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Theodor Fontane.
„Clothilde muß von ihr wissen," sprach er vor sich hin. „Und wenn sie nichts weiß, so doch von ihr hören können. Liegnitz ist just der Ort dazu, nicht zu groß und nicht zu klein, und was das Regiment nicht weiß, das weiß die Ritter-Akademie. Die Schlesier sind ohnehin mit einander verwandt und haben einen schwatzhaften Zug. Schwatzhaftigkeit, Eigensinn und »so gerne« hat Rübezahl jedem der Seinen in die Wiege gelegt. Ja, Clotilde muß es wissen, an sie zu schreiben, Hab' ich ohnehin, und so denn kvo birÜ8 aütll orm ktorm. Fräulein Schwester wird freilich sommerlich ausgeflogen und irgendwo im Gebirge sein, in Landeck oder in Reinerz, oder gar in Böhmen. Aber was thuts? Die Post wird sie schon zu finden wissen. Wozu haben wir Stephan? Er kommt ja gleich nach Bismarck."
Und bei diesem Selbstgespräche die Havannah aus der Hand legend, nahm er ein Couvert und adressirte mit großer Handschrift: „Dem Fräulein Clotilde von Gordon-Leslie, Liegnitz, Am Haag 3. a." Dann schob er das Couvert wieder zurück, legte sich zwei kleine Bogen mit „Hexentanzplatz." und „Roßtrappe" zurecht und schrieb:
„Meine liebe Clotho. Genau vier Wochen heute, daß ich mich von Dir und Elsy verabschiedete. Vier Wochen fort aus Eurem traulichem Heim, aber erst seit einer Woche hier, weil ich, als ich von Liegnitz nach Berlin zurückkehrte, Briefe vorfand, die mich in geschäftlichen Angelegenheiten erst nach Hamburg und dann nach Bremen führten. Unr Euch wenigstens eine Andeutung zu machen, es handelt sich abermals um Legung eines Kabels. Von Bremen dann hierher, nach Thale, Thale am Harz, und nicht zu verwechseln mit einem gleichnamigen Kurort in Thüringen.
Es gereut mich nicht, diesen entzückenden Platz mit seiner erfrischenden und stärkenden Lust gewählt zu haben, denn Luft ist kein leerer Wahn, was der am besten weiß, der ihre mannigfachen Arten an sich selber erprobt hat. Wir gehen einer totalen Reform der Medizin oder doch zum Mindesten der Heilmittel-Lehre entgegen, und die Rezepte der Zukunft werden lauten: drei Wochen Lofoden, sechs Wochen Engadin, drei Monate Wüste Sahara. Ja selbst Malaria-Gegenden werden in kleinen Dosen verordnet werden, etwa wie man jetzt Arsenik giebt. Die große Wirkung der Luft-Heilmethode liegt in ihrer Perpetuirlichkeit, — man kommt Tag und Nacht aus dem Heilmittel nicht heraus.
Ein gut Theil dieser Heilmethode Hab' ich auch hier und so fühl' ich denn mehr und mehr die Verstimmung von mir abfallen, die mich, ohne rechten Grund, seit lange quälte. Nur bei Euch war ich frei davon. Die Partieen und Ausflüge liegen hier wie vor der Thür und so sieht man sich in der angenehmen Lage, Naturschönheit ohne jede Müh'
und Anstrengung genießen zu können. Daß es eine Schönheit kleineren Stils ist, schadet wenig. Ich bin oft genug bis 20,000 Fuß hoch umhergeklettert, um jetzt mit 2000 vollkommen zufrieden, ja sogar eigens dankbar dafür zu sein. »Ich liebe Weltreisen und möchte sie, wiewohl ich fühle, daß die Passion nachläßt, auch für die Zukunft nicht missen, aber ich bin andererseits kein Freund von Strapazen als solchen, und je bequemer ich den Congo hinauf oder hinunter komme, desto besser. Oekonomie der Kräfte.
Doch was Congo! Vorläufig heißt meine Welt noch Thale, »Hotel Zehnpfund«, ein wundervoller Hotelname, bei dem man sich, wie auf dem Bilde »Wo speisen Sie?« förmlich arrondircn fühlt und der sofort die Vorstellung weckt: hier ist es gut sein.
Und diese Vorstellung täuscht auch nicht. Es ist hier in der That gut sein, appetitlich und unter- haltlich, letzteres besonders seit drei Tagen, wo sich, durch Eintreffen neuer Gäste, die Table d'hote belebt hat. Unter diesen Gästen ist ein alter Emeritus, mit dem ich mich schon vorher anfreundete, seit Dienstag aber hat er vor einer neuen Bekanntschaft einigermaßen zurücktreten müssen: Oberst St. Arnaud und Frau. Er, trotzdem er »a. D.« ist (nicht bloß »zur Disposition«) Garde-Offizier troni top to too, sie, trotz eines languissanten Zuges, oder vielleicht auch um desselben willen, eine Schönheit ersten Ranges. Wundervoll geschnittenes Profil, Gemmenkops. Ihre Augen stehen scharf nach innen, wie wenn sie sich suchten und lieber sich selbst als die Außenwelt sähen, — eine Besonderheit, die, von Splitterrichtern, sehr wahrscheinlich ihrer Schönheit zum Nachtheil angerechnet und mit einem ziemlich prosaischen Namen bezeichnet werden wird. Es giebt ihr aber entschieden etwas Apartes und wenn ihre beanto wirklich Einbuße dadurch erfahren sollte, was ich nicht zugeben kann, so doch sicherlich nicht ihr Reiz. Sie verzieht mich ein wenig und zwar in einer ganz eigenthümlichen Weise, der ich Coquet- terie nicht znschreiben und auch nicht ganz absprechen kann. Ich stehe vor einem Räthsel, oder doch mindestens vor etwas Unbestimmten: und Unklarem, das ich aufgeklärt sehen möchte. Und dazu, meine liebe Clothilde, mußt Du mir behülflich sein. Du weißt ja den Genealogischen halb und die Rangliste ganz auswendig, hast das Offiziercorps Eurer berühmten Garnison eingetanzt und kennst die nachbarlichen Wahlstätter Kadettenlieutenants, die sich so ziemlich aus allen Provinzen rekrutiren. Du mußt also 'was erfahren können. Daß er mehrere Jahre lang ein Garde-Bataillon commandirte, weiß ich; er hat sich gestern Abend, als ich von einem Concert mit ihm heimkehrte, selbst darüber ausgesprochen. Warum aber nahm er den Abschied? Warum zieht er sich augenscheinlich aus dem, was mau Gesellschaft nennt, zurück? Vor allem jedoch,