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Moritz von Reichenbach.
der Colonnade vorübergehe, ein Mensch in Jäger- kleidung, fixirt mich in sonderbarer Weise und bleibt gar vor mir stehen. «Was wünschen Sie?» frage ich. »Ich wollte Sie nur warnen, Herr Baron,« antwortete er mir; «die Rosen wachsen aus gefährlichem Jagdgrunde.« Ich sagte ihm natürlich, daß ich ihm riethe, nach Hause zu gehen und seinen Rausch auszuschlafen, worauf er etwas murmelte, was offenbar kein Segenswunsch war, und davon trollte."
„Ich habe denselben Kerl im Walde gesehen," ries Horst; „er war offenbar betrunken."
„Ja, das dachte ich auch — übrigens, ehe ich es vergesse, ich wollte Dich bitten, doch Paul zuzureden, die heutige Reunion mit Dir zu besuchen, ich möchte den heutigen Abend so gern ungestört mit Irene verbringen."
Horst dachte, daß er vielleicht die Blondine aus der Schonung auf der Reunion treffen könnte und willigte ein.
III.
Horst war nicht auf seine Rechnung gekommen. Eine Blondine war allerdings bei der Reunion gewesen; sie hatte aber den Wald noch nicht besucht und trug auch das Haar in kurzen Löckchen. Horst aber hätte gern das Gesicht der Eigenthümerin der blonden Flechtenkrone gesehen.
Am anderen Morgen wanderte er wieder den Weg nach der Schonung hinauf, und als er sich vergewissert hatte, daß er allein war, kletterte er den Abhang hinab bis zu dem moosigen Stein zwischen den Farrenkräutern, wo er gestern die Unbekannte gesehen hatte. Er setzte sich auf den Stein und blickte um sich. Das Thal vor ihm lag noch im Schatten, aber auch in dieser neuen Beleuchtung war der Blick schön.
„Ein recht weltverlorenes Plätzchen, zum Träumen wie geschaffen," dachte er, „aber glückliche Träumereien schienen es nicht zu sein, die »sie« hier beschäftigten. Ach ja, glücklich ist man eben erst, wenn man sich eine gewisse Portion Objec- tivität angeeignet hat, wie ich — d. h. man ist dann ruhiger. Glück — glücklich sein — was heißt das überhaupt? Glücklich ist man vielleicht, so lange man die Welt noch so sieht, wie man sie sich träumt, wenn man noch ganz jung ist. Nachher kommen die Enttäuschungen und dann die Resignation. Es ist immer dasselbe.
Er legte sich zurück in das Moos und blickte zu dem Farrenkraut auf, das über seinem Haupte schwankte. Da faßte seine Hand etwas Hartes, das im Moose neben ihm lag. Es war ein kleines, ziemlich abgegriffenes Buch — Goethe's Gedichte.
Der Name »Eva« stand auf dem Titelblatt.
„Eva," wiederholte Horst, „das ist also die
Blondine von gestern, kein Zuname steht dabei. Als ob es nur eine einzige Eva auf der Welt gäbe! Uud sie liest Goethe's Gedichte, träumt im Walde uud weint! Ob sie blos sentimental ist oder ob sie wirklichen Kummer hat?" Er blätterte in dem Buche.
„lieber allen Wipfeln ist Ruh,
In allen Gipfeln spürest Dn Kaum einen Hauch.
Die Vöglein schweigen im Walde,
Warte nur, balde Ruhest Du auch."
„Das hat sie angestrichen. Sie trägt sich also mit Todesgedanken und schien doch noch nicht alt." Er blätterte weiter. Da fand er in dem Liede »An den Mond« ein Fragezeichen neben der Strophe:
„Ich besaß es doch einmal,
Was so köstlich ist,
Daß man doch zu seiner Qual Nimmer es vergißt."
„Seltsam," murmelte er, „kenut sie die Liebe nicht?"
Ein Geräusch machte ihn zusammenschrecken, als sei er sich eines Unrechts bewußt.
Er blickte auf. Hinter ihm, auf der halben Höhe der Berglehne, stand eine Dame. Sie trug den Hut am Arme hängend, ein schwarzes Spitzentuch lag lose um ihren Hals und auf ihrem reichen blonden Haar spielten die Sonnenlichter, die sich zwischen den Baumgruppen hindurchstahlen. Sie hatte die Augen weit geöffnet im plötzlichen Schrecken über die unerwartete Erscheinung des jungen Mannes und als sie vollends das Buch in seiner Hand entdeckte, färbte tiefe Gluth ihre vorher etwas blassen Wangen. Horst war aufgesprungen. Er fand die Situation mehr angenehm als erschreckend.
„Verzeihen Sie mir, wenn ich indiscret erscheine," sagte er, „aber Ihr Liebliugsplatz ist in der That so reizend, daß ich glaubte, heute in Ihrer Abwesenheit mich daran erfreuen zu dürfen."
„Mein Lieblingsplatz?" wiederholte sie sehr verwirrt, „aber woher wissen Sie denn, daß dies mein Lieblingsplatz ist?"
„Ich sah Sie gestern hier —"
„Ah, man kann mich also hier sehen? Ich hielt diesen Platz für so versteckt —"
„Im Allgemeinen ist er es wohl auch, habe ich doch selbst aus dem Wege, der oberhalb dieser Schonung hinführt, noch nie einen Badegast getroffen — aber ich liebe die Waldeinsamkeit, und so fügte es der Zufall, daß ich Sie sah —"
„O, das thut mir leid —"
„Meine Gnädigste, Sie brauchen keine weitere Jndiseretion von meiner Seite zu befürchten. Ich werde fortan diesen Weg vermeiden und Sie wer- ! den dann gewiß ganz ungestört bleiben. — Vorher