Die Glocke von Grußkirchen.
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Er bedachte auch in schweren Nöthen.
Sie aber, innen im Raume, öffnete wieder die befangenen Augen, und aus der dunkeln Kirche leuchtete jetzt das ewige Licht stärker, das heißt, es machte sein Glühen und Glimmen sich bemerkbarer, die rothen Strahlen fielen greller als es bei Tage möglich war, ringsum. Und sie wurden unheimlicher. Gerade aus das Bild der Seelen im Fegefeuer, die höllischen Flammen leuchteten sie hochroth dahin, daß es dem Mädchen angst und bange, ja dein sündigen und sündbewußten Gemüthe so zaghaft und gruselig wurde, wie vormals nie!
Sie eilte hinweg. Sie eilte aus dem Raume wieder dahin auf die Treppe und aus dieser allzufinstern Enge in das Thurmgelaß, durch dessen Oberlichte sie größere Helle erwartete.
Der Vater sollte schon zurück sein. Die Minuten wurden ihr fürchterlich. Wie, wenn dem Vater sogar etwas Menschliches zugestoßen wäre? Der Wein . . . der weite Weg .... Hilflos auf der menschenleeren Straße . . .! Und endlich ergriff sie ein Gewoge von Angst, ein gewisser Widerstand gegen die Gefangenschaft, eine Furcht vor Nacht und Einsamkeit und regsamen Fledermäusen und Unglücksfällen, daß sie auf den naheliegenden Gedanken kam, die Glocke zu läuten. Man werde kommen, sie befreien, der Pfarrer werde den Schlüssel zur Seitenpforte, den er besitzt, hervorlangen . . . und sie werde geradeaus sagen, was ihr geschehen, oder auch angeben, sie sei zufällig eingeschlafen.
Trotz, Angst um sich und den Vater, Widerspruchsgeist, Abenteuerlust, Blutwallen, all' das zusammen im jugendlich weiblichen Wesen, regten sie im wirbelnden Kreisen an, und nur ein Gedanke blieb . . . das Geläute mußte ertönen ... die Glocke von Grußkirchen sollte hörbar werden!
Sie streckte die Hand aus und hielt doch einen Augenblick wieder inne. Sie fing neuerdings an, zu ziehen. Der Strick that seine Schuldigkeit.
Bim! . . . Bim! . . . Bim!
Es klang seltsam hin in die Nacht.
Draußen, der Liebhaber ans dem Dache, horchte als der Allererste und Allernächste erstaunt.
Im Dorfe spitzte man die Ohren.
Bim! . . . Bim! . . . Bim!
Herrgott, was war das zu nächtlicher Stunde?
Feuer!
Feuerzeichen war's, der Glocke von Grußkirchen. Zum erstenmale. Der lange Feuerwehr- Vice-Hauptmann eilte nach seinem Helm. Die Leute, Alte, Junge, Weiber und Kinder sprangen von ihren Bänken, Stühlen, allerlei Betten und Lagern empor, hinaus ans die Gasse. Wo brennt's?
Der Signalist, ein ehemaliger Militairtrompeter, nahm sein Hornsignal zur Hand und stieß hinein.
Stolz und fürchterlich. Versammlung! eilig! Brand! Löschen! Trara!
Es war ein Rennen nach den Spritzen, Wassereimern, Löschgeräthen, Schläuchen, Leitern, Rettungsapparaten.
Jeder meinte, beim Spritzenhause werde man schon Alles wissen.
Wo ist der Hauptmann?
Wo ist heute der Hauptmann, der Alois Wies- bichler? Beim ersten Brand?
Alle Leute sahen nach dem Horizonte ringsum. Kein Widerschein, keine Röthe.
Bim! . . . Bim!
Einen Augenblick meinte der Liebhaber und Hauptmann droben auch, es brenne . . . denn was i sonst könnte Xandl zum Anschlägen der Glocke be- ^ wogen haben ... er sprang von seinem geborgenen Punkte auf, sah im Feuereifer ringsum . . . Flammen, Funken, Röthe sah er nirgends, aber endlich doch ... ja, da eilten sie heran, die Löschmänner, mit Fackeln, zur Kirche und hell erleuchteten sie den Hauptmann auf dem Dache!
„Teuxelskerl, der Hanptmann!" rief sein Ersatzmann, „ist der schon oben auf dem Dache, derweil wir das Feuer erst noch suchen! Schon an Ort und Stell' ... da brennt's!"
„Alois, wo? Jst's gelöscht? Noch Flammen? Was ist?" schrieen sie ihm zu.
Er war stumm und entsetzt. Er fing in Angst und Verlegenheit nur umherzukrabbeln an und suchte irgendwo einzuschlüpfen.
„Wo ist der Meßner? Wo ist die offene Thür? Was ist das?" fing man endlich zu schreien an. Und die Leute des Dorfes versammelten sich immer mehr. Das Spritzenpersonalgewirr war groß und wuchs mit jedem Augenblicke.
Da kam keuchend eine Persönlichkeit über den weiten Platz gerannt und warf todesverachtend alle Hindernisse bei Seite, nur immer wieder einen großen Schlüssel hoch in seiner Rechten emporstreckend! Der Meßner und Vater war's. Bereits auf dem Heimwege begriffen, vernahm er das erschütternde Signal, die herrliche, aber nun so schauerliche Glocke von Grußkirchen!
Er war langsam gegangen, sinnend über die Welt und noch Einiges, sodann aber hob er die Beine, die schier unter ihm knickten, er lies so sehr er nur vermochte. Seine Kräfte verließen ihn, er hatte sich bis zum Kirchenplatze aufrecht erhalten mit dem Hochrothen Gesichte und den gesträubten Haaren, jetzt brach er nieder ... der Schlüssel flimmerte in seiner Hand, im Fackelschein der Feuerwehr.
Der Mann hatte kein Wort. Nur: „Auf! Auf!" hauchte er.
Man erschloß eiligst die Thüre. Man durchsuchte die Räume im Fackellichte.
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