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woldemar Raden.
nach Hause kam, ich weiß es nicht, ich war außer mir vor Entzücken. Ich hatte meine, meine An- gelica gesunden! Gegen Abend sandte ich einige meiner Bilder in's Hotel und dann lief ich mich ein paar Stunden lang müde, um wieder zu mir selbst zu kommen und nicht den tausend wachen Träumen zu erliegen." —
Während Lionello so sprach, war der Marchese aus seiner gewöhnlichen Lethargie erwacht, seine Augen hatten sich mit einem eigenen Feuer belebt; der Herr Paolino nagte eifrig an seinem Daumen; der Advokat sperrte die Augen auf, Herr Giovanni den Mund, als säße er einem Zauberkünstler gegenüber. Das Ideal, das ihn zum erstenmal umflatterte, suchte ihm durch das dicke Maklersell zu dringen. Wenn der gute Mann an seine „Legitime" in Monza dachte, so schien sie ihm zu einer plumpen Masse geworden, zu einem wahren Fleischbündel im Vergleich mit dieser himmlischen Angelica, die der Maler auf den Tisch gezeichnet. Der Herr Paolino war innerlich vergnügt, sein Herz noch zur Verfügung zu haben.
Lionello fuhr fort: „Um zwei Uhr morgens sprang ich aus dem Bett, es war mir unmöglich länger zu liegen, und setzte mich an's Fenster. Eine zauberische Nacht! Die Luft, erfüllt von Blumenduft, wehete so weich und wonnig; ein leichter Regen war vorübergezogen und man hörte jetzt wie flüsterndes Lispeln die Tropfen von den Gartenbäumen fallen. Die Sonne wollte nicht kommen, es war, als sollte die Welt in dieser Nacht sich sanft auf- lösen wie ein Stück Eis in ruhigem Wasser. Endlich, endlich krähte der Hahn meiner Hausfrau (Lionello erhob Hals und Stimme): Kickerikih...!"
Alle sahen einander lächelnd an; die Gäste von drüben, die zu spielen aufgehört, traten bei dem lauten Kickerikih näher.
„Und dann begann, wie immer am Frühmorgen in den Zweigen ein lustiges Tschip-tschip-tschip, hier und da, die Spatzen erwachten, und dann, von drüben herüber, aus dem Hofe eines großen schwarzen Palastes, wieder ein Kickerikih!" Lionello verstand es ganz wunderbar, den Hahn nachzuahmen.
„Kickerikih!" krähete jetzt, angesteckt von der allgemeinen Fröhlichkeit, auch der Herr Giovanni. „Ach, die Künstler," rief er lachend, „die könnten selbst die armen Todten zum Lachen bringen."
„Die Sterne wurden bleicher und bleicher; die Luft durchlief bereits ein Hauch Lichtes, der vielleicht den Hähnen und Spaüen die Federn erwärmte. Kickerikih . . .!"
„Kickerikih!" schrie jetzt sogar der Apotheker und ließ seinerseits den Makler auf dem Sopha emporhüpfen.
Alles gerieth in ausgelassene Lustigkeit, bis auf
den Advokaten Melone, der quer in der Kehle ein Tyrannenscepter stecken hatte. Lionello fuhr fort:
„Ich trat aus dem Hause, als es eben vier schlug. Angelica hatte mir die siebente Stunde angegeben, ich hatte also drei Stunden Wartezeit vor mir. Ich fror und trat in ein Kaffee, mir an einem Gläschen Rum Wärme und Muth zu trinken; dann ging ich spazieren, plan- und ziellos durch die Gassen. Auch am Hotel kam ich vorüber und erhob die Augen zu ihrem Balkon, die Fensterscheiben glänzten schon vom ersten Morgengolde. Auf der St. Bartholomäus-Kirche schlug's sechs. Die Stadt begann langsam zu erwachen, viel zu langsam für meine Ungeduld. Ach, es war ja nicht das erstemal gewesen, daß ein blondes Mädchen mir Auf Wiedersehen zugerufen, aber keine war je so blond wie die schöne Angelica, keine hatte diese Angen, keine war Gräfin, wie sie; denn, lassen Sie mich's sagen, und Sie, Herr Advokat, schließen Sie die Ohren, man kann in Allem demokratisch sein, auch bei Tische, aber die Liebe kommt vou den Göttern und zieht vor, eher nackt zu gehen, als schlecht gekleidet. Es schlug sieben!"
„Ah!" athmete der Makler auf und rückte dichter an den Tisch.
„Ich zögere nicht länger, gehe direkt in's Hotel und frage den Portier, der eben seine Schuhe wichste, ob die Gräfin von Höchenheim ... er ließ mich nicht ausreden und fragte: »Sind Sie der Maler'?« — „Ja." — »Treten Sie ein.« Drinnen herrschte noch eine halbe Dunkelheit, links und rechts öffneten sich lange Gänge, in denen es nach Betten und Kissen roch; vor den Thüren standen paarweise Stiefel, Schuhe und Schühlein zum Verlieben. Im zweiten Stock nenne ich einer Frau in weißer Haube, so gut ich ihn hervorbrachte, den Namen der Gräfin von Höchenheim. Auch sie fragt: »Sind Sie der Maler?« — „Ja." — »Die Bilder sind hier, auch ein Brief für Sie ist dabei.« Ich folgte ihr irr einen kleinen Saal, wo auf einem Divan zwei meiner Bilder standen; es fehlten eine „Karthause", ein „Bauernhof" und ein „Rebengang im Sonnenschein," welche die Gräfin, wie mir jene Frau sagte, schon nach Deutschland geschickt hatte.
„Und sie?" fragten zwei, drei Stimmen um den Tisch her.
„Ich fragte die in der Haube: »Die Frau Gräfin ist vielleicht abgereist?«"
„Jawohl, mein Herr, diese Nacht."
„Oh, oh!" brachte der Herr Giovanni fast seufzend hervor.
„Wirklich abgereist?" fragte ich noch einmal, doch der Brief mußte mir das Räthsel ja lösen. „Ich werde die Bilder abholen lassen" und stürzte dann die Treppe hinunter. Ein gewaltiger Zorn hatte mich erfaßt! Und wenn der Brief in Deutsch