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Or. Rainer v. Reinöhl.
Wünsche, die mit dem Unterrichtswesen und der Verbreitung der heimischen Erziehung in Verbindung stehen, zuweilen durch diese Vereine der Regierung unterbreitet werden. In Canada wurde die Jahrzehnte andauernde Gährung in der französischen Bevölkerung durch die im Jahre 1867 gewährte Gleichstellung der französischen und englischen Sprache zwar besänftigt, und von Lostren- uungsbestrebungen ist seitdem wenigstens nicht mehr die Rede; daß es aber auch hier an Unzufriedenheit nicht fehlt, beweist die im letzten Jahre erfolgte Erhebung de Riel's. Im Caplande führten die Holländischen Boers mit der ihnen eigenthümlicheu zähen Ausdauer den Kampf um größere Berücksichtigung ihrer nationalen Eigenart. Reicher an Erfolgen waren die nationalen Bestrebungen in den europäischen Staaten. Die Blämen haben die Verdrängung ihrer Sprache in die Gemeinderäthe kleiner Städte und Dorfgemeinden schon in den Dreißiger Jahren mit einer literarischen und archäologischen Bewegung beantwortet, an der neben dem berühmten Rvmanier Hendrik Conscience der österreichische Schriftsteller Kuranda rühmlichen Antheil nahm. Der vorläufige Erfolg dieser Bestrebungen, die bald auf das politische Gebiet Übergriffen, waren die Gesetze vom Jahre 1873 „über die Anwendung der vlämischen Sprache im Strafverfahren" und vom Jahre 1878 über die Anwendung derselben „in Verwaltungs-Angelegenheiten". Noch weiter zurück reicht die Bewegung der Fennomauen im Großfürstenthum Finnland, gegen deren Auswüchse der Schöpfer der finnischen Schriftsprache, Elias Lönnrot, selbst seine warnende Stimme erheben mußte. Dem deutschen Volke hat die bewegende Kraft unserer Tage, der nationale Gedanke, das köstliche Geschenk der Einheit bescheert und ihm als Wiegengabe den Gewinn der vielumstrittenen Nordmark Schleswig und des tausendjährigen Zankapfels Elsaß-Lothringen zugedacht und hat endlich die alte, welthistorische Verbindung mit dem gleichfalls geeinten Italien in der einer vorgeschrittenen Zeit entsprechenden, geläuterten Form der Freundschaft wieder hergestellt. Leider wird aber der Gewinn im Westen und Norden durch lange unbeachtete, aber höchst bedeutende Verluste im Osten und Süden reichlich ausgewogen. In den Ostseeprovinzen ist der Jahrhunderte alte Gegensatz der esthnischen und lettischen Bauern gegen den deutschen Gutsherrn und Bürger durch die besonders seit der Mitte der Sechziger Jahre stetig anwachsende panslavische Bewegung in Helle Feindschaft ausgebrochen, welche vor Mord und Plünderung nicht zurückschreckt und einer deutschfeindlichen Regierung die erwünschte Handhabe zur Vernichtung des Deutschthums in diesen Gegenden und seiner Sonderstellung verleiht. In den östlichen Provinzen Preußens geht nach
dem Ausspruche des Reichskanzlers und H. v. Putt- kamers infolge 'einer nationalen Agitation, welche aus den Vierziger und Fünfziger Jahren stammt, insbesondere in den letzten anderthalb Jahrzehnten, eine nationale Verschiebung zu Ungunsten des Deutschprotestantischen durch die katholisch-polnische Nation vor sich. Im unteren Donaubecken ist der seit dem unheilvollen Frieden zu Belgrad 1739 eiugetretene Rückgang österreichischer Macht und deutschen Einflusses durch die Erhebungen der sla- vischen Völker unter russischem Schutze besiegelt worden. Die bedauerlichste Einbuße erfuhr uud erfährt aber deutsches Wesen seit den Tagen Josephs II. in Oesterreich; insbesondere machten die Stürme des Jahres 1848 die slavische Flnth steigen und das Jahr 1860 hat ihr die Dämme geöffnet. In Galizien, welches sich bis in die Zeit Josephs II. reicher deutscher Einwanderung erfreute, trat in den Fünfziger und Sechziger Jahren ein Rückschlag gegen das deutsche Volk ein, welcher in den größeren Orten und den polnischen Kreisen des westlichen Galizien begann. In Ungarn wurden die zwei Millionen deutscher Staatsbürger, deren immer gleiche Treue selbst die ungarischen Regierungsblätter anerkennen müssen, unter das Joch der ungarischen Staatsnation gebeugt uud insonderheit die Siebenbürger Sachsen ihrer alten, verbrieften Rechte beraubt. Für die deutsch-tschechischen Länder gilt heute in erhöhtem Maße der Ausspruch, welchen der berühmte Statistiker Ficker schon im Jahre 1869 gethan: „Das slavische Gebiet, na
mentlich in Böhmen und Schlesien, drohte sich im vorigen Dezennium stark auf Kosten des deutschen zu erweitern, da ein Theil des hier sehr bedeutenden Großgrundbesitzes und seiner Beamten, sowie der Kirchenhäupter und des jüngeren Klerus mit der ausdauernden Rührigkeit der tschechischen Partei zusammenwirkte und selbst der Aufschwung der Industrie durch Hereinziehung slavischer Arbeiter in die deutschen Orte wesentlich mithalf." Kraiu, in welchen bis dahin stets germanische Bildung die erste Rolle gespielt, wurde vom Ministerium Belcredi (1865—67) den Slowenen und ihrem Klerus als gute Beute ausgeliefert, so daß wie aus Ungarn und Galizien eine förmliche deutsche Auswanderung aus diesem alten Reichslande begann. Und wenn auch die Deutschen uud Slaven längs der ganzen Sprachscheide in Südsleiermark und Kärnthen bis aus unsere Tage im freundnachbarlichen Verhältnisse mit einander lebten, so faßt doch nunmehr auch hier die nationalslavische Propaganda immer festeren Fuß, verklingt der deutsche Laut in einzelnen Außenposten, wo er früher häufig gehört wurde, allmählich und macht der Alleinherrschaft des Slowenischen wieder Platz. In Triest ist im Laufe der letzten 37 Jahre die deutsche Bevölkerung aus die