Heft 
(1.1.2019) 05
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Moritz von Reichenbach.

und in der Umrahmung des schwarzen Spitzentuches als draußen in der sonnigen Schonung, und doch, es war dieselbe die blonde Eva, die über Goe- the's Gedichte weinte und die whistspielende Erbtante.

Da sie die Begegnung in der Schonung nicht erwähnte, glaubte auch Horst darüber schweigen zu müssen. Er versuchte einige allgemeine Redens­arten, die ihm selbst unglaublich sade erschienen und mit denen er nur bei Frau von Seiger ein dankbares Publikum fand. Die Baronin hatte zwar die Spielkarten fortgelegt, blickte aber so müde und gleichgültig in den Garten hinaus, daß man ihr ansah, sie hörte gar nicht, was um sie her ge­sprochen wurde.

Der alte Baron fragte nach einigen Minuten seine Schwägerin, ob sie es nicht kühl fände?"

Sie bejahte und erhob sich, um in das Hans zu gehen, wohin der alte Herr sie an seinem Arm führte.

Von Horst hatte sie sich nur durch ein leichtes Kopsneigen verabschiedet.

Nun, was sagst Du zu der Erbtante?" fragte Karl, als er später seinen Freund nach Hause be­gleitete.Die Idee meines Alten, daß ich diese Frau heirathen soll, ist colossal, nicht wahr? So stumm und menschenscheu, wie Du sie heute gesehen hast, ist sie immer."

Aufrichtig gesagt, ich finde die Erbtante nicht so schlimm wenn Du aber die schöne Irene vorziehst, so mußt Du doch begreifen, daß diese Komödie nicht ewig fortgesetzt werden kann Du mußt doch endlich einen Entschluß fassen."

Ja, das ist eben sehr schwer. Was würdest Du an meiner Stelle thun?"

Ich? ja, das kommt darauf an. Ich glaube, wenn es mir jemals passiven sollte, mich noch ernst­haft zu verlieben, so würde ich alles daransetzen, um an's Ziel meiuer Wünsche zu kommen und wenn ich mit der Geliebten nach Amerika gehen müßte."

Siehst Du, gedacht habe ich auch wohl daran, doch was sollte ich dort anfangen? Ich glaube nicht, daß ich besondere Talente habe, ein soll-mg-äs- IIML zu werden, und dann ist Irene verwöhnt sie würde Entbehrungen nicht vertragen."

Nun, dann bleibt Dir nur das Eine übrig, was ich Dir schon einmal rieth; entdecke Dich Deiner Tante, mache sie zu Deiner Bundesgenossin."

Das kannst Du mir rathen, jetzt noch, nach­dem Du sie gesehen hast?"

Ja, das sage ich auch jetzt noch, nachdem ich sie gesehen habe im klebrigen ist jeder seines Glückes Schmied. Besteht das Seine im Laviren und im Abwarten zufälliger und unwahrscheinlicher Glücksfälle, so ist das Deine Sache, die meine wäre es nicht. Das ist meine Ansicht, die ich Dir offen

sage, da Du danach frägst und nun, wenn es Dir recht ist, gehen wir in den Kursaal und sehen die Zeitungen durch.

IV.

Horst betrachtete an diesem Abend den Nacht­himmel mit besonderer Aufmerksamkeit, und einige darüber hinziehende Wolken erfüllten ihn mit Be- sorgniß. Wenn es morgen regnet, so kommt Frau Eva nicht in den Wald, dachte er, und es sähe der Bosheit der Wetterdämonen ähnlich von morgen ab für unabsehbare Zeit ihre Regenschleußen zu öffnen. Dann erführe ich nie, warum Frau Eva im Walde so jung aussieht und in ihrer Familie die Rolle der alten Frau spielt, warum sie Frage­zeichen in Goethe's Gedichte zeichnet und warum sie sterben will. Das alles interessirt mich aber natürlich nicht persönlich oder um Frau Eva's willen, sondern als psychologisches Problem. Wird es morgen regnen? Wird Frau Eva kommen, wird sie mir alles erklären, was ich wissen will?

Die Fragen drängten sich ihm immer wieder aus und verhinderten ihn lange am Einschlafen. Als der Schlaf endlich gekommen war, wachte er plötzlich auf, weil er das Rauschen des Regens draußen zu vernehmen glaubte. Er richtete sich auf und starrte mit schlaftrunkenen Blicken das Fenster an, bis ein breiter Streif Hellen Mondlichtes, der sich durch die Vorhänge stahl, ihn beruhigte.

Endlich war es Morgen, der Himmel war blau und wolkenlos und Horst lächelte über seine nächt­lichen Befürchtungen in Betreff des Regens. Zur gewohnten Stunde ging er in den Wald und wartete auf dem Wege oberhalb der Schonung aus Frau Eva. Sie kam nicht. Er begann, die Schonung zu durchwandern. Vielleicht war sie schon früher als er gekommen. Als er sie nicht fand, durch­streifte er den Wald nach allen Richtungen in der Hoffnung, ihr zu begegne«. Es war alles ver­gebens, Frau Eva ließ sich nicht blicken. Er wartete bis zur Mittagszeit, dann trat er sehr verstimmt den Rückweg an. Am Nachmittage vermied er die Villa Schellen und fand Lorbeck ganz unerträglich langweilig. Am Abend nahm er sich vor, seinerseits nun ebenfalls die Fichtenschonnng zu vermeiden und am andren Morgen saß er schon etwas früher als sonst auf der Bank oberhalb derselben, und ver­suchte in einem mitgebrachten Buche zu lesen. Es waren Hamerling'sHesperischeFrüchte". Er blät­terte in der NovelleSylvanus".

Das scheint hübsch und stimmungsvoll zu sein", dachte er,aber dergleichen muß man vorlesen, einer Frau, für die man sich etwa interessirt, dann hat man Genuß davon. Ist man allein, beschäftigt es nicht genug". Mißmuthig schloß er das Buch und sprang zugleich erfreut und erschreckt auf, denn den