Frau Eva.
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„Ich," erwiderte Horst etwas gedehnt, „o, von mir ist nicht viel zu sagen. Ich habe ein paar Jahre gebummelt und dann ein Paar Jahre als Regierungsbeamter ziemlich stramm gearbeitet. Ich habe ein Paar Jahre lang die Welt ganz subjectiv und mich, naiver Weise, als einen Theil ihres Mittelpunktes betrachtet. Seit einiger Zeit aber bin ich objectiv geworden, interessire mich nicht mehr übermäßig für mich — ah, wozu davon sprechen! Ich freue mich, daß ich Dich hier gefunden habe, und ich hoffe, wir werden gute Kameradschaft halten!"
II.
Horst hatte noch am selben Abend die Bekanntschaft des alten Baron Hersall und seines zweiten Sohnes Paul, sowie der Frau von Seiger und ihrer Tochter Irene gemacht. Nnr die »Erbtante« war unsichtbar geblieben.
„Sie ist sehr zart und muß geschont werden," sagte der alte Baron.
„Sie ist leider immer kränklich!" seufzte Frau von Seiger.
„Sie ist schlechter Laune oder apathisch," flüsterte Karl seinem Freunde zu.
Am nächsten Morgen kletterte Horst einen einsamen Waldweg empor. Am Anfang desselben traf er Paul Hersall, der eine Rose zwischen den Lippen hielt und aus irgend etwas zu warte« schien. Horst's Aufforderung, ihn zu begleiten, lehnte er ab, indem er behauptete, Frau von Seiger erwarten zu müssen.
„Der wird dem guten Karl nicht gefährlich werden," dachte Horst, „und ich meine, ich brauche ihm nicht erst einen Zeitvertreib zu schaffen, der ihn von der schönen Irene fern hält. Er hat ihn schon allein gefunden."
Den Weg hinab, Horst entgegen, kam ein Jäger, die Büchse über der Schulter, geschritten. Er ging langsamer, als er Horst bemerkte und sah diesen so eigenthümlich an, daß es ihm auffiel. Nach einigen Schritten wandte Horst sich um. Der Jäger stand noch auf derselben Stelle, wo er Horst begegnet war und blickte ihm nach.
„Sonderbarer Kauz," murmelte Horst und stieg weiter hinauf. Auf der Höhe lief der Waldweg eben hin.
Horst that einige tiefe Athemzüge und blickte über eine Lichtung hinab in das Thal, das sonnen- glänzend zu Füßen des Bergwaldes lag. Da hob sich vor ihm zwischen den Farrenkräutern und kleinen Fichten der Schonung ein blonder Kopf empor und blickte gleich ihm in das Thal hinab. Das Gesicht der Dame, welche sich diesen Lagerplatz auf dem Abhange gewählt hatte, konnte er nicht sehen. Er sah nur den zierlichen Kopf, über dessen blonder Zopfkrone die Sonnenstrahlen spielten.
„Aha, da ist auch Jemand, der guten Geschmack genug hat, den Wald der Kurmusik vorzuziehen," dachte Horst.
Eine Bank stand hinter ihm am Wege. Er setzte sich darauf und fand, daß die Dame da unten in der Schonung ihren Platz mit viel Geschick gewählt hatte.
„Wenn ich nicht fürchtete, sie zu verscheuchen, legte ich mich auch dorthin in das weiche Moos," dachte er. „Und wie hübsch der Blick ist! Unmittelbar unter uns die Baumkronen mit ihren verschiedenen Schattirungen, dann das sonnige Thal mit den weißen Häusern und dem Fluß und jenseit die in blauen Duft gehüllte Bergkette. Wirklich schön!"
Weiße Schmetterlinge gaukelten über der Schonung, und ab und zu, wenn dieselben gar zu dicht an dem blonden Kopf vorüberflogen, hob sich eine weiße Hand, an welcher ein Diamantring farbige Blitze sprühte, empor und streifte die Falter ohne sie zu fangen. Die Zweige rauschten und die Bienen summten — sonst entweihte kein Ton die Stille des Waldes. Horst blickte träumerisch vor sich hin. Waldesrauschen und Waldeinsamkeit gehörten zu seinen frühsten Erinnerungen. Wie oft war er mit seiner Mutter durch den Bergwald geschritten und sie hatte ihm von seinem Vater erzählt, der gestorben war, noch ehe Horst mit Verständniß den Vaternamen aussprechen konnte. Dann war auch sie gestorben. Die Vormundschaft hatte sein väterliches Gut verpachtet, er war fremd geworden in der alten Heimath und stand allein in der Welt. Nur das Waldesrauschen sprach ihm manchmal von seiner Kindheit.
Horst hatte wohl ziemlich lange so gesessen, den Blick in das Waldesgrün gerichtet und in Gedanken in ferne Zeit zurückschweifend. Als er endlich auf- stand um weiter zu gehen, blickte er unwillkürlich wieder nach der blonden Dame auf dem Abhange vor ihm. Zuerst konnte er sie nicht entdecken. Er trat etwas weiter vor. Da saß sie vor ihm. Sie hatte das Gesicht in ihre Hände gedrückt, als weine sie. Horst trat zurück. Er wollte nicht indiscret erscheinen. Ein Seufzer klang zu ihm herauf, so tief und schmerzlich, daß er einen mitleidigen Blick auf den geneigten blonden Kopf warf. Langsam schritt er weiter.
Auf dem Rückwege sah er nochmals den Jäger. Derselbe blickte aber diesmal gar nicht auf. Mit finster zusammengezogenen Brauen, die Hände in den Taschen geballt und leise vor sich hinmurmelnd, schritt er an Horst vorüber.
Kurz vor seinem Hause traf Horst Karl Hersall.
„Ich hatte heut eine wunderliche Begegnung," sagte dieser. „Ich kaufte einen Strauß Rosen für Irene. Da begegnet mir, als ich eben damit hinter
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