94
Allgemeine Rundschau.
in der Bearbeitung von Putlitz und Eduard Devrient kaum über einen Achtungserfolg herauszubringen, und doch enthält das Stück im Einzelnen treffliche Scenen.
Der rastlos arbeitende Jmmermann wurde inzwischen als Landesgerichtsrath nach Düsseldorf berufen; die Freundin Elise von Lützow folgte ihm dorthin, sie nahm Wohnung im Hofgarten auf dem Jacobischen Grundstücke. Jmmermann trug der von ihrem Gatten nunmehr Geschiedenen für die Ehe seine Hand an; jedoch Elise schlug dieselbe aus, denn es stehe ihr nicht an sich auf's Neue zu binden. Seltsamerweise verlangte sie aber von Jmmermann das Versprechen, daß derselbe sich nicht anderweitig verheiratheu solle. Und Jmmermann ging diese überspannte Zumuthung ein, um sie in Folge doch zu brechen; denn er verheirathcte sich, bereits ein Vierziger, einige Jahre nachher mit Marianne, der Tochter des bekannten Kanzlers Niemeyer, mit der er zu glücklichem Bunde vereint, leider nicht lange zu- sammenleben sollte; denn der Tod ries ihn grausam ab inmitten des rüstigsten Mannesalters.
Düsseldorf, in dem der Prinz Friedrich Hof hielt, nahm jener Zeit einen bedeutenden künstlerischen Aufschwung; die Malerakademie zählte Namen wie Schadow, Lessing, Hildebrand, Sohn, Hübner, Bendemann, Schirmer u. A. zu den Ihren; Jmmermann trat mit Allen in freundschaftliche Fühlung. Menschen und Verhältnisse drängten den noch immer zur Jsolirung Neigenden in die Gesellschaft und den Kreis ihrer realen Interessen, und der langsame Eichenwachsthum des Jmmermann'schen Talentes begann immermehr die Eigenart einer schriftstellerischen Eigenart zu entwickeln, die dem literarischen Deutschland imponirte. Einen weiteren Schritt zur Selbst- erkenntniß that Jmmermann in Folge des Aristophanischen Spottgedichtes „Die verhängnisvolle Gabel", in dem Platen, der sich durch den Hochmuth Jmmermanns gekränkt wähnte, dessen Schicksalstragödien persifflirte. Der gereizte Jmmermann erließ eine etwas lahme Entgegnung: „Der im Irrgarten der Metrik herumtaumelnde Cavalier"; das Beste jedoch, was er thun konnte, war, daß er Einkehr in sich hielt und einerseits dem seither mehr vernachlässigten poetischen Realismus ein erhöhtes Gewicht verlieh, andererseits, soweit er in den Bahnen der Romantik verharrte, derselben ein formschönes Gewand zu geben suchte. Das dramatische Gedicht Merlin, in das Jmmermann ähnlich wie Goethe im zweiten Theile des Faust die tiefsten Ge Heimnisse seines Wesens hineingeheimnißte, verfehlt durch die mangelnde Tendenz, daß sich das Kunstwerk rein aus sich selbst erklären soll, zwar zunächst seinen Zweck; ohne Zweifel weht aber ein genialischer Hauch durch dasselbe, der nicht ohne metaphysische Gedankenkühnheit dem seit samen Werk unter den subjektiven Dichtgattungen immerhin einen Ehrenplatz sichert. An Jmmermanns Hohenstaufen Friedrich II. begeistert sich besonders der Nazarener Schadow, der in dem Drama eine willkommene Annäherung zum Katholieismus begrüßte, ein Lob, das für den preußischen Protestanten doch immerhin seltsam klang.
Einen hoch bedeutenden Griff, der ihm bleibenden Nachruhm gesichert, that Jmmermann mit seinem Münchhausen; und im Münchhausen ist es bekanntlich die Par- thie des Westfälischen Oberhofes, die poesievoll, echt real und dem Leben abgelauscht, geradezu sich als typisch und maßgebend für die nachher durch Berthold Auerbach u. A. in Schwung gebrachte Dorsgeschichtenliteratur erwies. — Jmmermann's Epigonen, ein Werk von lichtvoller Prosa und feinen psychologischen Aperyüs, lehnt sich an den Goethe'schen socialen Roman an, erreicht aber nicht die farbenkräftige Originalität des Oberhofs. Mit der Julirevolution 1830, die mächtig in Deutschland nachdröhnte, zogen „Kritik, Skepsis und Materialismus in die Geister," und die zurückgedrängte Politik fängt an literarisch nach Ausdruck zu ringen. Für die Jmmermann'sche Schöpfung
bedeutet sie das Aussichheraustreten des immer nur nach Junen lebenden Dichters; Jmmermann, der Jahrzehnte lang einer unfruchtbaren Romantik obgelegen, fördert plötzlich den gefüllten Eimer des Realismus an das Tageslicht und entpuppt sich als Originalpoet und lichtvoller Prosaiker mit weltumfassender Reflexion, dessen Stil sich als mustergiltig hinstellt, und der ideal und real ausgeweitet, nunmehr wirklich für die höchsten Aufgaben der Kunst berufen erscheint. Der unselige Zwiespalt zwischen verstandesnüchterner Reflexion und naiver 'Verve, der die Devise der ersten Periode Jmmermann's ausmacht, erscheint mehr oder weniger beglichen, und das so lang von Feinden augezweifelte Können vereint sich harmonisch mit dem Wollen. Auch für die Tragödie erwuchs Jmmermann in seiner Trilogie Alexis ein Lorbeer, den ihm eine gerecht denkende Nachwelt anerkennen muß. Das großartig con- cipirte Werk schildert das tragische Geschick Peters des Großen und seines Sohnes Alexis: der ungeheuerliche Jrrthum, den der Stoff bietet, führt Jmmermann bis an die Grenzen des Erlaubten, ohne ihn direct in das Gräßliche verfallen zu lassen. Die ersten beiden Theile des cykliichen Werkes „Die Bojaren" und „Das Gericht von St. Petersburg" wirken überraschend, wir sehen die Löweu- spur eines wirklichen Dramatikers, dessen Wurf freilich die letzte faßliche Reduktion für den Bühneneffect mangelt; der letzte Theil „Eudoxia" klingt elegisch und minder natürlich für uns.
Jngleichen zählen die Jmmermann'schen Memorabilien und der Grabbe'sche Briefwechsel zu dem Besten, was unsere deutsche Memoireuliteratur besitzt. Gelang es Jmmermann nicht, das vulkanische Talent Grabbe's für die Bühne zurechtzustutzen, so bekunden seine Memorabilien einen Weitblick, eine derartig schneidende Kritik in Personen, Literatur- und Theaterverhältnisse, daß uns die Annahme wohl erlaubt erscheint, einem Grabbe, der den Jmmermann'schen Subjektivismus bis zum Eigensinn in sich durchgebildet, war überhaupt pädagogisch nicht beizukommen.
Endlich dürfen wir Jmmermann's Theaterwirksamkeit nicht unerwähnt lassen. Jmmermann studirte zeitweilig den Mitgliedern des Düsseldorfer Stadttheaters Rollen ein und kam auf den Gedanken, selbständig ein Theater zu dirigiren. Der bei der Regierung nachgesuchte Urlaub wurde ihm auf ein Jahr verwilligt, und der in namhafter Stellung fungirende Jurist wurde ohne sonderliche Beschwer, die ihn: die heutige viel liberalere Regierungspraxis keineswegs ersparen würde, der Leuker eines Thespiskarrens, der noch heute bei allen älteren Düsseldorfern in stolzem Angedenken steht, und der sich mit Recht durch ganz Deutschland interessant gemacht hat. Jmmermann sah den Verfall der Bühne in der einseitigen Pflege des modisch modernen Mittelgutes; er wollte ein ideales Repertoire hinstelleu und griff zu Calderon, Shakespeare und Goethe zurück, um den Geist echter Poesie neu zu heben. Das Unternehmen scheiterte nach drei Jahren in Folge Mangels an materiellem Zuschuß, den die Bühne noth- wendig erheischte. Es ist irrig anzunehmen, daß der Theaterdirector Jmmermann, der als „banquerotter Impresario" endete, im Grunde dem Theater und der Literatur nichts genützt habe. Jmmermann's Grundsätze über poetische Erfassung des dramatischen Grundgedankens, seine in die Praxis übertragene Theorieen betreffs Deklamation, Stil und Rollenstudium sind noch heute nicht überholt, und im Wesentlichen führen die Meininger unter der Pflege eines kunstliebenden Fürsten dasjenige im großen Maßstabe aus, was Jmmermann für die bescheideneren Verhältnisse Düsseldorfs angestrebt hatte. Nicht etwa Literatoren, Maler und der individuelle Bekanntenkreis Jmmer- maun's erwärmten sich für seine theatralische Kunstführung, wir könnten uns auch auf das sachverständige Urtheil erster