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Allgemeine Rundschau.
Das aber, was uns dieselben doppelt werth macht, ist der Hauch echt nationaler Begeisterung, der sie durchweht, und so werden sie für uns nicht allein ein Quell ästhetischen, sondern auch rein ethischen Genusses. Der Dichter hat sich die schönste Aufgabe gestellt, er will uns wiedergeben, was fremde Eindringlinge frech zerstört haben: Echte Germanen, echte Heldengestalten, an denen wir uns bilden, veredeln können.
Zu unseren Illustrationen.
Andacht, von E. Simm. Der durch eine Reihe von trefflichen Arbeiten weit bekannte Künstler, dem wir ans diesem seinem Gebiete noch oft zu begegnen hoffen, führt uns in seiner reizvollen, zum mindesten sehr wahr wiedergegebenen Darstellung einen Moment vor die Augen, der zu der Bezeichnung der fraglichen Bildes im direetesten Gegensatz zu stehen scheint. Und dennoch, wer in das Herz dieses liebenswürdigen Geschöpfes mit den rosigen Wangen und den nachdenklich nach oben gerichteten Augen zu schauen vermag, der weiß, daß dessen Andacht von den tiefsten Gefühlen begleitet ist, wenn diese auch einen Gegenstand betrifft, der mit dem Inhalt des in der Rechten des schönen Mädchens ruhenden Buchs wenig zu thun hat. Aber ist denn die Liebe nicht auch ein Gottesdienst? Sind die frommen Wünsche, welche wir einem mit der ganzen Inbrunst unseres Herzens geliebten Wesen in geweihter Stille widmen, nicht auch eine Andacht voller inniger Hingebung und Frömmigkeit? Gewißlich! Frage dich nur selber, lieber Leser, und du wirst in dem Antlitze des jungen Mädchens nicht nur alles das finden, was man unter „andächtiger Stimmung" im Sinne eines den glücklichsten Augenblick des Lebens sehnsüchtig erhoffenden liebenden und wiedergeliebten Wesens zu verstehen hat, sondern auch zugeben müssen, daß der Künstler diesen schönen Augenblick treffender uns gar nicht hätte vergegenwärtigen können.
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Lateinische Studenten. Nach dem Gemälde von Luis Mmenez. Das Gymnasium im Schulkloster von San Jsidro ist eine Musterschule für ganz Spanien. Bei keiner Schule ist eine so stattliche Kirche, nirgends wird die Sittlichkeit der Jünglinge (eigentlich einander ausschließende Begriffe) so streng überwacht, nirgends wird ein reineres Latein gesprochen, nirgends wird der Kirchengesang so künstlerisch betrieben, nirgends sind die Schulzimmer so still und abgelegen, nirgends ist jedes weibliche Wesen so verbannt und ausgeschlossen, nirgends sind die Mauern so hoch, nirgends sind die Karzer so unheimlich und feucht, als in San Jsidro.
Nirgends sind auch die Magister strenger, gelehrter, energischer. Da sie alle Mönche sind, so halten sie es für ganz möglich, daß Böglein ohne Flügel, ein Nestchen ohne Junge und Jünglinge ohne Liebeleien existiren können. Ihre großen Folianten enthalten alle Weisheit der Erde, und die Weisheit läßt bekanntlich ganz leicht das Glück missen.
Es hat geregnet. Eine Sommerstunde hindurch hat es wie mit Scheffeln vom Himmel geschüttet. Die Gebüsche des Gartens waren von einem wüthenden Sturme zerzaust, die Bäume gebogen und die Blumen zerschlagen worden. Die Studenten saßen in ihren Wohnsälen hinter Büchern oder Zeichnungen (die Lehrstunden waren vorüber) und glotzten darüber hinweg in den strömenden Regen hinaus, und machten dabei Buckel wie begossene Pudel.
Dann wurde der Regen schwächer, die Luft reiner, die Wolken verschwanden, und die Sonne, o du liebe Sonne! war wieder da und glänzte auf die erfrischte Erde.
O, der herrliche, erfrischte Abend! Auf allen Büschen zitterten Regenverlen, jeder Blumenkelch glich einem gefüllten Becher, Rosendüfte zogen scharf durch die Lust und die Pfützen verrannen langsam über die Straße.
Wen hätte es da noch in den Sälen geduldet?
Hinaus, hinaus, junges Volk, in Gruppen zu fünf und zu zehn, denn auch draußen kann man stndiren. Sie wissen das Pförtlein in der hohen Mauer im Hintergründe des Gartens gar wohl, und sie haben einen Schlüssel wie die Diebe, und im Nu sind die fröhlichen Gesellen ans die Straße entschlüpft, alle in der grotesker: Schüleruniform des Stiftes, im häßlichen Zweispitz, im schäbigen Mantel, das Haar hinten zierlich gebunden. Draußen sind sie — draußen ist auch die Gruppe der fiinf Herzensfreunde Zwar:, Luis, Manoel, Jvso und Juan, lind sie gucken rechts und gucken links.
Nach einem Sommerregen kommen auf allen Wegen zweierlei Geschöpfe zum Vorschein: Regenwürmer und Mädchen.
Da kommen schon Zwei derselben einher, Pepita und Juanita, die Schwarze und die Blonde, die hübschesten Putzmacherinnen der Welt.
Sie kommen einher mit ihren Schildkrotkämmen und ihrer koketten Mantilla, mit ihren Fächern voll Vögelge ginster, ihren Seidenschnhen und ihren kurzen, bauschigen Seidenröckchen — Pepita in Gelb und Juanita in Rosenfarb.
Und die Studenten grüßen und die Mädchen lächeln. — „Das sind zwei Bücher, welche Alles enthalten, was wir lernen können — alle Wissenschaften seit Archimedes, alle Gelehrsamkeit seit Aristoteles. Laßt uns diese zwei Büchlein durchlesen, College::, laßt uns stndiren!" — rief Jvsö fröhlich, und warf der schwarzen Pepita einen glü henden Blick zu.
— „Laßt uns stndiren!" - - rief sein Herzensfreund Inan, der blonden Juanita zulächelnd.
„Laßt uns stndiren!" - - lachten Alle, und Pepita und Juanita lachten mit.
— »Hnou8<in6 tairckern, <m8tita.s, allntoro pntionti:: iio8trn?« — sagten die Studenten würdevoll und näselnd. «Ues jneni:ell88:raa 68t, pncülnii: 086 ::ü:ro . . l'ullbruin st ckoeorni:: 68t, pro t'cnninn vivoro . . .« Und so fort mit allen möglichen grammatikalischen Schnitzern und Späßen.
— „So! Das war Lateinisch!" -- sagte Josü. Jetzt kommen wir zur Geschichte. Roger Bacon erzählt, daß Sir Walter Raleigh eines Tages seinen Seidenmantel über eine Pfütze gebreitet habe, damit die Königin Elisabeth trockenen Fußes hinüberschreiten könne, wofür sie ihn zu ihrem Günstling erhob! . . ."
Damit nahm Josü rasch seinen Mantel von der Schulter und breitete ihn über eine verrinnende Pfütze, an welcher Pepita und Juanita eben standen, so daß die beiden Mädchen trockenen Fußes mit ihren lichten Schuhen hinübertrippeln konnten.
— „So, das war «Geschichte«!" - lachte Juan. „Jetzt kommt die Literatur . . ."
Und im Nu hatten Josü und Juan die beiden Mädchen umfaßt, und zwei Küsse erschallten, und die übrigen Schüler riefen jubelnd und die Hüte schwingend: »^:-8 anmncli! ^er8 nnmiicli . .!«
Die Mädchen entschlüpften lachend und kichernd, Joso und Juan schauten ihnen nach, wie berauscht, und die Vögel in den Zweigen zwitscherten und die regenglänzenden Blätter an den Bäumen rauschten, und die Burschen seufzten: »^:-8 Linnncki! ^4r8 nnmneli . . .!«
II. N. Vncmiio.
Patronillendienst bei Dresden. Nach dem Gemälde von H. Mühlig. Das Ausbilden der Rekruten auf dem eng begrenzten Kasernenhofe ist vorüber; es geht hinaus in die freie, herrliche Gottes-Natur, in die köstliche Frische eines Svmmermorgens. Wie es duftet, grünt und blüht, wie der Than in den Gräsern diamantartig blinkt und leuchtet und von den gebeugten Aehren schwer her- niedertropst und aus dem Laubgewirr der alten schönen