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Tbeodor Fontane.
hob er an, während er auf eine noch innerhalb der Dorfstraße gelegene, von einem herrschaftlichen Garten umgebene Villa zeigte.
„Wessen?" fragte Cocile.
„Ur. Miguels. Ehedem Bürgermeister von Osnabrück, jetzt Oberbürgermeister zu Frankfurt."
„An der Oder?"
„Am Main."
„Aber was konnte diesen Herrn veranlassen, von so landschaftlich bevorzugter Stelle her, gerade hier sich anzukaufen und in diesem einfachen Harz- Dorfe seine Sommerfrische zu nehmen?"
„Eine wohl aufznwerfende Frage, deren einzig mögliche Beantwortung mir in der Deutschkaiser- lichkeit des Du. Miguel zu liegen scheint, ein Wort, das, trotz seiner sprachlichen Anfechtbarkeit, den Gedanken genau wieder giebt, den ich Ihnen, meine gnädigste Frau, des Ausführlicheren unterbreiten möchte. Darf ich es?"
„Ich bitte recht sehr darum."
„Nun denn, es darf als historische Thatsache gelten, daß wir Männer besaßen und noch besitzen, in denen das Kaiserthum bereits mächtig lebte, bevor es noch da war. Es waren das die Propheten, die jeder großen Erscheinung vorauszugehen pflegen, die Propheteil und Täufer."
„Und zu diesen zählen Sie ..."
„Vor allem auch vr. Miguel von Frankfurt. In der That, er war unter denen, in deren Brust der Kaisergedanke von Jugend auf nach Verwirklichung rang. Aber wo war diesem Gedanken am besten eine Verwirklichung zu geben? Wo dürft' er am ehesten Nahrung finden und Förderung erwarten? Und aus diese Fragen, meine gnädigste Frau, giebt es nur eine Antwort: hier. Denn hier, an dieser gesegneten Harzstelle, predigt alles Kaiserthum und Kaiserherrlichkeit. Ich spreche nicht von dem ewigen Kyffhäuser. der ohnehin schon halbthüringisch ist, aber speciell hier, am harzischen Nordrande, giebt jeder Fuß breit Erde wenigstens einen Kaiser heraus. In der Quedlinburger Abtei- Kirche, die Sie, wie mir zu meiner Freude bekannt geworden, durch Ihren Besuch geehrt haben, ruht der erste große Sachsenkaiser, im Magdeburger Dome der noch größere zweite. Sie mit Namen zu behelligen, meine gnädigste Frau, kann mir nicht einsallen. Aber ich bitte Thatsachen geben zu dürfen. In Harzburg, auf der Burgberg-Höhe (deren Besteigung ich Ihnen empfehlen möchte; Sie finden Esel am Fuße des Berges) stand die Lieblingsburg des zu Canossa gedemüthigten Heinrich, und zu Goslar, in verhältnißmäßiger Nähe jener Burgberg-Höhe, haben wir bis diese Stunde die große Kaiser-Pfalz, die die mächtigsten Herrschergeschlechter, die Träger des ghibellinischen Gedankens in schon vor-ghibellinischer Zeit, in ihrer Mitte sah. Also
Kaiser-Erinnerungen auf Schritt und Tritt. Und hierin, meine gnädigste Frau, seh' ich den Grund, der den Mann des Kaisergedankens in speciell diese Gegenden zog."
„Unzweifelhaft. Und Sie sprechen das alles mit solcher Wärme. ."
Der Privatgelehrte verneigte sich.
„Mit solcher Wärme, daß ich annehmen möchte, Sie selber seien mit unter den Propheten und Täufern gewesen und Ihre Studien fänden ihren Gipfelpunkt in einer begeisterten Hingebung an die deutsche Kaisergeschichte."
„Gewiß, meine gnädigste Frau, wennschon ich Ihnen offen bekenne, daß der Gang unserer Geschichte nicht der war, der er hätte sein sollen."
„Und was ist es, woran Sie Anstoß nehmen?"
Das, daß sich der Schwerpunkt verschob; ein Fehler, der erst in unseren Tagen seine Correktur erfahren hat. Als die Sachsenkaiser, die wir mit mindestens gleichem Recht auch die Harzkaiser nennen dürften, seitens der deutschen Stämme gekurt wurden, waren wir aus der rechten Spur und hätten, bei dem endlichen aber nur allzu frühen Erlöschen des Geschlechts, den Schwerpunkt deutscher Nation nach Nordosten hin verlegen müssen."
„Bis an die russische Grenze?"
„Nein, meine Gnädigste, nach dem Lande zwischen Oder und Elbe."
„Mit den Hohenzollern an der Spitze?"
„Doch nicht. Nicht damals. Wohl aber, statt ihrer, ein anderes großes Fürstengeschlecht, das in bereits vorhohenzollerscher Zeit das Land zwischen Oder und Elbe beherrschte, seitdem aber in unbegreiflich undankbarer Weise vergessen oder doch bei Seite gestellt wurde: das Geschlecht der Askanier. Haben wir doch als einziges Denkmal und Erinnerungszeichen an diese ruhmreiche Familie nichts als den Askanischen Platz, eine Lokalität, die täglich viele Tausende passiven, ohne mit dem Namen derselben auch nur die geringste historische Vorstellung zu verknüpfen."
Cocile war selbst unter diesen. Aber in Kreisen großgezogen, in denen aller historischer Notizenkram einen höchst geringen Rang behauptete, bekannte sie sich lachend zu dieser ihrer Unkenntniß und sagte: „Sie müssen es leicht nehmen, mein theurer Herr Professor, Pardon, daß ich bei diesem Titel verbleibe; Sie müssen es leicht nehmen. Es ist nicht Jedermanns Sache, gründlich zu sein. Und nun gar erst wir Frauen. Sie wissen, daß wir jedem ernsten Studium feind sind. Aber wir haben eine Neigung zu glücklicher Benutzung des Moments, auch ich, und so dürfen Sie jederzeit sicher sein, einer dankbaren Schülerin in mir zu begegnen."
Wieviel daran Ernst war, war ungewiß, aber als desto gewisser konnte das Eine gelten, daß
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