Heft 
(1.1.2019) 03
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Alkohol und Lultur.

Leben, während dem Manne oft die Liebe nnr eine Episode seines Lebens, ein Erlebniß ist.

Von Frauen ist ja nun auch die Agitation gegen den Alkoholmißbrauch ausgegangen, die so­genannte Temperenzbewegung namentlich in Nord­amerika, hat aber leider sofort die excentrischen Formen angenommen, das Fratzenhafte, zu dem jeder gute Gedanke in Nordamerika sich leicht verzerrt. Man denke nur an die Heilsgenossenschast mit ihrer militairischen Organisation, Heilsgenerälen, Unter­offizieren, den Heilstrommeln re. Die Temperenz­bewegung hat sich mit einer Art Betseuche verge- schwistert, die an heulende Derwische in Konstanti­nopel erinnert. Tausende von Frauen und ihren Anhängern ziehen unter Absingen von Chorälen und betend vor ein Schenklokal und beten und singen solange, bis der Wirth sein Lokal schließen muß oder wenigstens sich mit ihnen irgendwie ab­findet. Ueberall errichtet man Temperenzlokale, worin nnr Kaffee, Thee und Sodawasser verabreicht wird. Im deutschen Reichstage aber hat vor Kurzem der Centrnmsführer Windthorst einePhillipika gegen den verderblichen Frühschoppen der Studenten und jungen Referendare gehalten, auch durch das ganze deutsche Reich haben sich Vereine gebildet gegen den Alkoholmissbrauch, und ihrem heilsamen Gedanken sofort die That folgen lassen mit Eröffnung von Kaffee- und Warmbierlokalen, die dem Arbeiter für wenig Pfennige eine unschädliche Erquickung und Anregung der Kräfte bieten. Wenn nun auch Kaffee und Thee und Warmbier nicht ganz die belebende Wirkung eines Schnäpschens für den Arbeiter in der Kälte haben, so halten sie doch wenigstens von allznreichlichem Genüsse des Alkohols ab und Kaffee ist geradezu eine Art Gegengift gegen Alkohol. Man sollte aber auch damit Vorgehen, die Anzahl der Giftbuden zu beschränken und weniger Con- cessionen ertheilen, denn jede Kneipe ist eine neue Versuchung. In großen Städten kann man be­obachten, wie die kleinen Kneipen und Schnaps- bndiken immer die ersten geschäftlichen Unterneh­mungen sind, die in einem neuen Stadtviertel sich aufthun. Sie sind die Pioniere der Cnltur auch hier wie in den Colonien. Ich glaube, daß eine Beschränkung der Concessionsertheilung sich hier ganz wirksam erweisen würde.

Um einen Begriff davon zu geben, was der ge­meine Mann als Schnaps trinkt, führe ich aus einem renommirten Werke über Destillirkunst (Die Destillirknnst der geistigen Getränke aus warmem und auf kaltem Wege, ein vollständiges Handbuch der Liqueurfabrikation, A. L. Moewes. 8. Auslage. 1882. Berlin), folgende Anweisung für die Destil­lateure an.

Die einfachen Branntweine (im Gegensätze zu den feinen Liqueuren) sind im eigentlichen Sinne

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des Wortes einfach. Sie werden nur von Land­leuten, Schiffern u. s. w. gekauft. Man bereitet sie aus dem rohen Spiritus, auch verwendet man den Nachlauf und sonstige Abgänge dazu. Man stellt sie durchschnittlich zu einer Stärke von 25 bis 30 Procent dar und färbt sie, um ihnen we­nigstens etwas Ansehen zu geben, mit Znckertinktur hellbraun oder mit Kirsch- oder anderem Fruchtsaft roth. Früher wurden sie, wenn auch nur mit ge­ringer Sorgfalt aus rohem Spiritus, doch ohne Absonderung des Nachlaufes destillirt; die jetzigen Preise lassen dies jedoch nicht mehr zu, man mischt sie daher aus dem Nachlaufe und den Abfällen mit Zusatz von rohem Spiritus und Wasser und setzt ihnen auf 100 Liter etwa 30 §r ätherisches Oel, wie es zu der betreffenden Sorte paßt, hinzu. . . . Wer hinreichenden Absatz von einfachen Brannt­weinen hat, findet bei deren Bereitung die beste Verwendung des Nachlaufes, der von allen Destillaten in einem dazu bestimm­ten Fasse gesammelt und wenn eine genügende Menge beisammen, von Neuem auf die Blase ge­bracht und abdestillirt wird, wobei man etwa den vierten Theil der Füllung wiederum als Nachlauf betrachtet und aushebt. Ist der Geschmack des Destillats durch die hierbei zusammenkommenden verschiedenartigen Sorten gar zu schlecht, so kann man dasselbe freilich nur als Brennspiritns ver­werten, wozu eine Stärke von 80 Procent Ir. erforderlich ist.

In diesem Schnaps, der das gewöhnliche Genuß- mittel des gemeinen Mannes ist, sind also die schwer giftigen Fuselsubstanzen in größerer Menge enthalten. Nach den neueren wissenschaftlichen For­schungen und Experimenten nämlich ist es diese Beimischung von Kartoffelfusel (einer besonderen Alkoholart) des Amylalkohol, welche die zerstörende Wirkung auf das Nervensystem ausübt. Der ge­wöhnliche Alkohol (denn es giebt eine ganze Reihe sogen. Alkohole) heißt chemisch Methylalkohol und ist von jenem Amylalkohol durch geringeren 0 H- gehalt unterschieden (O^Ug O Aethyl und OzlffzO Amylalkohol). Eine Mischung von diesem reinen Methylalkohol mit 34 Proc. Amylalkohol (dem Fusel) wirkt ebenso giftig als Kartoffelbranntwein. Dadurch ist eben gerade der Wein von dem Ge­treide-, Rüben-, Kartoffelschnaps unterschieden, daß er diese giftigen Substanzen, wenigstens der unver­fälschte Wein, nicht enthält. Von der Menge und Art der schädlichen Alkohole hängt sowohl der Charakter des Rausches, als die nervenzerstörende und entsittlichende Wirkung der geistigen Getränke ab. Der Weinrausch macht heiter, liebenswürdig, schwungvoll, die Bewohner von Weinländern sind leichtlebige, offenherzige, zuvorkommende Menschen,

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