Napoleon I. in Fontainebleau.
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Empfang nahm und in die Seitentasche seines grauen Oberrocks steckte (»In raäinAoto Ari86«), den er jetzt immer trug. Er ließ auch den Bittstellern durch seine Adjutanten verschiedene größere und kleinere Summen auszahlen, da er ja Pensionen nicht mehr bewilligen konnte.
Oft. nachdem er mittheilsamer geworden, kam er unversehens aus der Bibliothek heraus und trat in den Vorsaal unter die Offiziere, die dort immer versammelt waren und unterhielt sich mit ihnen über die Tagesereignisse und über das. was die Zeitungen über ihn berichteten. „Jetzt sagen sie sogar, ich sei feige!" rief er einmal und hielt dabei eine Nummer der Gazette de France in der Hand.
Ueber Ludwig XVIII. sprach er oft und immer mit auffallender Ruhe und Mäßigung. „Sie werden sehen, meine Herren." sagte er einmal bei solcher Gelegenheit, „die ersten sechs Monate geht alles gut und man wird den König vergöttern, wie man mich vergöttert hat; in den nächsten sechs Monaten tritt dann eine starke Abkühlung ein. und im zweiten Jahre ist es vorbei mit der Liebe und Verehrung, und aus dem Hosiannah wird ein Kreuzige ihn. Ich kenne meine Pariser!"
Auch auf den Papst, der schon vor der Schlacht bei Leipzig Fontainebleau verlassen hatte, kam die Rede, und der Kaiser gestand ganz offen, daß er ihn schlecht behandelt habe . . . „viel schlechter als ich im Grunde wollte, aber ich war nicht gut be- rathen; man hatte mir allerlei von einer französischen Nationalkirche vorgeschwatzt und ich glaubte daran." Nach einer Pause begann er von neuem: „Der heilige Vater wird wieder in seine Staaten einziehen." .... dann fügte er noch einige undeutliche Worte hinzu, die sich möglicherweise auf ihn selbst und auf Elba beziehen konnten. Denn der schroffe Gegensatz lag nahe: der allmächtige Kaiser abgesetzt und exilirt, und der aus Rom vertriebene und bedrängte Papst wieder zu Macht und Ansehen gekommen. Und war es nicht Pius VII., der dem Gefangenen auf Sanct Helena einen Arzt und einen Priester schickte, und war es nicht der Kirchenstaat, der den geächteten Napoleoniden Zuflucht und Sicherheit gewährte?
Mit dem Marschall Sebastiani sprach Napoleon eines Morgens ausführlich über den russischen Feldzug. wo er seine Generäle beschuldigte, ihn nach Moskau getrieben zu haben, wie der Leser sich wohl aus der Geschichte erinnert; er selbst habe bei Smolensk Frieden schließen wollen, „und wie stände dann die Weltgeschichte?" setzte er mit ernster Miene hinzu. Gewiß stände vieles anders; es hätte aber doch wohl nur seinen Sturz verzögert, denn alles in seiner Laufbahn deutete auf einen baldigen Untergang.
Zu dem darauf folgenden Feldzuge, der mit der Niederlage bei Leipzig endete, lieferte der Kaiser einen ganz eigenthümlichen Kommentar, indem er sagte: „Nicht die Waffen der Verbündeten haben mich besiegt, denn ich war ihnen an numerischer Stärke und mehr noch an strategischer Erfahrung und Einsicht überlegen, sondern die überall in Deutschland verbreiteten liberalen Ideen. Diese gaben den Soldaten einen moralischen Halt, den die meinigen nicht hatten." Ein solches Wort ist im Munde des Kaisers charakteristisch; er, der von jeher alle liberalen Regungen in Frankreich unterdrückt hatte und hatte unterdrücken müssen, um zur Alleinherrschaft zu gelangen, gestand jetzt ihre siegreiche Kraft ein, denn ein knechtisch gesinntes Volt hätte sich unmöglich zu einem so hohen Patriotismus aufraffen können, wie es das deutsche gethan.
Der Herzog von Bassano (Maret), der frühere Geheimsecretär Napoleons, befand sich gleichfalls in Fontainebleau und conserirte viel mit dem Kaiser. Dieser hielt ihm einst ein Zeitungsblatt entgegen und ries ihm zu: „Da lesen Sie, Herzog; nun sagt l man sogar, Sie seien es gewesen, der mich stets ! abgehalten habe, Frieden zu schließen." Man mußte ^ Maret kennen, der nie im Leben eine andere An- ^ sicht gehabt, als die seines Gebieters, und der alles, was derselbe that, von vornherein gut und vollkommen hieß, um die Lächerlichkeit einer solchen ! Behauptung zu verstehen. „Sire," antwortete des- ! halb auch der Herzog, „Sie wissen selbst am besten, daß Sie immer nur nach Ihrem eigenen Kopfe gehandelt und niemals den Rath eines Anderen angenommen haben, am wenigsten den meinigen." Napoleon entgegnete nichts auf diese dreiste Antwort, die ich hier auch nur deswegen citire, um zu zeigen, wie sehr sich schon in den wenigen Tagen die Sprache der bisherigen Diener gegen den vormaligen Herrn geändert hatte; denn wie hätte z. B. der unterthänige Maret früher derartige Äußerungen zu machen gewagt.
Im Ganzen waren aber solche Unterhaltungen doch nur selten, und oft sah man den Kaiser stundenlang in dem großen Bibliotheksaal allein auf und abgehen, wie einen Träumenden, für den die übrige Welt gar nicht mehr zu existiren schien. Oder er blieb auch vor einem der geöffneten Bücherschränke stehen, nahm einen Band heraus und las eifrig darin, sodaß er den Kammerdiener nicht hörte, der ihm die Tafel ansagte, die in einem Nebenzimmer ' und stets für ihn allein servirt wurde. Dann warf ! er wohl das Buch, das er gerade in der Hand ^ hielt, auf den Tisch, wo es liegen blieb und aus welchem man später den Gegenstand seiner Lektüre erkennen konnte. Es waren meistens Geschichtswerke des Alterthums, und die aufgeschlagenen Blätter schilderten den Selbstmord des Brutus, des Hannibal,
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