134
vr. me6. Hermann Klencke.
da wird schnell gemächlicher Kneipabend veranstaltet, dessen Ende zu beschreiben oft auch ein naturalistischer Schriftsteller verschmähen würde. Der deutsche Student hat ein nach allen Regeln der Kunst verfaßtes Gesetzbuch, den Biercomment, nach welchem getrunken werden soll und muß und die Leute, welche nicht einst in ihrer Studentenzeit diesem Comment in einer Verbindung, Corps oder Burschenschaft sich unterwarfen und darnach tranken, nennt man „Kameele", Philister, Spieße, Wilde, Finken und mit anderen noch schöneren Benennungen. Diese im Namen des „Heiligen Cerevis" (lateinischer Name des Bier) gegründeten Vereinigungen bilden auch für die Zeit des Philisterthums, wenn der Burschenrock ausgezogen ist, noch ein Band mit gewissen Pflichten und Rechten und erstrecken bei Besetzung von Stellen und Beförderungen ihren Einfluß über ganz Deutschland, wie die Freimaurerlogen. Seitdem nun gar Fürst Bismarck als alter Corpsstudent Deutschland geeinigt hat, ist es ausgemacht, daß allein ein Corpsstudent der wahre Student ist, der Aussicht und Recht hat, in Deutschland zu herrschen. Diese „Poesie der Universitäten" findet denn bald Anklang bei den Gymnasiasten und sogenannten höheren Lehranstalten bis zu den nach deutscher Art unendlichen Vereinigungen aller möglichen Leute, seien es ehemalige Freiwillige, Thespis, Schurr Murr, Dilettantin, Ruhrüpel, Begräbnißgesellschaft der Schneider zur Hoffnung rc. Ueberall „kommt man sich einen Halben, trinkt auf's Specielle, einen Verachtungsschluck, reibt Salamander, macht einen Saufcomment, trinkt Hörner" rc.
So stehen denn die Actien der Bierbrauereien in Deutschland, wenn alle andern Jndustrieactien schlecht stehen, fein hoch und wenn man als Culturmaßstab nicht die Seife nimmt wie Liebig, sondern das Bier, so ist in Deutschland die Cultur sehr hoch. Täglich werden neue Namen erfunden von sogenannten bayerischen Schankbieren, Kapuzinerbräu, Schützenliesl, fette Henne, Bürgerbräu, Hofbräu, Augustinerbräu, deren jedes die Perle aller Biere genannt wird.
Wer möchte nun dieser alten deutschen Sitte gegenüber leugnen, daß wirklich eine tiefe Poesie in einem Festgelage mit Freunden liegt, wer wollte die frohen Stunden entbehren, die er bei einer Flasche Wein mit einem Herzensbruder zusammenverlebt hat, den Jubel, den er in einer festlichen Commersnacht unter wackern Zechbrüdern empfunden hat? Singt nicht der alte persische Weise: Ist Einer gemüthlich sein Ich losgeworden, dem werde die Weihe zu unserm Orden. Weinhaus ist die ganze Welt, jedes Ding ein Becher. Unser Freund den Becher hält und wir sind die Zecher, oder: O weil du bist vergänglich, genieße du die Welt, was dir von frohem Rausche und schönen Frauen
gefällt. Wenn du Wein trinkst, thu' es mit klugen Köpfen oder mit schönen reizvollen Geschöpfen, Trink nicht zu viel und halt's hübsch geheim, so erstickst du den Tadel der Welt schon im Keim.
Wenn das Veilchen frisch aus dem Boden sprießt, Und der Westwind die ersten Rosen erschließt, Trinkt wer klug ist unter grünem Gezweige, Mit einer Schönen das Glas zur Neige.
Der Wein erfreut des Menschen Herz, heißt es bei den Hebräern, Duloo ost insipsro loeo sagt Horaz, Qckrs 1'aaionr oa touti at boirk 80 L 8 8oit'
ist nach des geistreichen Franzosen Ansicht der Unterschied des Menschen vom Thiere. Hier sind wir versammelt zu löblichem Thun, drum Brüdercheu: Lr §0 bib:iin>i8 siugt Goethe. Wer wollte leugnen, daß diese Erhöhung des Lebensgesühls gemeinsam mit guten Freunden genossen etwas echt Menschliches und Edles ist? Daß dieser Genuß etwas Beseligendes hat und den Lebenswerth des menschlichen Daseins erhöht? Andererseits wer wollte den: Arbeiter, der im Schweiße seines Angesichts sein kärgliches Brod verdient, den Genuß alkoholischer Getränke nnßgönnen, der seine Lebenskraft erhöht und den Stoffverbranch des Körpers einschränkt? Wegen der innern Befreiung und Erleichterung, die geistige Getränke bringen, wegen der Befruchtung des Gehirns mit neuen Gedanken, die sich bei dem regeren Ablauf der Nerventhätigkeit erzeugen, haben ja einst unsere Vorfahren, die alten Deutschen ihre Beschlüsse bei ihrem berauschenden Getränk, dem Meth, in Versammlungen gefaßt, aber waren doch so klug, sie in der Nüchternheit des Morgens noch einmal durchzudenken, und die begeisterten Gedanken ans ihre praktische Durchführbarkeit zu prüfen. Leider gehören aber nun die alkoholischen Getränke nicht zu den Genußmitteln, die im Ueber- maß genossen dauernden Ekel erregen, sondern sind Gifte, die in kleinen Gaben als angenehme Reizmittel wirken, aber durch Gewöhuuug immer in größern Quantitäten genossen werden müssen, um endlich geradezu als Gifte zu wirken. Trinken wir, sind wir begeistert, trinken sie, sind sie betrunken, damit ist der schwere Unterschied zwischen Erhöhung der Lebenskraft durch Alkohol und der Verbestia- lisirung durch Alkohol ausgesprochen. In einem Spruche Goethes aber heißt es: Trunken müssen wir Alle sein, Jugend ist Trunkenheit ohne Wein, d. h. allein das Gefühl überschäumender Kraft und Gesundheit macht den echten Menschen in der Jugend begeistert, er braucht kein Anregungsmittel, wenn er ein echter voller Mensch ist. Leider ist dies aber meist nicht so.
An der Universität lehrt der Professor der Anatomie und Physiologie: Bis zum 24. Jahre entwickelt sich das Gehirn, also muß man es in dieser Entwickelungszeit, so lange es bildsam ist, gut pflegen