Frau Eva.
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erlauben Sie aber, daß ich Jhneu dieses Buch, das Sie jedenfalls hier vergaßen, zurückstelle." —
„Ich danke Ihnen, ja, ich habe es gestern vergessen, aber — bitte, glauben Sie nicht, daß ich Sie für indiscret halte. Ich wollte Sie nicht verletzen — ich bin den Verkehr mit Fremden so ungewohnt. "
Es lag eine so rührende Bitte in ihren Augen, sie war so sichtlich verwirrt und bemüht, die Wirkung ihres «das thut mir leid« abzuschwächen, daß Horst seinen Aerger darüber schnell vergaß.
„O, meine Gnädigste, ich finde es sehr begreiflich, daß Sie einem Menschen zürnen, der sich un- gerufen in Ihr Waldversteck drängte." —
„Nein, nein, ich zürne Ihnen nicht, wirklich nicht! Der Wald gehört doch am Ende Allen — und — wenn Ihnen diese Schonung besonders gefällt — wir finden doch wohl Beide Platz darin. Ich versichere, daß Sie mich durchaus nicht stören — ich glaube sogar, daß es mir lieber sein wird, ein menschliches Wesen in der Nähe zu wissen."
„Wenn das der Fall ist — so erlauben Sie mir vielleicht, aus der anderen Seite der Schonung mein Lager aufzuschlagen. Wir werden uns nicht sehen und nicht stören und doch das beruhigende Gefühl haben, daß wir nicht allein sind."
„Ja, das wollen wir thun," sagte sie und ein Lächeln, das ihr seingeschnittenes Gesichtchen wunderbar verschönte, spielte dabei um ihre Lippen.
„Auf gute Nachbarschaft also — und damit Sie wissen, wer Ihr stummer Nachbar sein wird, erlauben Sie mir eine nachbarliche Formalität zu erfüllen."
Er reichte ihr seine Karte. Sie warf einen flüchtigen Blick darauf und wieder stieg das Mut in ihre Wangen. Er war gespannt, ihren Namen zu hören, doch sie nannte denselben nicht, und da sie das Gespräch nicht fortsetzte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen.
Er durchstreifte die Schonung und fand auch bald einen Platz, der ihm zur Lagerstätte geeignet schien.
Er warf sich auf das Moos, verschränkte die Arme unter dem Kopf und blickte zum blauen Himmel auf.
„Wer diese Eva sein mag?" fragte er sich. „Ist sie eine Frau oder ein Mädchen? Ich taxire sie auf 26 Jahr — das Alter, in dem ein Weib anfängt nachzudenken und interessant zu werden. Eigentlich ist diese Begegnung gerade das, was ich brauche. Den Hof machen mag ich nicht. Whist spielen mag ich auch nicht und eine ganze Badesaison hindurch allein zu bleiben, oder Elefant zu spielen, wie mein guter Karl Hersall verlangt — das behagt mir auch nicht. Also will ich diese blonde Eva cultiviren. Sie wird weder Cour-
schneidcreien noch Whistspiel verlangen, aber sie sieht aus, als könnte man manchmal ein vernünftiges Wort mit ihr sprechen. Um ihren Mund liegt ein Zug, der verräth, daß sie gelitten hat; wenn sie aber lächelt, verwischt sich dieser Zug. Das ist interessant."
Nach einer halben Stunde trat er den Rückweg an. Als er am Kurhause vorüberschritt, bemerkte er Paul Hersall im eifrigen Gespräch mit der blondzöpfigen Blumenverkäuferin und nach dem lustigen Lachen und den blitzenden Augen des Mädchens zu urtheilen, machte Herr Paul sich mehr mit ihr selbst als mit ihren Blumen zu thun. Horst schritt, ungesehen von den Beiden, vorüber, vergnügt, daß Paul sich auch ohne seine Bemühungen amüsirte.
Am Nachmittage kam Karl zu ihm, um ihn zu bitten, eine Partie mit ihm, Fräulein Irene und Paul zu machen. Der Assessor hatte keinen ! rechten Grund, abzulehnen; so fand er sich denn ! in die ihm zuertheilte Elefantenrolle und trat die ! Bergwanderung mit den jungen Leuten an. Seine ^ schon ein paar Mal gemachte Beobachtung, daß ! Fräulein Irene dabei sowohl mit Paul als auch mit ihm selbst cokettirte, fand er bestätigt. Er ^ ärgerte sich über Karl Hersalls Blindheit und über Jrenen's Oberflächlichkeit, suchte sich mit Paul durch ein Gespräch über ein studentisches Corps, dem sie ! Beide angehört hatten, zu entschädigen, konnte aber ! auch dieser Unterhaltung keinen rechten Reiz ab- ! gewinnen. Er kam sich unglaublich alt an diesem Nachmittage vor und empfand seine sonst gern betonte Objectivität mehr als Langeweile, denn als Ueberlegenheit.
Als sie zurückkehrten und am Garten der Villa Schellen vorüberschritten, sagte Karl Hersall zu Horst:
„Da sitzt Papa mit Mama Seiger und der Tante in der Laube bei'm Whist — komm mit herein, ich will Dich der Tante vorstellen."
Sie traten in den Garten. Mit dem Rücken -gegen die Kommenden gewandt, saß da eine schwarzgekleidete Dame, ein schwarzes Spitzentuch über das Haar gelegt. Das war also die »Erbtante«.
„Da sind wir zurück," rief Karl den Spielenden zu, „und, liebe Cousine, da ist mein Freund Hagen, den ich Dir schon immer vorstellen wollte. Meine Cousine Baronin Hersall," wandte er sich dann an Hagen. Die schwarzgekleidete Dame wandte sich um — Helle Gluth überflog ihr Gesicht, das von dem schwarzen Spitzentuch dicht umschlossen wurde.
Horst starrte dieses Gesicht einen Augenblick fast erschrocken an. Dann verbeugte er sich tief und erwartete eine Anrede. Doch die Baronin blieb stumm und auch Horst fehlte bei all seiner sonstigen Gewandtheit ein passendes Wort.
Sie sah viel älter aus im Schatten der Laube