlämen entfallen drei Fünftel, auf die Wallonen zwei Fünftel der Bevölkerung; beide Bevölkerungstheile find räumlich ziemlich deutlich durch eine vielfach gekrümmte Linie Won Menin nach Tongres geschieden. Die Hauptstadt Brüssel ist zum größeren Theile vlämisch; es giebt zahlreiche gemischtsprachige Gemeinden; die Zahl der Wallonen in den vlämischen Gebieten ist größer als die der Vlämen in den wallonischen Laiwestheilen. In der Schweiz berührt sich der Sprachboden der Italiener und Franzosen mit dem deutschen Stammesgebiete; pon den 2P^ Millionen Einwohnern betragen die Deutschen 70 Procent, die Franzosen 23 Procent, die Italiener 5.5 Procent; dazu kommen mehr als 1.5 Procent Ladiner. Nur 6 der 22 Cantone der Schweiz sind gemischtsprachig, nämlich Bern (83 Procent Deutsche, 17 Procent Franzosen), Freiburg (73 Procent Franzosen, 27 Procent Deutsche), Wallis (67 Procent Franzosen, 33 Procent Deutsche) und Graubündten (44 Procent Deutsche, 41 Procent Ladiner, über 14 Procent Italiener und beiläufig ^ Procent Franzosen); gemischtsprachige Gemeinden fehlen fast gänzlich.
Es werden also in Belgien nur 2, in der Schweiz 3 culturell vollständig gleichwerthigeSprachen gebraucht und eine vierte, die ladinische, welcher jedoch nur eine verschwindende Zahl der europäischen Bevölkerung in Graubündten und Tyrol angehört und die fast ohne Literatur ist. Schon daraus geht hervor, daß jeder Vergleich der österreichischen Sprachenverhältnisse mit den in diesen Ländern bestehenden Zuständen von Haus aus hinfällig ist; dasselbe gilt von den andern sprachlich gemischten Staaten Europas. Zwar ist die Zahl der in Oesterreich angesiedelten Nationalitäten, selbst wenn man auf die wenigen Armenier, Griechen und Albanesen Rücksicht nimmt, noch immer bedeutend kleiner als jene Rußlands; aber doch hat die letzte Volkszählung, die erste in Oesterreich, welche unter der Rubrik „Umgangssprache" die Nationalität zu erheben versuchte, nicht weniger als 9 Umgangssprachen ausgenommen. Nach dieser Zählung machen die Deutschen 36.8 Procent, die Tschechen mit den Slovaken 23.8 Procent der österreichischen Bevölkerung aus, die Polen betragen 14.8 Procent und die Ruthenen 12.8 Procent; auf die Slovenen entfallen 5.2 Procent, auf die Italiener 3 Procent und die Serbokroaten 2.6 Procent. An letzter Stelle kommen die Rumänen mit 0.88 und Magyaren mit 0.05 Procent der zuständigen Bevöl
kerung. Die Deutschen sind demnach allerdings das verbreitetste Volk Oesterreichs und sind auch jedem anderen Stamme an Zahl doppelt und dreifach überlegen, sie bilden aber nicht wie die Russen oder gar wie unsere Brüder im Reiche die überwiegende, ja überhaupt nicht die absolute Mehrheit im Reiche. Ferner ist ihr Sprachgebiet von den Gebieten der anderen Stämme durchaus nicht so glücklich geschieden, wie dies in den übrigen europäischen Staaten gemischter Bevölkerung der Fall ist. Denn wenn auch die Deutschen in der Mitte des Reichs, in den Alpenländern, in geschlossener Masse ohne fremde Beimengung sitzen, so grenzen sich ihre Wohnsitze doch durch eine überlange Linie mit unzähligen Windungen und Krümmungen gegen die Ansiedlungen der übrigen Völker ab, dringt der deutsche Sprachboden insbesondere im Norden hiermit einer schmalen, wenig widerstandsfähigen Zunge in das tschechische Gebiet ein und läßt dagegen dort in einem breiten Busen oder in einem engen Canal die slavische Flut weit in sein Inneres einbuchten. Zudem lebt ein großer Theil unserer Stammesgenossen in ganz von fremdem Volksthume umschlossenen, meist kleineren Sprachinseln, so in Böhmen allein an die 150,000 Köpfe. Ja im inneren Mähren und in Südsteiermark wird das deutsche Element mit Ausnahme weniger, bereits stark zersetzter und bedrohter Sprachinseln von nicht bedeutender Größe ausschließlich durch die Mehrheiten der Städte, wie Lundenburg und Leipnik, wie Marburg und Cilli gebildet. Ferner kann nur die ladinische Sprache mit jener der spanisch-französischen Basken oder der Kelten auf eine Linie gestellt werden, während die übrigen österreichischen Landessprachen zum Theil wenig unter oder auf, ja sogar über der Höhe der vlämischen Sprache stehen. Wenn sich freilich jüngst der Führer der Alttschechen, Rieger, in der Prager Landstube zur Behauptung verflieg, die tschechische Sprache sei eine ältere Cultursprache als die deutsche und sich am selben Tage in derselben Landstube der jungtschechischen Führer, Gregr zum Ausspruch permaß, die Deutschen seien nicht werth, den Tschechen die Schuhriemen aufzulösen, so können sie dadurch wohl Zweifel an ihrer geistigen Gesundheit erregen, vermögen aber nimmermehr die Sprache ihres Volkes der deutschen und italienischen ebenbürtig zu machen. Nur die Nationalitätenverhält- nisse Ungarns sind in Bezug auf die räumliche Anordnung und die auf die einzelnen Stämme entfallenden Antheilszahlen den österreichischen ähnlich. Die Magyaren nehmen nämlich, von Kroatien und Slavonien abgesehen, in Ungarn mit 49.88 Procent der Gesammtbevölkerung die Mitte des Landes ein und haben auch außerhalb derselben eine weite Verbreitung. Ihnen zunächst stehen die Rumänen mit 16.05 Procent und Deutschen mit 14.29 Procent,