Heft 
(1.1.2019) 03
Seite
141
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Tgmeiire Amösch

F. Dahn: Kleine Romane aus der Völkerwanderung.

Bd.I. Felicitas (476n.Chr.) Bd.II. Bissnla (378 n.Chr.:

Leipzig, Breitkopf L Härtel.

Unsere Culturentwickelung ist seit den Urzeiten nicht immer dieselbe geblieben, denn durch das Eindringen des Christenthnms und fremder Cultur hat die unsere einen ge­waltigen Stoß bekommen. Langsam aber stetig verschmolz germanisches Geistesleben mit den eingedrungenen, ihm ganz fremden Vorstellungen. Ein allmähliches Abschleifen und Ausgleichen findet statt, bis der deutsche Geist voll­ständig zersetzt, heutzutage kaum nrehr ein Schatten jenes hohen germanischen Heldengeistes ist. Das Volk kannte die Quelle seiner Urkraft nicht mehr, es steht fremd, ja feindlich dem Vermächtnis; seiner Väter gegenüber, und zerstörte damit selbstmörderisch die Wurzeln seines Daseins. Da unternahm es zuerst die deutsche Sprachwissenschaft, die kümmerlichen Reste reingermanischer Cultur aufzudecken. Die Poesie bemächtigte sich bald dieser Forschungen und besonders der culturgeschichtliche Roman. Auch hier sehen wir Felix Dahn, der mit unermüdlicher Begeisterung für die Verbreitung germanischen Wesens thätig ist, manchen bedeutenden Wurf thun. Denn er verbindet den streng forschenden Blick des Gelehrten mit der Begeisterung und Darstellungskraft eines Dichters. i

Von dieser bedeutenden Begabung legen sowohl sein Kampf um Rom",Odhin's Trost" w., auf die wir später vielleicht zurückkommen können, wie seine in jüngster Zeit erschienenen kleineren Romane aus der Völkerwan­derung ein glänzendes Zeugniß ab. Gerade die spär­lichen Nachrichten aus der Völkerwanderungszeit mußten den Dichter reizen, aus denselben ein großes phantasie­volles und doch wahres Bild jener Tage zu schaffen. So war ihm für seineFelicitas" ein Jnschriftfund von zwei Zeilen genügend, um ein glänzendes, lebensvolles Idyll erblühen zu lassen. Er führt uns um 476 nach Juvavum (Salzburg). Der Schattenkaiser Romulus Augustulus ist durch Odoaker abgesetzt, das stolze weströmische Kaiserreich in den Staub gesunken. Die Länder jenseits der Alpen litten seit Jahrhunderten unter dem harten Joch beute­gieriger römischer Beamten. Nur wenige Römer sind noch ihrer Ahnen würdig, heidnische und christliche Elemente vermengen sich wunderlich in den Bewohnern dieser Ge­biete, sie sind bereits ein todtsieches Volk, diese Römer ohne Götter, ohne eingeborene Krieger, ohne echte Weiber, ohne Kinder. Aber eine neue Völkerwoge braust mit Macht herein, die das faulgewordene Römerthum wegspülen wird: die Germanen stehen vor den Thoren. Unter diesen Ver­hältnissen spielt sich die Erzählung ab. Um die Heldin gruppiren sich die anderen Personen, die in glücklichster Weise zugleich als Vertreter der damals herrschenden Geistes­richtungen dastehen. So stehen den Abbildern des da­maligen Nömerthums in seiner Versunkenheit, dem Wol­

lüstling Leo, dem Tribunen und dem Wechsler Zeno die edlen Gestalten eines Severus und Cornelius Ambiorix gegenüber, die mit tiefem Schmerze den Zerfall des Welt­reiches kommen sehen, den sie nicht aufzuhalten vermögen. Das aufstrebende Christenthum findet in dem Greise Jo­hannes seinen besten Ausdruck. Solche prächtige Gestalten aber, wie der allemannische Königssohn Liuthari, sein Waffen­meister Hadunalt, der Bajuvarenherzog Garibrand mit den Seinen geben uns ein schönes, erhebendes Bild von unseren Vätern, wir fühlen die mächtige, überströmende Kraft, über die sie verfügten. Wir sehen gewaltige Leidenschaften, aber auch einen gewaltigen ehernen Willen.

Wenn wir bedauern müssen, daß in dieser Dichtung, die mit solcher frischer und warmer Liebe geschrieben ist, der Stoff eine breitere Ausmalung germanischen Lebens nicht verstattete, so macht die folgendeBissula" diesen Mangel wieder gut. Das Jahr 378 war für die Ger­manen ebenso wichtig wie 476. Das Römerreich dient zwei Herren. Im Osten steht Kaiser Valens gegen die Goten vor Adrianopel im Felde, im Westen das Heer seines Neffen Gratian gegen den mächtigen Allemannenbund.

Der Schauplatz unseres Romans ist das Bodensee­gebiet. Das Heer des Gratian rückt heran, die Allemannen sind in die Wälder verschwunden. Eine unheimliche Schwüle lagert über den Anfang. Endlich brechen die Allemannen hervor und vernichten nach einem furchtbaren Kampfe das ganze feste Lager der Römer. Diese geschichtliche That- sache erweiterte sich dem Dichter zu einem farbenreichen Gemälde damaligen Lebens. Auf römischer Seite begegnen uns der alternde Dichter und Feldherr Ansonius, sein Nesse Herculanus, der kräftige, altrömisch gesinnte Saturnius und Nannienus. Als Bindeglied zwischen Römern und Allemannen steht die reizende Bissula, die von den Römern gefangen, Ansonius zu Heller Liebe entflammt. Sie aber liebt Adalo, den jungen Allemannenedeling, dessen Werbung sie abgewiesen, den sie aber doch nicht lassen kann. Neben diesem herrlichen Paar steht alle anderen weit überragend die Gestalt des gewaltigen Allemannenherzogs Harionalt, der die alte Schwäche der Germanen, ihre Uneinigkeit sieg­reich bekämpft und sie zu einem gewaltigen Völkerbund vereint hat, den er gegen alle, selbst gegen den mächtigen Gaukönig Ebarbold aufrecht zu erhalten weiß.

Mit kundiger Hand versteht Dahn die Menge loser Fäden, die sich ihm darboten, zu einem kunstvoll, dramatisch bewegten Ganzen zu verweben.

Besonders gelang es ihm große Massen in Bewegung zu setzen, und der Ueöerfall des Römerlagers inBissula" gehört ebenso, wie der Sklavenaufstand und die Scenen in der Kirche inFelicitas" zu dem Vortrefflichsten, was er geschrieben, wie überhaupt die beiden Romane außerordent­lich reich sind an großen und gewaltigen, wie kleinen, liebe­voll ausgeführten Scenen.