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„Nun denn, in meinem alten Präceptor regte sich also plötzlich sein gutes Böses-Gewissen. Und das machte sich so. Predigten und Evangelium lesen, war ihm vorgeschrieben. Als er aber an die Siebzig kam und die Buchstaben in seinem Predigtbuche, trotz angeschasster starker Brille, vor seinem Auge zu tanzen und zu verschwimmen anfingen, ließ er sich in dem, was er später seinen Dünkel nannte, Hinreißen, alle Bücher zu Hause zu lassen und von der Kanzel herab aus dem Stegreife zu sprechen. Mit andern Worten, er predigte, that den Präceptor ab und zog den Pastor an. Das ging so mehrere Jahre. Mit einem Mal aber kam ihm die Vorstellung seines Unrechts, und daß er in Eitelkeit und Vermessenheit thue, was nicht seines Amtes sei. Alles erschien ihm plötzlich, und nicht ganz mit Unrecht, als Uebergriff und Ungesetzlichkeit, und nachdem er das Gefühl davon eine Zeit lang mit sich hernmgetragen, entschied er sich endlich kurz und energisch und ging nach Braunschweig, um sich selber vor einem Hohen Consistorium zur Anzeige zu bringen."
„Uud was geschah nun?" unterbrach hier St. Arnand. „Ich fürchte, das Hohe Consistorium, man kennt dergleichen, wird gerade so klein gewesen sein, wie der Alte groß war."
„Nein, mein Herr Oberst, es kam doch erfreulicher, und wenn eine Geschichte zwei Helden haben darf, so hat sie die meinige, denn neben meinen Präceptor stellt sich ebenbürtig mein Cousistorial- rath. Der wußte lange schon von dem Uebergriff. Aber er wußte zugleich auch, daß die Altenbraker nie so kirchgängerische Leute gewesen waren, als von dem Tag an, wo der Präceptor zum ersten Male den Uebergriff gewagt und mit dem unerlaubten Predigen begonnen hatte. Und so stand er denn von seinem Lehnstuhl auf und sagte: »mein lieber Rodenstein (das ist nämlich der Name meines Prä- ceptors), mein lieber Rodenstein, Ihre Klage wird gar nicht angenommen. Gehen Sie ruhig wieder nach Altenbrak und machen Sie's grad' so, wie Sie's bisher gemacht haben. Und damit Gott befohlen«. Und wirklich, der Präceptor ging auch. Aber wiewohl er sich für so viel Nachsicht und Güte respektvollst bedankt hatte, blieb er im Stillen doch fest bei seiner Meinung und gab, als er wieder daheimwar, seinen Abschied schriftlich ein, der ihm denn auch schließlich in Gnaden ertheilt wurde. Seitdem sitzt er, wenn nicht Gäste kommen, einsam auf seiner Burg Rodenstein."
„Auf seiner Burg Rodenstein?"
„Ja, man darf es so nennen. Jedenfalls nennt er es selber so. Seine Burg Rodenstein aber ist nichts weiter, als ein wundervoll auf einem Felsen gelegenes Gasthaus, darin er als »Rodensteiner« haust und wie sein berühmter Namensvetter unter
allen Umständen einen guten Trunk, und wenn gewünscht auch die besten Schmerlen auf den Tisch bringt. Und das ist das Schmerlenland, von dem ich Ihnen sprach: Altenbrak und sein Präceptor, Burg Rodenstein und der Rodensteiner."
„Und da müssen wir hin," sagte Gordon, und Cöcile klatschte zustimmend in die Hände. „Da müssen wir hin, um die Streitfrage zwischen Forellen und Schmerlen ein für allemal entscheiden zu können."
„Und der Herr Emeritus übernimmt die Führung. Er hat bereits zugestimmt. Und auch Herr Eginhard . . O, Pardon . ."
„Aus dem Grunde."
„Und anch Herr Eginhard Aus dem Grunde," wiederholte Gordon, während er sich gegen den Privatgelehrten verneigte, „wird uns begleiten. Nicht wahr?"
Zwölftes Kapitel.
Die Partie nach Altenbrak war für den andern Morgen verabredet, aber bis dahin war noch eine lange Zeit, und als man aus dem Saal in den Corridor trat, wurde mehrfach die Frage laut, was bei der schwebenden Hitze mit dem »angebrochenen« Nachmittage zu machen sei? Der Privatgelehrte schlug eine Promenade durch das Bodethal vor, drang aber nicht durch.
„Nur nicht Bodethal," sagte Gordon. „Oder gar dieser ewige Waldkater! Das reine Landhaus an der Heerstraße mit einer Mischluft von Küchen-Abguß und Pferdeställen. Ueberall Menschen und Butterpapiere, Krüppel und Ziehharmonika. Nein, nein, ich proponire Lindenberg."
„Lindenberg," entschied St. Arnand und Ce- cile zeigte sich bereit, die Promenade sofort zu beginnen.
„Du solltest Dich erst ruhen," sagte der Oberst. „Es ist heiß und der Weg wird Dich ermüden."
Aber die schöne Frau, die regelmäßig andern Sinnes war, wenn St. Arnaud aus ihr Ruhe- bedürsniß oder gar auf ihre Schwächezustände hinwies, widersprach auch diesmal und versicherte, während sie sich gegen den Privatgelehrten, um dessen Begleitung sie schon vorher gebeten hatte, verneigte: „bei gutem Gespräche noch niemals müde geworden zu sein."
Ein Verklärungsschimmer ging über Eginhard, der bei seinem Hange zu geueralisiren, sofort auch Betrachtungen über die Superiorität aristokratischer Lebens- und Bildnngssormen anstellte. Zugleich war er fest entschlossen, sich eines so schmeichelhaft in ihn gesetzten Vertrauens würdig zu zeigen, war aber nicht glücklich damit, wie sich gleich bei seinem ersten Versuche Herausstellen sollte.
„Miqnel'scher Privatbesitz, meine Gnädigste,"
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