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Woldemar Äaden.
die eigenartige Militairversassung derselben machte die Dnrchsühricng der sprachlichen Gleichberechtigung sogar in der Armee möglich. Für jeden Truppen- lörper ist nämlich die betreffende Nativnnlsprachc anch Commandosprache; natürlich wird dafür Sorge getragen, daß die einzelnen Truppenlörper ans Am ! gehörigen derselben Nationalität bestehen. Dagegen !
ist die Commandosprache der 10 finnischen Schützenbataillone, welche nnr zur Vertheidigung des eigenen Landes verwendet werden dürfen, das Russische; jedoch stehen sie ausschließlich unter finnischen Offizieren. Für die finnischen Militairangelegenheiten besteht eine eigene, unter Leitung eines finnischen Offiziers stehende Abtheilung im russischen Kriegsministerium.
Nach dem Italremschen des Dr-Marchi von
Woldemar Kadett.
ährend der Schwurgerichtsperiode des ver- gangenen Jahres fandeu in Como und trafen sich jeden Abend im Kaffeehaus „Zum Phönix" ein Maler, genannt der Herr Lionello, der Marchese von Mozzambieo, ein lentseliger, aber etwas tiefsinniger junger Mann, ein Getreidemakler ans Monza, genannt der Herr Giovanni, und ein Apotheker ans Brivio, dieser lang und dünn wie eine Spindel, die Seele voller Skrupel. Sic waren Geschworene in denselben Prozessen, aber die „Saison", wie der Maler sagte, ging schlecht; außer einigen Messerraufereien, ein paar Raubansällen, einigen Einbrüchen in Ställe, gab es wirklich gar nichts, was die Langeweile, sich in Como wie ein Hund an die Kette gebunden zu finden und fünf, sechs Stunden in einem von der Sonne durchglühten Saale zu sitzen, unterbrochen hätte.
Des Abends saßen sie gern beisammen, wenn auch zwischen der Redeweise des Malers und des Apothekers ein Unterschied bestand, wie zwischen der schwarzen Atlaskravntte des Herrn Marchese und dem Hängeknoten, der den Hals des Getreidemak- lcrs umschnürte. Sie tauschten ihre Meinungen über die Prozesse aus, auch darin, wenn sie nicht einig. Für den Maler waren alle Schelme Künstler; hätte man seinen Worten glauben dürfen, er würde an ihrer Stelle gerade so gehandelt haben; der Makler aber schalt auf die gottlosen Zeiten. Man müßte die Verbrecher die Schwere des Gesetzes fühlen lassen, das Hebel bei der Wurzel angreifen, alle vierzehn Tage ein paar, des guten Beispiels wegen, aushängen. Der Marchese, in Betrachtung der Rauchwolken seiner Havanna vertieft, schwieg immer, und der Herr Paolino, der Apotheker, immer von Skrupeln geplagt, immer in Furcht zu irren, hörte jeden Morgen zwei Messen, um nicht Gefahr zu laufen, dem Zuchthaus vorzuenthalten, was dem Zuchthaus gehörte. Sie langweilten sich aus friedfertige Weise.
Während die Braven eines Abends um das Marmortischchen her saßen, plaudernd, rauchend — auch der Herr Paolino machte einen kaninchenhast schüchternen Versuch —, schlug der Maler mit der stachen Haud aus den Tisch uud rief:
„Ah, heute bin ich wirklich recht froh!"
„Welches Wunder!" sagte lachend der Herr Giovanni. „Ich möcht's erleben, den Herrn Lionello einmal traurig zu sehen. Ihr Künstler seid doch glückliche Natureir!"
„Die Wahrheit zu gestehen, ich fing schon an mich zu langweilen; denn nach einer Woche, ausgefüllt mit Requisitorien, Vertheidigungsreden, Zen- genverhören uud bei dieser Hitze, sehe ich, daß auch der Herr Marchese eiu wenig an Langeweile zu leiden beginnt."
Der Marchese, ganz dem Rest seiner Cigarre hingegeben, erhob mit schläfrig-schmachtendem Ausdrucke die Augen zum Himmel.
„Nun, so erzählen Sie Ihr Glück," sagte der Makler.
„Rathen Sie, Herr Giovanni."
„O das ist rasch errathen: ein galantes Abenteuer."
„Kann sein! Ich habe hier in Como ein Modell entdeckt, ein Modell. . ." und Lionello küßte sich die Fingerspitzen.
Der Herr Paolino, aus Furcht, jetzt möchten verfängliche Gespräche anfs Tapet kommen, fragte:
„Wie hieß doch gleich jener Schuster aus Mis- saglia, der damals ..."
„Ach, was Sie jetzt mit Ihrem Schuster," brummte Herr Giovanni, „wir wollen den Maler hören."
„Ist dasModell jung?" fragte sanft der Marchese.
„Wer fragt bei einem schönen Weibe nach dem Alter? Die Schönheit ist ewig, nicht wahr, Herr Paolino?"
„Darauf verstehe ich mich nicht."