Heft 
(1.1.2019) 02
Seite
87
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Aquarellbilder

von Ernst Reiter.

^^.s war ein wunderbarer Frühlingstag, voll jener unbeschreiblichen Reize, wie sie eben nur in jenem edenhaften Landstriche zu finden sind. In ungetrübtem Blau glänzte über dem Altissimo, dem majestätischen Gipfel der Gebirgsgruppe des Monte Baldo am Gardasee, das weite Himmelszelt; denn das zarte Gewölk, welches zuvor wie ein Heer weißer Schäfchen in den Lüften zitterte, hatte sich bereits verloren, lieber den Wassern des Sees tänzelten tausend und tausend glitzernde, in allen Farben des Prismas funkelnde, flammende Lichter; ein Meer von Sprühfeuer brannte auf dem großen Wellen­schlag; von den Bergen herab wehten wohlige Lüfte und vor uns, weit, weit in die Ferne hinein, ver­schwommen oder schienen doch ineinander zu ver­schwimmen im blauen und violetten Duft: Berge, Dörfer am Gestade, Hütten und Häuser, die Spiegel- fluthen des Lago und die Azurdecke, die sich über diese einzig schöne Welt ausgespannt hatte. . . .

Als unser Dampfer, der stattlichePrincipe Oddone" an jenem kleinen Merkzeichen aus schneeigem Sandstein, das an der westlichen Felswand, unterhalb der Straße zum prächtigen Ponalfall, die politische Grenzscheide der beiden Nachbarreiche fixirt, vorüber­rauschte, stimmte am Vorderdeck eine lustige Gesellschaft von Studenten aus Verona ein allerdings mehr durch die patriotische Absicht, als durch die musikalischen Vorzüge der Ausführung bemerkenswerthes Volks­lied an, dessen markerschütternde Töne deutlich genug bewiesen, daß es der Jugend der owitü auch

für die nächste Zukunft keineswegs an kräftigen, durchaus gesunden Lungen fehle oder fehlen wird.

Oft genug schon wurden die wahrhaft berücken­den Landschaftsbilder, welche zur Rechten und Linken, im Osten wie im Westen, im raschen Wechsel er­stehen, mit lebendigen Farben, mit poetisch zeichnen­dem Griffel entworfen und festgehalten. Auch an diesem wonnigen Lenztage zeigte sich dem bewun­dernden Auge wieder ein von mildem Sonnenlichte beglänztes Paradies, eine märchenhaft gestaltete Erden- zone, aus der sich bald das goldgrüne Leuchten der Orangen- und Limonenhaine, bald das matte Silber­grau des Oelbaumes, bald wieder der tiefdunkle, ewig frische Blätterschmuck der Cypresse, Herz und Seele erfreuend, vom Hintergründe abhob.

Farbenreiche Bilder fließen da ineinander; aus dämmernder Weite tauchen neue auf am Horizonte und treten alsbald immer kräftiger und plastischer hervor.

Man weiß nicht, wohin der Blick fliegen, wo er verweilen, wo er ruhen soll; ob er das Große, Ferne, Contourenhafte des Gcsammtgemäldes er­fassen oder sich mit einem reizenden, zauberisch- schönen Detail, das näher liegt, begnügen darf; denn die Uferlandschaften des Gardasees sind ja so überreich an malerischen Punkten. Unserem Geiste erwachen die poetischen Schilderungen, die Jean Paul, der Vergessene, mit unvergleichlichem Griffel in feinemTitan" über die Gestade des Lago l Maggiore und des Como-See festhielt, die aber auch hier fchou frisches Leben gewinnen.