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Adolf Lbeling.
Der Kaiser giebt sich za erkennen und erfährt nun ans dem Munde des Generals Belliard die Ereignisse der letzten zwei Tage: die nutzlose, obwohl tapfere Verteidigung von Paris gegen eine erdrückende Uebermacht, die Einsetzung einer provisorischen Regierung unter dem Vorsitz Talleyrands,
— „o dieser Talleyrand!" ruft der Kaiser dazwischen und fügt dem Ausruf noch fluchend einige Worte bei, die ich hier nicht gut wiedergeben kann
— ferner die Absetzung Napoleons und seiner Dynastie, die Rückberufung der Bourbons u. s. w.
Der Kaiser stand sprachlos und schaute dem General Belliard starr in's Gesicht; dann wandte er sich plötzlich um und ging mit heftigen Schritten eine gute Viertelstunde lang aus der Landstraße hin und her. Er war also wirklich 24 Stunden zu spät gekommen, obwohl er aller Wahrscheinlichkeit nach durch seine Ankunft doch nichts an der Sachlage geändert haben würde; aber er redete es sich ein und sprach sogar noch in Sanct-Helena davon, als wenn diese Verspätung die Hauptursache seines Sturzes gewesen.
Inzwischen waren immer mehr Truppen angekommen und mit ihnen eine Menge Generäle und Corpskommandanten. Sie standen wie in Schlachtordnung und wie wenn sie die Befehle ihres Feldherrn erwarteten, der sie so oft zu glänzenden Siegen geführt. Der Kaiser that, als sähe er sie nicht, bis endlich Caulaincourt an ihn hinantrat und ihn anredete. Da schien er aufzuwachen und sich seiner Lage bewußt zu werden. Er gab dem Herzog hastig einige Befehle, der auch sofort in den Reisewagen stieg und die Richtung nach Paris einschlug. Dann ging Napoleon in das kleine Wirthshaus, goß einige Gläser Wasser hinunter und warf sich in einen alten Lehnstuhl. Er hatte während des ganzen langen Tages keine Nahrung zu sich genommen. Er schien zu schlummern, aber er lag wie im Fieber.
Schon nach kaum vier Stunden kam ein Kurier auf schweißbedecktem Pferde in das Städtchen hereingesprengt, hielt vor dem Wirthshause an und überbrachte dem Kaiser die Antwort Caulaincourts. Sie bestätigte einfach das oben Gemeldete. Caulaincourt, der von seinem Botschafterposten in Petersburg her in großen Gnaden beim Kaiser Alexander stand, war von ihm mitten in der Nacht empfangen worden, aber das war auch alles. Der Czar, selbst wenn er es persönlich gewollt hätte, konnte nichts thun, und zwar um so weniger, weil sich auch die Pariser Bevölkerung mit der Rückberufung der Bourbons einverstanden erklärte und von der napoleonischen Dynastie nichts mehr wissen wollte.
In diesem Moment war es, wo die draußen harrenden Gardercgimenter wild und unbändig wur
den und unter tobendem Geschrei nächst Paris zu ziehen verlangten — der Kaiser, physisch und moralisch gebrochen, gebot ihnen Stillschweigen und befahl den Kommandanten, nach Fontainebleau abzurücken, wohin er selbst ihnen folgte. —
In dem alten Königsschlosse, wo der kaiserliche Hof früher die glänzendsten und großartigsten Feste gegeben, zu denen manchmal weit über tausend Gäste geladen waren, saß nun der entthronte Cäsar allein und ließ am ersten Tage nicht einmal einen seiner Vertrauten vor. Er hielt sich meistens in der Bibliothek auf und schrieb auch dort die Abdankungsurkunde nieder, freilich mit der wichtigen Klausel: zu Gunsten seines Sohnes, die aber ganz unberücksichtigt blieb. Caulaincourt, der in Paris geblieben war, hatte noch mehrere Unterredungen mit dem Czaren, die aber zu keinem anderen Resultate führten. Am Morgen des 7. April traf er in Begleitung der Marschälle Ney und Macdonald in Fontainebleau ein, und Ney theilte dein Kaiser mit, daß man von ihm eine Abdankung schlechtweg („xuro at mmpls") verlange, ohne irgend welche Nebenbedingungen, nur einzig und allein mit der Garantie für die Sicherheit seiner Person. Napoleon wies dies Ansinnen entrüstet zurück, fragte aber doch den Marschall, was denn die Verbündeten mit ihm zu thun gedächten.
„Sire," entgegnete Ney, „man wird Ihnen die Insel Elba als souveränes Besitzthum überlassen, mit einem Jahreseinkommen von zwei Millionen Franken."
Auf diese Mittheilung soll Napoleon die später so oft citirte Antwort gegeben haben: „Wozu zwei Millionen? Wenn ich nicht mehr Kaiser bin, so bin ich nur noch ein Offizier, und der hat mit einem Louisd'or täglich genug."
Erst am 11. April Mittags Unterzeichnete er die Abdankungsurkunde in der von den Verbündeten vorgeschriebenen Form und blieb dann in seinen Gemächern und fast immer allein. Nur ^ manchmal ging er in den Schloßhof hinunter, wo beständig eine Abtheilung seiner Garde kampirte und hielt eine kleine Parade ab und richtete auch wohl einige freundliche Worte an die alten Waffengefährten. Es waren viele Graubärte darunter, die gar nicht begreifen konnten, daß auf einmal „alles vorbei sei", und die ihn scharf ansahen, als woll- > ten sie ihn fragen: „soll's denn nicht bald wieder ^ losgehen?" Er aber blieb scheinbar theilnahm- ! los, warf ihnen einen wehmüthigen Blick zu und ! ging dann wieder die hohe Treppe des Schloßhofes ; hinauf und verschwand.
! Für die Bevölkerung der Stadt und Umgegend ! war er noch immer der Kaiser, und wenn er sich ! öffentlich zeigte, so überreichte man ihm Bittschrif- j ten und Gnadengesuche, die er gewöhnlich selbst in