Heft 
(1.1.2019) 02
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knüpfenden Kastellans-Vortrag in einen umgekehrt sich mit dem Verschwundenen beschäftigenden Ge­schichts-Vortrag umwandelte. Voll richtigen Instinkts ersah er hierbei den Werth der historischen Anek­dote, die denn auch beständig aus der Verlegenheit helfen mußte.

Rosa, deren Wißbegier auf ganze Säle voll Rubens und Snyders, voll Wouvermanns und Pot- ters rechnete, hielt sich selbstverständlich unausge­setzt in der Nähe des Kastellans und mühte sich durch allerlei klug gestellte Fragen seine besondre Theilnahme zu wecken.

Und in diesen Räumen also haben die Qued- linburger Aebtissinnen residirt?" begann sie mit er­heucheltem Interesse, denn es lag ihr ungleich mehr an Bärenhatz und Sechszehnendern, als an Por- traits mit Pompadourfrisuren.In diesen Räu­men also . ."

Ja, meine gnädigste Frau," antwortete der Ka­stellan, der unsre Freundin um ihres muntern We­sens und vielleicht auch um ihres Embonpoints willen für eine glücklich verheiratete Dame nahm. Ja, meine gnädigste Frau, wirklich residirt, das heißt mit Hofstaat und Krone. Denn die Qued- linburger Aebtissinnen waren nicht gewöhnliche Klo- ster-Aebtissinnen, sondern Fürst-Abbatissinnen und saßen von Mechtildis, Schwester Otto's des Großen an, bei den Reichsversammlungen auf der Fürsten­bank. Und hier im Schlosse war auch der Thron­saal. Es ist der Saal nebenan, in welchem ich die gnädige Frau vorweg bitten möchte, die rothen Da­masttapeten beachten zu wollen. Es ist Damast von Arras."

Und damit treten alle, von einem kleinen, bis dahin besichtigten Vorzimmer her, in den großen Thronsaal ein, darin, neben der so ruhmvoll er­wähnten Damasttapete, nur noch der getäfelte Fuß­boden an die frühere Herrlichkeit erinnerte.

Rosa sah sich verlegen um, was dem Führer nicht entging, weshalb er seinen Vortrag rasch wieder anfnahm, um durch Erzählungskunst den absoluten Mangel an Sehenswürdigkeiten auszugleichen.Also, der Thronsaal, gnädige Frau," hob er an.Und hier wo die Tapete fehlt, genau hier stand der Thron selbst, der Thron der Fürst-Abbatissinnen, ebenfalls roth, aber von rothem Sammt und mit Hermelin verbrämt. Und mit dem zuständigen Wap­pen: Zwei Kelche mit einem Pokal."

Ah," sagte Rosamit zwei Kelchen und einem Pokal . . Sehr interessant."

Und hier," fuhr der Kastellan, während er auf einen großen aber leeren Goldrahmen zeigte, mit einer immer volltönender und beinah feierlich wer­denden Stimme fort,hier in diesem Goldrahmen befand sich die Hauptsehenswürdigkeit des Schlosses: der Spiegel aus Bergkrystall. Der Spiegel aus

Bergkrystall, sag ich, der sich zur Zeit in den skan­dinavischen Reichen und zwar in dem Königreiche Schweden befindet."

In Schweden!" wiederholte St. Aruaud.Aber wie kam er dahin?"

Aus Umwegen und durch allerlei seltsame Schick­sale," nahm der Kastellan seinen historischen Vortrag wieder aus.Unsre letzte Fürst-Abbatissin war nämlich eine Prinzessin von Schweden, Josephine Albertine, Tochter der Königin Ulrike, Schwester Friedrichs des Großen. Ueber 20 Jahre hatte Jv- sephine Albertine hier glänzend und segensreich re­sidirt und sich an dem Krystallspiegel, der ihr Stolz und ihr Lieblingsstück war, erfreut, als diese Ge­genden eines Tages westphälisch wurden und unter König Jerome kamen. Da mußte sie sich trennen von ihrem Schloß, sammt allem was darinnen war und natürlich auch von ihrem Spiegel. Denn es ward ihr kaum Zeit gelassen zum Nothwendigsten, ge­schweige zum Einpacken und Mitnehmen dessen, was ihr das Liebste war."

Und was wurde?"

Nun, König Jerome, der, wegen dem ewigen »Morgen wieder lustik sein« sehr viel Geld brauchte, stand alsbald vor der Nothwendigkeit, das ganze Schloßinventar unter den Hammer zu bringen, und eines Tages hieß es in allen Zeitungen, deut­schen und fremden, daß, neben den anderen Schätzen des Schlosses, auch der berühmte Krystallspiegel ver­steigert werden solle. Das war der Moment auf den Prinzessin Josephine Albertine, die mittlerweile nach Schweden zurückgekehrt war, denn die Bernadottesche Zeit war noch nicht da, gewartet hatte, weshalb sie nunmehr raschen und strikten Beseht gab, auf den Spiegel zu fahnden und jeden Preis zu zahlen, zu dem er angesetzt oder am Auctionstage selbst hin­auf getrieben werden würde. Wie hoch er kam, weiß ich nicht; nur das Eine weiß ich, daß es ein Vermögen gewesen sein soll. Ich habe von einer Tonne Goldes sprechen hören. Unter allen Um­ständen aber kam der Spiegel nach Schweden, nach Stockholm, woselbst er sich bis diesen Tag befindet und im Ridderholm-Museum gezeigt wird."

Allerliebst," sagte St. Arnaud.Im Ganzen genommen ist mir die Geschichte lieber als der Spiegel," eine Meinung, die von Gordon und Rosa vollkommen, keineswegs aber von Cacile getheilt wurde. Diese hätte sich gern in dem Krystallspiegel gesehen und war während der zweiten Hälfte der ihr viel zu weit ausgesponnenen Erzählung an ein offen stehendes Balkonsenster getreten, das nicht nur einen Blick auf das Gebirge, sondern auch aus die weiten Gartenanlagen hatte, die sich, im Halbkreis, um die Schloßfundamente herumzogen. In diesen Gartenanlagen wechselten Strauchwerk und Blumen­terrassen, was aber das Auge Eöciles bald aus-