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Waldemar Kaden.
„Mit den Federn?" fragte der Makler und ließ den Herrn Paolino emporspringen.
„Kann man das Bild nicht sehen?" fragten Mehrere zugleich.
„Bis jetzt ist es kaum skizzirt; in drei, vier Tagen hoffe ich genug zu haben, um den ganzen Winter daran zu arbeiten. Ach, könnten Sie jenes reizende Geschöpf sehen, mit Ketten an den Felsen gebunden, erschreckt, die Augen starr aus die bewegten Welken geheftet, die Hände hinter dem Rücken! Oh, sie ist eine große Künstlerin und weiß den Schmerz der Furcht, der Bestürzung gar trefflich Ansdruck zu geben. Könnten Sie sie sehen, Sie würden sagen, daß Lionello recht hat, sein Geheimnis; zu hüten." Dabei warf er einen lächelnden Seitenblick auf den Marchese, der etwas kurz antwortete:
„Wir haben verstanden."
„Ach was, erzürnen Sie sich nicht, Marchese. Das Bild kann ich Ihnen für jetzt noch nicht zeigen, aber morgen wird die Gräfin zur Verhandlung kommen und Sie Alle werden sie sehen."
„Sie wird zur Verhandlung kommen?" rief es im Chore. „Die Gräfin? wirklich?" Die armen Herren Geschworenen, denen es nicht möglich schien, die Monotonie der langen via ornais durch ein Abenteuer zu unterbrechen, lebten bei dieser Nachricht auf.
„Zum Teufel!" rief der Herr Giovanni, „da werde ich eine Brille aufsetzen."
„Wird sie auf den reservirten Plätzen sitzen?"
„Gewiß, ich selbst habe ihr die Karte gegeben."
„Sehr gut! Vortrefflich! So haben wir sie ganz in der Nähe, zwei Schritt entfernt."
„Wen?" fragte ein gewisser Professor der griechischen Sprache, ebenfalls Geschworener, der, spät gekommen, die Geschichte nicht verstanden hatte.
„Sie werden sehen, Professor, werden sehen!"
„Und jetzt eine Flasche her," befahl Herr Giovanni, „ich zahle. Auf die Gesundheit aller schönen Frauen und der schönen Narren, so lange es deren giebt."
„Bravo! Es lebe der Herr Giovanni!" riefen Alle, der Marchese ausgenommen. Viele Gläser wurden geleert und erst nach Mitternacht ging man nach Hause zum Schlafen.
Der Marchese sagte sein „Gute Nacht" in sehr kühler Weise und trat zuerst hinaus, gefolgt von Herrn Paolino, der ihm gern ein wenig den Hof machte.
„Der hat ja wollen recht geheimnißvoll thun?" begann der Marchese, „als ob diese irrenden Göttinnen schwerer zu finden, als zu verlieren seien. Kein Mensch hatte ihn gebeten, noch bezahlt, uns seinen Firlefanz zu erzählen."
„Sie haben tausendmal recht. Will man nicht, daß die Leute gewisse Dinge erfahren, so schweige
man Uebrigens ist es des Schlossers Geheimniß, Herr Marchese. Alle wissen, wo der Maler wohnt und wo er für die Dauer des Aufenthaltes in Como eine Art Atelier eingerichtet hat, und wer Lust hätte, um sozusagen, ans Entdeckungen auszugehen, brauchte keine Reise um die Welt zu machen."
„Ich weiß wohl," antwortete der Marchese, der in Wahrheit nichts wußte, der aber klar sehen wollte. „Wohnt er nicht in jenem grünen Häuschen da unten ... da unten . . . ?"
„Im Borgovico, wohl, Marchese, aber eigentlich grün ist das Häuschen nicht."
„Hat es nicht einen Vorplatz?"
„Weiter hierher, etwa dreißig Schritte vom Plätzchen. Erst kommt ein Gitterwerk, dann ein Schmied, dann eine zweistöckige Villa mit dreieckigem Giebel, zwei Gypsbüsten daraus."
„Ich weiß, ich weiß, einer meiner Freunde wohnt da," sagte der Marchese, zufrieden eine Entdeckung gemacht zu haben, ohne sich zu verrathen.
Am Hafenplatz trennten sie sich. Aber kaum ist der Andere um die Ecke, als der Marchese den Weg nach dem Borgovico einschlägt. Tiefes Schweigen; in der Stadt schläft schon Alles, nur der bleiche Mondschein nachtwandelt durch die Gasseil und über die träumenden Villen hin. Der Marchese, ein unbestimmtes Sehnen im Herzen, gemischt mit einem gewissen Groll gegen den Maler, wunderte dahin, wie von einem geheimnißvollen Zauber angezogen. Der Maler — er beneidete ihn, er hatte wollen mit ihm Streit anfangen; er war zu freundlich gegen ihn gewesen, er müßte ihm schroff begegnen. ... Da war endlich das Gitterwerk, der Schmied und die zweistöckige Villa. Alle Fenster derselben waren geschlossen bis aus zwei im ersten Stock, von denen ein schwaches zitterndes Licht ausging; auf dem Sims des einen stand ein Glas mit einer Vase darin. Dort, dachte der Marchese, wo die Rose unterm Mondschein blüht, muß die schöne Angeliea wohnen. . . .
Der Maler begleitete den Herrn Giovanni bis zur Locanda della Lepre, wo der Makler sein Bett hatte. Sie leerten noch ein Fläschchen ans dem Stegreif ans der Vortreppe der Locanda und schieden dann mit herzlicher „Gute Nacht".
„Ein schöner Tollkops," dachte der Makler, während er die Treppe hinanfstieg. „Ich bin doch begierig, das achte Weltwunder zu sehen." Und während er unter die Decke kroch, meinte er, es wäre im Grunde nicht nöthig, Maler zu sein, um ein schönes Weib zu lieben. Ganz zuletzt erst dachte er an seine „Legitime".
Der Herr Paolino war beim Nachtgebet, aber ihm passirte heute etwas Menschliches: er stockte im Lalvo r6AE, konnte das Ende nicht finden, fing wieder von vorne an, verwirrte auf's Neue