Heft 
(1.1.2019) 02
Seite
85
Einzelbild herunterladen

Napoleon I. in Fontainebleau.

85

Schon in den wenigen Tagen nach der Absetzung j Napoleons war nämlich die royalistische Partei in ! Paris so mächtig geworden, daß man in Lebens­gefahr kommen konnte, für einen Anhänger des gestürzten Tyrannen" zu gelten.

Am 16. April trafen endlich die Commissäre der Verbündeten in Fontainebleau ein, die beauf­tragt waren, den Kaiser durch Frankreich bis zu seiner Einschiffung zu begleiten. Sie wurden ein­zeln empfangen, aber der Empfang dauerte nur wenige Minuten und war ein ganz formeller; kaum daß der Kaiser sich herbeiließ, den Herren, die übri­gens auch eine wenig beneidenswerthe Rolle spiel­ten, auf ihre ehrerbietige Anrede ein Paar nichts­sagende Worte zu erwidern. Nur mit dem englischen Cvmmifsar, dem Obersten Campbell, machte er eine Ausnahme. Er lud ihn zur Tafel ein und unter­hielt sich lange mit ihm über England und über die englische Politik, die er stets so leidenschaftlich bekämpft hatte.Ich gestehe Ihnen aufrichtig", sagte er u. a. znm Obersten,daß ich die Eng­länder von jeher recht herzlich gehaßt habe, fünf­zehn volle Jahre lang, aber jetzt komme ich zu der Ueberzeugung, daß die englische Regierung an­ständiger und besser ist als irgend eine andere des Continents." Das sagte Napoleon damals, und wie sollte er sich später in der sogenannten eng­lischen Großmuth getäuscht sehen!

Der 20. April war zur Abreise des Kaisers bestimmt, und schon früh Morgens acht Uhr hielt eine lange Reihe von Kaleschen und sonstigen Wa­gen im großen Hofe des Schlosses. Viele tausend Menschen waren aus der Stadt selbst wie aus der nahen und fernen Umgegend herbeigeströmt, um ein Schauspiel mit anzusehen, das man noch vor kaum zwei Jahren, als der Kaiser hier, von Königen und Königinnen umgeben, zum letzten Mal sein präch­tiges Hoflager hielt, in das Gebiet der Fabel ver­wiesen, oder als Ausgeburt eines Wahnwitzigen verlacht haben würde. Namentlich war die weib­liche Bevölkerung stark vertreten, und zwar um die Kaiserin und denkleinen König" zu sehen, weil man beide gleichfalls in Fontainebleau glaubte.

Die Bauerfrauen aus den umliegenden Dör­fern erinnerten sich dabei der ersten Kaiserin Jo­sephine, die immer so herablassend und gütig gegen Jedermann gewesen und die kleinen Kinder immer beschenkte. Marie Luise kannten sie nur wenig, denn sie hatte sich ihnen nie genähert. Viele mein­ten sogar, es sei eine jüngere Schwester der Köni­gin Marie Antoinette, und schon als solche, d. h. als »^.rUrielliouus«, war sie ihnen nicht sympathisch. Ueberhaupt hatte die Ehescheidung chem Kaiser die Herzen der unteren Klassen entfremdet, und das über Frankreich hereingebrochene Unglück wurde dar­auf zurückgeführt.Er hat seinen guten Engel

i von sich gestoßen", sagte man im Volk. Als später ! dann noch die Vergewaltigung des Papstes dazu kam, fand die fromme katholische Bevölkerung eben jener Gegenden darin einen weiteren Grund für die militärischen Mißerfolge des Kaisers, wie wenn die Vorsehung ihn wegen seiner Angriffe auf Rom hätte züchtigen wollen, und man konnte oft das schon im Mittelalter entstandene Volkswort hören: »gui naanAS cku Uax>6, 6L ruourru«, wer den Papst angreist, geht unter. Deshalb war es auch, wenig­stens von Seiten jener Bevölkerung, weit mehr Schaulust und Neugier, als aufrichtige Theilnahme, die so große Menschenmaffen herbeigezogen hatten.

Der Kaiser ließ übrigens sehr lange auf sich warten. Die Commissäre hatten sich schon mehrere Male melden lassen, aber den kurzen Bescheid er­halten, S. Majestät sei noch nicht bereit. Sie schickten endlich gegen elf Uhr den General Bertrand hinein, der dieselbe Meldung sehr respektvoll wie­derholte. Da blitzte noch einmal in der Seele des Verfolgten der alte Herr und Gebieter aus, der jahrelang mehr als achtzig Millionen im Banne seines eisernen, autokratischen Willens gehalten er wandte sich hastig um und rief dem General mit zornigen Blicken die barschen Worte zu:Seit wanu, Herr Marschall, habe ich meine Handlungen nach Ihrer Uhr zu reguliren? Man soll warten, bis es mir zu kommen beliebt; ich werde abreisen, wenn es mir und nicht, wenn es Ihnen gefällt, und vielleicht gar nicht!"

Bertrand zog sich schweigend zurück und die Commissäre standen rathlos. Es war aber nur eine flüchtige Aufwallung des Kaisers gewesen, die man ihm vom rein menschlichen Gesichtspunkte aus und im Hinblick auf seinen Seelenzustand gewiß ver­zeihen wird. Schon nach einer Viertelstunde trat er reisefertig aus seinem Cabinet in den Vorsaal, wo die Marschälle, die Generäle, Adjutanten und Offiziere ihn erwarteten und mit einem lauten Vivo l'Uiuporour! empfingen. Dies wiederholte sich unter Trommelwirbel noch wilder und stür­mischer, als er oben auf dem Perron der großen Freitreppe erschien, denn jetzt kam der Ruf von seinen Garden, die unten im Schloßhof in Reih und Glied aufgestellt waren. Es war die letzte Ovation, deren Echo, wie er später sagte, ihm in die Verbannung gefolgt war, und die er auf Elba oft Nachts in seinen Träumen hörte.

Schnell stieg er die Treppe hinab und ging in die Mitte des Hofes, wo die Offiziere einen engen Kreis um ihn bildeten, und nun gab es kein Halten mehr: die Soldaten durchbrachen die Reihen und drängten sich nach. Dort hielt er jene bekannte Ansprache an die Garde, die man in allen Ge­schichtsbüchern findet und die gewiß auch alle meine Leser kenneil, denn es ist ein welthistorisches