Alkohol und (Lultur.
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und nicht überreizen und schwächen, — in der That aber kann jeder erfahrne Arzt die Behauptung des Professors der Medizin bestätigen, welche dahin geht, daß über die Hälfte unserer Gebildeten sich von der Universität kranke Magen und geschwächtes Gehirn durch Mißbrauch des Alkohols mitbringen und so weder ihr reich angelegtes Leben voll ausleben, noch die Frische der Jugend mit in ihr Mannesalter hinüberretten. Nicht bloß daß man die Jahre, in denen die Grundlage für das ganze spätere Leben gelegt wird, in denen sich gewisse Prinzipien und eine bestimmte Geistesrichtung bilden soll, vertrödelt in Müssiggang, man beraubt sich auch selbst der Fähigkeit zu hoher Entwicklung, indem man das Gehirn durch Alkohol stumpf macht. Man geräth in einen angenehmen Taumel mit süßer Erschlaffung aller Kräfte, in einen Sumpf, auf dem höchstens noch die Sumpfpflanze des Bierwitzes gedeiht, verliert alle Willenskraft und geht endlich in gänzlicher Energielosigkeit unter, oder man rettet noch in der zwölften Stunde alle übrig gebliebene geistige Kraft und hat dann die Jahre nach der Universität, wo man das Erlernte erst recht verdauen und geistig durcharbeiten und endlich selbstständig schaffen soll, alle Hände voll zu thun, um die versäumten Elementarkenntnisse nachzuholen, läuft dann in den rettenden Hafen der Ehe ein, wird Familienvater, und ehe mans versieht ist die Zeit zu hoher Entwicklung und freier Entfaltung der Kräfte vorbei!
Ich halte geradezu die „Verbierung" der Universitäten für eine der vornehmsten Ursachen, daß die Entwicklung der Menschheit so langsam vor- schreitet. Schon jetzt sind unsere Universitäten nicht mehr Hochschulen der Menschheit, sondern Fachschulen, deren Lehrmittel außerdem noch schlecht benutzt werden. Ein großer Theil Stndirende aber bringt es auf dem jetzigen Wege kaum zu dem Recht, zu den „wahrhaft Gebildeten" sich rechnen zu dürfen. Sagte mir doch neulich ein hochgestellter Jurist, daß ein Theil feiner Referendare nach feinen Erfahrungen nicht im Stande sei, ihren Gedanken klaren logischen Ausdruck zu geben! Das kommt wieder daher, daß jetzt eine Menge Leute zum Studium sich drängen ohne allen inneren Beruf, nur um der äußeren Ehre willen und weil es der „Papa ja kann", und gewissermaßen durch seinen Sohn in den Stand der „Gebildeten" ausgenommen werden will. Gerade diese Söhne Mammons verderben unsre Universitäten und leisten in Bier gewöhnlich um so mehr, je weniger sie sich um die Wissenschaften bekümmern. Das ist dann das Salz der Erde! Ich glaube, daß sogar geschlechtliche Ausschweifungen im Ganzen den menschlichen Organismus und die Denkfähigkeit weniger schädigen, als die Alkoholvergiftung. Namentlich die Willens
kraft, die Energie wird durch reichlichen Alkoholgenuß entschieden gelähmt. Fast alle Trinker find weiche, leicht zu Thränen gerührte Seelen, die, wenn das tobsüchtige Medium des Rausches selbst verflogen ist, zusammenklappen, erst die heiligsten Versprechungen geben, zu Allem bereit sind, um im nächsten Augenblicke, wenn die Versuchung naht, wieder zu fallen. Statt die Kämpfe des Lebens muthig aufznnehmen, werden sie fahnenflüchtig, schleichen sich wie ein Schulbube, der keine Lust zum Lernen hat, um die Schule herum und verlieren endlich alle Selbstachtung, bis sie ganz in Apathie und Schwäche versumpfen.
Denn wie jeder Sieg über sich selbst und seine Leidenschaft eine neue Waffe zur Bekämpfung der nächsten Versuchung verleiht und die Kraft im Frohgefühle des Sieges wachsen läßt, so giebt jede Niederlage dem moralischen Halt einen neuen Stoß, bis endlich bald jeder Widerstand aufgegeben wird. Das ist das Ende der Alkoholvergiftung: Völlig seinem besseren Selbst entfremdet, der Ruin der Familie, ein Kinderspott. Denn das wahre Mensch en- thum besteht nicht in Wissen und Denken, gelehrtem Scharfsinn, Geschicklichkeit im Berufe, hoher, poetischer Anschauung, sondern in der Freiheit, die der Mensch erringt im Kampfe mit sich selbst und seinen Leidenschaften. Die Trinker sind sogar meist nicht blos gutmüthige, sondern auch sehr geschickte, und gescheute Leute — eine Folge einer gewissen erhöhten Reizbarkeit des Gehirns — aber doch wegen des Mangels an Selbstbeherrschung keine vollen wahren Menschen. Man könnte ja eine ganze Reihe von berühmten Poeten ansühren, welche die Trunksucht in einen frühen schmählichen Tod trieb (Edgar Poe, Nerval, Günther in Deutschland Grabbe re.). Trotz allen Talents bleiben diese Individuen doch krankhafte Erscheinungen, ihre Blüthe wurzelt im Sumpfe, das Unheil aber, das diese Gewohnheitstrinker anrichten, schließt nicht einmal mit ihrer Person ab, fast immer vererben sie auf ihre Nachkommen Anlage zum Wahnsinn und verbrecherische Neigungen, Taubstummheit re. — Die Opiumraucher Asiens, die Morphinisten und Alkoholiker in Europa, sie alle suchen süßes Vergessen des Leidens oder suchen über ein Gefühl der Langeweile und der Oede hinwegzukommen, das sie ruhelos umhertreibt, sei es die Lebensleere des gewöhnlichen Menschen, oder die göttliche Langweile des Genies.
Die Natur aber weist den Menschen zur Bekämpfung dieses Gefühls der Lebensleere und Oede aus die Arbeit hin und nach der Arbeit auf den Schlaf, der nach süßer Erquickung nicht Katzenjammer bringt, sondern das Gefühl frischer Kraft.
Leider haben gerade genial begabte Menschen