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Or. mecl. Hermann Alencke.
mit unterwerthiger Willenskraft unwiderstehlichen Hang zu geistigen Getränken. Diese regen das Spiel der Gedanken an und den Strom der Ideen, und was geht darüber, im Reichthum seiner Gedanken zu schwelgen und rings alles zur Bewunderung Hinzureißen! Solche edle Zecher voll dämonischen Genies saßen einst in Berlin bei Lutter und Wegner, Devrient und Hosfmann. — Wie viele mächtige Talente aber sind in dem Alkoholsumpse elend untergegangen. Ich glaube, jeder Leser wird aus seinem Kreise Männer nennen können, die, einst die Bewunderung Aller, sich und ihre Familie durch Trunksucht ruinirten und elend untergingen.
Die alten Griechen hatten die sehr sinnreiche Sage: Ehe man in die Unterwelt eingeht, bekommt man Lethe zu trinken. Wir möchten heute unserem Volke zurufen: Wer dieses Lethe des Morphiums und Alkohols gewählt, fährt zur Hölle!
Die höllischen Wirkungen dieser Betäubungsmittel empfindet man ja sehr direkt in dem Katzenjammer, der fast immer nach dem Rausche folgt. Gerade aber dieses Hin- und Hergeworfenwerden zwischen höchster Erregung und tiefster Erschlaffung, gerade dies läßt den Menschen nicht zur Stetigkeit, nicht zu einheitlichem Plan und Entschlüsse kommen, weil auch der Muth in der Erregung sehr groß, im Katzenjammer aber verzagt ist. — Daher die Unfähigkeit, einen Entschluß zu fasseu und festzuhalten, daher die Willensschwäche und das Haltlose. — Um die wilde Energie von Naturvölkern zu brechen, dazu ist ja seit Langem der Fuselschnaps ein viel besseres Mittel als Säbel und Kanonen. Wo alle Versuche zur Unterjochung vergeblich waren, da hat das Feuerwasser geholfen. Noch ehe die Bibel die Rothhäute Amerikas und die Eingeborenen Australiens erreichte und sie bekehrte, gelangte zu ihnen der Pionier der europäischen Cultur, dem Nichts widersteht, der Schnaps, noch ehe sie mit den anderen Segnungen der europäischen Cultur beglückt wurden, sanken sie Geschlecht ans Geschlecht üüs Grab und machten europäischen Einwanderern Platz, besiegt vom Schnaps. Es ist erwiesen, daß ein Schwarzer, welcher bei Wasser 80 Jahre erreichen könnte, im besten Mannesalter stirbt, wenn er Rum gekostet hat. Das meiste Verderben hat der Alkohol wohl den Maoris, den Eingeborenen ans Neuseeland, gebracht. Wie die Maoriratte vor der Ratte des weißen Mannes, wie der Maoriklee vor dem Klee des weißen Mannes vergangen ist, so vergeht auch der Maori selbst, sobald der weiße Mann sich ihm naht. Dieses interessante, intelligente Volk wird bald von dem Erdboden verschwunden sein, besiegt von dem unseligen Branntwein, der Geißel Nordeuropas. Die Mäßigkeit war, wie sie selbst erzählten, der Grundstein ihres Reiches und ihres Glückes, mit ihr brach das ganze Gebäude, ein
Wunderwerk polynesischer Bauart, zusammen. — Ich bin einst mit einem Schiff gefahren, das viele viele Tausende von den anmuthigen schöngeformten Korbflaschen, die den schrecklichsten Fusel enthielten, nach Südamerika brachte — mehr Gift, als meine ganze Schiffsapotheke in Strychnin, Atropin, Morphium re. enthielt. Gift um so mehr, als wir nach den Tropenländern fuhren, unter deren glühender Sonne das Gehirn und die Leber durch Alkohol um so rascher zerstört werden. Gehen doch auch so und so- viele Deutsche, die sich in den Tropen angesiedelt haben, durch Cognac zu Grunde!
Auf die Frage aber, warum nun meist das starke Geschlecht, die Männer, Sklaven dieses Lasters werden, höchst selten die Frauen, giebt Goethe eine Antwort, die wenigstens das Richtige andeutet: dem Mädchen ist ein Kuß, was uns ein Gläschen Wein, Eins und dann wieder Eins re. Der Frau genügt das Bewußtsein zu lieben und geliebt zu werden, um in Geduld alle Stürme des Lebens über sich ergehen zu lassen und in des Unglücks Nacht nicht zu verzweifeln; andererseits aber führt ihre ganze geistige und gemüthliche Organisation und unsere socialen Einrichtungen die Frau nicht so in den Kamps des Lebens, als den Mann, den Träger der Cultur und den Versorger der Familie. Welche inneren Gährungen hat ein Jüngling durch- zumachen, ehe er zum Manne, zum vollen Manne heranreist: er dünkt sich geschaffen, alle Räthsel der Welt zu lösen, will den ewig stummen Sternen ihr Geheininiß entlocken, im Kraftgefühl der Jugend will er die Welt unter seine Füße legen, Gold, Macht, Ehre erringen und wie wenig giebt ihm die Welt, welche bittere Resignation muß er üben! Daß diese Gedankenreihe richtig ist, erhellt aus der Thatsache, daß in den ärmeren Klassen, wo die Frau mit in den Kampf ums Dasein gezogen wird, wo ihr der Schutz der Familie fehlt, daß sie da auch dem Laster des Trunkes verfällt, wie dies in West- und Ostpreußen und Schlesien zu beobachten ist, wo sich die Frauen unter einander und mit den Männern betrinken. In dem tobenden Kampfe aber um das schöne Ziel locken von allen Seiten Versuchungen zu Genuß und in den Taumel: ein Schritt seitwärts und verloren ist oft die jahrelange Mühe, unrettbar verloren geht es von Stufe zu Stufe in den Abgrund, um so schneller je mehr man sich dem falschen Freunde Alkohol ergiebt. In alle diese Kämpfe zur Erringung einer harmonischen Persönlichkeit und zur Erringung einer Lebensstellung kommt das Weib im Ganzen nicht und wird in Mitte der Familie vor, allen Versuchungen bewahrt. Ihre Aufgaben und Ziele sind beschränkt, ihre Anlagen einfacher und so ist für sie eher die Harmonie zu erreichen. An einer wahren Liebe aber hat sie meist einen Halt für das ganze