Angelica.
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geschrieben wäre? O die Weiber sind jedes Verbrechens fähig. Ich suchte einen einsamen Ort, meinen Brief zu lesen, ich mnßte lange laufen, aus allen Fenstern schien man meiner Schmach auszu- lanern. Endlich fand ich bei dem Teich eine leere Bank. Ans der Adresse stand nichts, als »An den Herrn Maler.« Das Couvert war versiegelt und trug unter einer großen Krone zwei reichverzierte Buchstaben. Ich offne es und lese . . . ."
„Ginegro," sagte Herr Paolinv, „mach' die Thüre zu."
„Mir noch ein Glas Bier," fügte Herr Giovanni hinzu.
„Und mir einen Cognak," der Marchese.
Der Advokat Melone ritt auf feinem Stuhle ganz dicht heran.
„Herr Maler," sagte der Brief, „ich bin abgereist, weil ich glaube, hier läßt sich kein passender Felsen zur Darstellung der Angelica finden; mein Ungeheuer sieht und bewacht mich. Dennoch erkläre ich mich als Ihre Schuldnerin binnen zwei Tagen im Hotel Pallanga, Lago Maggiore. Schweigen!" Jetzt hieß es nicht mehr, Luftschlösser bauen! Gräfin oder nicht, meine Bilder sollte sie mir bezahlen. Wollte die schöne Angelica Schabernack mit mir treiben, so weiß ich nicht, wer das Spiel besser gewonnen hätte, denn am Ende aller Enden hätte ich sie können arretiren lassen.
„Ich ging nach dem Hotel zurück und traf im Bureau einen behäbigen Alten, dem erzählte ich mein Abenteuer, um wo möglich etwas Näheres über die Gräfin von Höchenheim zu erfahren. — »Gräfin, izour aiiisi äiro,« sagte lächelnd der Alte. »Es ist das drittemal, daß sie durch Mailand kommt; das erstemal nannte sie sich »Marquise Le Beuf« und sprach französisch. Sehen Sie hier im Register: »15. Oktober 1880; Marquise Le Beuf«, ich habe ein Fragezeichen daneben gemacht. Das zweitemal kam sie mit ihrem Gatten: Fragezeichen, und hieß »Madame Pauloff«. Der Alte lachte herzlich. »Bezahlt sie denn wenigstens ihre Rechnungen?« fragte ich. — »Pünktlich und giebt reichlich Trinkgelder.« — »Ihr Gepäck, wissen Sie vielleicht, wurde nach dem Hotel Pallanza, Lago Maggiore, expedirt?« — »Stimmt!« — »Gehorsamer Diener«."
„Etwas beruhigter ging ich weg und unterwegs dachte ich: Gräfin oder nicht, es bleibt immerhin eine anbetungswürdige Angelica und auch Stuggiero, als er jene andre vom Felsen befreien wollte, fragte nicht erst nach ihren Adelstiteln . . . Ich gestehe Ihnen, liebe Freunde, wenn es zuvor Regen war, so wurde es jetzt Sturm. Die Entfernung, die List, das Geheimniß, jener See, die Flucht, das Versteckenspiel, die Liebe, die Furcht, die tolle Laune: Alles trug bei, die blonde Angelica, die Zauberin, die vagabundirende Gräfin, mit einem Reiz zu um
geben, der mich geradezu hinriß. Ich war nahe daran, verrückt zu werden. Was soll ich sagen? Ich sah mich bereits im zitternden Lichte des Mondes in einer Gondel auf den schlafenden Wellen, während von ferne herüber Guitarren- und Mandolinenklänge rauschten. Ich möchte hin! Von einem Freunde ließ ich mir so ein Hundert Lire vorschießen, werfe mich in meine Sonntagskleider, eile die Treppe hinab, während mir das Herz klopft wie einem Gymnasiasten, der mit seiner schönen Cousine zum erstenmal eine Gondel besteigt. Ich stecke aber vorher den Kopf in mein Atelier, meinem Burschen einige Weisungen zu geben, und der — Fluch auch über ihn! — überreicht mir einen großen Brief mit drei Siegeln. »Was ist das?« — »Ein Mann mit silbernen Knöpfen hat ihn gebracht.« — Ich reiße ihn ans, lese . . . verdammtes Geschick! Es war die Anzeige vom Tribunal, daß mein Name mit den Geschworenen ausgeloost war, und daß ich unverzüglich, bei allen möglichen Strafandrohungen, wenn ich nur Eineu Tag zögerte, abzureisen hätte, nicht nach dem Lago Maggiore, wo mich meine Angelica erwartete, sondern nach dieser schönen Stadt hier, um das reizende Metier eines Geschworenen zu treiben."
„Aber ließen Sie die Gräfin nichts wissen?"
„Ich schickte eine Depesche an sie: »Als Geschworener ausgeloost, muß nach Como. Addio«."
„Antwortete sie?"
„Zehn Tage lang blieb ich ohne jede Nachricht; schon hatte mein Herz angefangen, sich zu beruhigen, als vor drei Tagen, wie ich aus dem Sitzungssaal kam, ein Portier mir ein Zeichen giebt und mir ein Billet überreicht . . . ich muß es bei mir haben ... es thut nichts; es war eine Visitenkarte der Gräfin von Höchenheim ..."
„War sie es?" riefen zwei, drei Stimmen.
„Sie war's, das heißt für's Erste nur ihre Karte. Hoch hüpfte mein Herz empor, meine Augen füllten vor Freude sich mit Thränen."
„Sie war expreß nach Como gekommen?"
„Expreß für mich."
„Und gab Ihnen ein Stelldichein?"
„Wohnt sie im Hotel?" fragte der Marchese mit gleichgültigem Tone, als ob ihm wenig daranläge, es zu wissen.
„Pardon, Marchese, aber das ist mein Geheim- uiß," antwortete lächelnd der Maler.
Der Marchese verzog den Mund ein wenig.
„Und bezahlte sie Ihnen wenigstens die Bilder?" fragte Herr Paolino.
„Wie keine Fürstin sie besser bezahlt hätte."
„Ah!" rief der Makler und kratzte sich hinter den Ohren.
„Und sie schickte sich darein, die Angelica vor- zn stellen?"
„Deswegen war sie ja gekommen."
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