Angelica.
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sich in dem Labyrinth der lateinischen Worte, daß er voll tieser Reue zum Ameu eilen mußte. Erst gegen zwei Uhr fand er den Schlaf und dann träumte er von
„den weißen Lilien mit den rothen Rosen. —"
Der Marchese schritt im Schatten des Baum- gangs auf und ab; endlich sah er im Hellen Mondschein den Maler daherkommen, der lustig in die Nacht hineinsang. Der Marchese barg sich hinter einen Akazienbauin und wagte kaum zu athmen...
Der Maler klatschte in die Hände. Das Licht im Zimmer droben, ward Heller, es bewegte sich. Ein großer Schatten erhob sich. Der Marchese wollte sehen, wer das wäre, benutzte den Moment, wo Lionello den Schlüssel aushob und that zwei, drei Schritte, leicht wie eine Katze, nach vorn . . . dabei stieß er aber mit dem Fuße an eine leere Sardellenbüchse, die dorthin sich verirrt hatte; das Klappern des Blechs bewirkte, daß der Maler sich umschaute. Der Marchese erschrak anfangs heftig, als Spion ertappt zu sein; dann aber raffte er seinen Stolz zusammen und nahm, die Arme über der Brust gekreuzt, eine herausfordernde Stellung an. Der Maler, ehe er in der Thüre verschwand, konnte sich nicht enthalten, auszurufen: „Oh schön! schön!" Dann schlug er die Thür mit einem lauten Krach zn.
Der Marchese biß sich auf die Lippen und kehrte nach Hause, beschämt über die Demüthigung, die fast die Nervosität des Zornes und der Eifersucht annahm. Wenn der Maler ihn lächerlich machte? Der Lächerlichkeit wäre immerhin eine Herausforderung vorzuziehen, und müßte sie vom Zaune gebrochen werden.
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Andern Tages saßen die Herren Geschworenen wie gewöhnlich im Verhandlungssaale, ein jeder an seinem Platze, aber man merkte gar wohl, daß irgend etwas Ungewöhnliches sich vorbereitete. Der Marchese, etwas bleich und finster, war zuletzt eingetreten und hatte den Maler keines Grußes gewürdigt. Das war bemerkt worden, und Herr Giovanni äußerte sich zum Professor des Griechischen: es sei ein Gewitter in der Luft.
Lionello, muthwillig und munter wie immer, brachte durch seine Bemerkungen den Herrn Giovanni des öftern zum Lachen. Der Marchese, in der Meinung, er werde von dem Maler verspottet, wurde immer aufgeregter.
Die Verhandlung bot keinerlei Interesse. Der Advokat Melone hatte einen Barcajol vom See zu vertheidigen, der aus Eifersucht einen Douanier mit dem Messer bedroht hatte. Er that es zerstreut, denn seine Augen schweiften ohne Aufhören nach den reservirteu Plätzen, wo ja heute die schöne
blonde Gräfin erscheinen sollte. Auf diese eonceu- trirte sich die Aufmerksamkeit Aller. Noch war sie nicht erschienen, aber so oft eine Thüre ging, wanden sich die Augen der Geschworenen dorthin, so- daß sie heute wie eine Gesellschaft von Wendehälsen erschienen.
Eben knarrte sie auf's neue. Alle wandten sich. Es war ein Geistlicher.
„DerStaatsanwalt," donnerte der Advokat, mit der Faust auf den Tisch schlagend, „der Staatsanwalt will mir mit seiner gewohnten Feierlichkeit da sagen . . . ."
Wieder knarrten die Angeln und der Portier nahm einer Person die Karte ab, die man der geöffneten Thür wegen nicht sehen konnte. Alle Geschworenen, mit Ausnahme des Marchese, der da anfing, die Sache zu ernst zu nehmen, drehten den Kopf, und der Advokat wiederholte .... „mit seiner gewohnten Feierlichkeit .... mit seiner gewohnten" .... (anch er hatte die Augen nach dem Eingänge gerichtet) .... „will mir sagen" — er hatte den Faden verloren.
Ginegro, der Kellner, trat ein.
„Auch er!" sagte Lionello, aber nicht leise genug, als daß der Marchese es nicht gehört hätte. Die Wetterwolke war zum Zerplatzen mit Elektrizität geladen. Unter den übrigen Geschworenen, die der Erzählung des Malers nicht beigewohnt, hatte sich indessen das Gerücht verbreitet, daß eine Geliebte des Marchese der Sitzung beiwohnen, wollte. Durch diese wurde, ohne Willen des Malers, die Spitze der allgemeinen Lustigkeit gegen den Marchese gerichtet, der in Lionello einen Rivalen haben sollte und nun vor Eifersucht verginge.
Die Thür knarrt .... Der Kasfeehausbesitzer tritt herein. Auch er. Lionello kann sich nicht halten, er platzt heraus, sodaß der Präsident zum Ernst ermahnt.
Der Marchese aber erbleichte; seine starren Augen blitzten in einem unheimlichen Lichte. Man sah einen Menschen, der, bitter beleidigt, entschlossen war, ein Ende zu machen. —
Aus einer Tasche des Herrn Paolino schallte der Rand eines Buches. Er merkte nicht, wie eine leichte Hand es ihm entwendete. Lionello nahm es, es war ganz neu, erst in einigen Seiten ausgeschnitten: ein „Rasender Roland" mit Illustrationen.
„Der Herr Paolino liest obseöne Bücher," flüsterte Lionello dem Makler zu, während der Advokat Montesquieu und seinen Freund Maneini citirte.
„Bravo, Herr Paolino!" sagte leise der Makler im Tone des Vorwurfs.
„Bravo, Herr Paolino!" sagten auch verschiedene Andere.