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Frau Eva.
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Der alte Baron trat in diesem Augenblick zu den Uebrigen. Er trug einen dicken Mantel über den Arm, den er Karl hinreichte.
„Da nimm das für die Cousine mit, ich bin überzeugt, daß diese Tour ihr schaden wird — liebe Schwägerin, wollen Sie wirklich darauf bestehen, diese Fahrt mitzumachen?"
„Ich fühle mich vollkommen Wohl," sagte Frau Eva mit unsicherer Stimme. Horst's Geduld war zu Ende.
„Und ich bin überzeugt, daß diese Fahrt Ihnen vorzüglich bekommen wird," rief er, worauf sich aller Augen vorwurfsvoll und erstaunt auf ihn richteten. Nur Frau Eva hatte die ihren zu Boden geschlagen. Horst ärgerte sich darüber, daß sie so verlegen und unselbstständig war und fühlte sich doch zugleich gerade dadurch zu ihrem Schützer berufen.
Der alte Herr und Frau von Seiger nahmen in Frau Eva's Wagen Platz, die vier „jungen Leute", wie Frau von Seiger sie nannte, bestiegen den zweiten Wagen.
„Weshalb ist Ihre Frau Tante eigentlich hier? Sie sieht vollkommen gesund aus," fragte Horst Paul Hersall, der sich heute auffallend wenig um die schöne Irene bekümmerte, deren Unterhaltung Karl allein übernommen zu haben schien.
„Gesund?" wiederholte Herr Paul erstaunt. ,,O nein, das ist sie nicht. Sie aß nicht, sie sprach nicht, sie ging herum wie ein Schatten und die Aerzte, die Papa ihretwegen consultirte, verordnten einstimmig eine Luftveränderung, um eine heranziehende Nervenkrankheit zu verhindern, deshalb sind wir ja hier. Und daß sie wohl aussähe, kann ich auch nicht finden. Heut hat sie allerdings merkwürdiger Weise etwas Farbe, aber für gewöhnlich ist sie blaß und matt wie ein Schatten. Schade, daß eine Frau überhaupt 30 Jahre alt wird", setzte er etwas leise, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß Irene mit Karl beschäftigt war, hinzu, „daß es alte Frauen giebt, scheint mir ebenso nnmotivirt,
als die Existenz der Hyänen und Moskitos — man weiß nichr, wozu sie da sind." Horst zuckte die Achseln.
„Ich wünschte, daß meine Mutter eine alte Frau geworden wäre, und ich noch das Glück hätte, sie zu besitzen" sagte er.
„Ja, mit den Müttern das ist etwas anders, Mütter können wohl alt werden," meinte Herr Paul, „ich sprach nur so im Allgemeinen."
Als man den grauen Berg erreicht hatte, machte der alte Herr den Vorschlag, daß Frau Eva mit seinem Sohne Karl am Fuß desselben Zurückbleiben solle, während die anderen den Berg bestiegen.
Horst's lebhafter Widerspruch wurde wiederum mit allgemeiner Mißbilligung ausgenommen, hatte aber doch den Erfolg, daß Frau Eva den Muth fand, zu erklären, sie wolle den Berg besteigen, worauf unter vielem Kopfschütteln und Achselzucken Mantel, Plaids und Ueberschuhe für sie unter den Herren vertheilt wurden. Horst wollte sich an ihrer Seite halten, doch sie schien ihm auszuweichen, und er begriff, daß sie ihre Begegnungen im Walde verleugnen wollte, was ihn theils ärgerte, theils aber auch reizte, über ihre Motive nachzudenkeu. Ihrem augenscheinlichen Wunsche folgend, hielt er sich mehr an die andren und beschloß, durch diese möglichst viel über das Leben der sonderbaren Frau zu erfahren, da sie selbst so verschlossen blieb. Paul, der heut kein besonderes Gefallen an der übrigen Gesellschaft zu finden schien, und bald mit ihm zurückblieb, kam ihm zu Hülfe.
„Merkwürdige Menschen, meine Leute," sagte er, „nicht wahr? Ein ganzes Nest von Jntriguen."
„Wie meinen Sie das?"
Paul lachte.
„Sie werden mir doch nicht sagen wollen, daß Sie nichts davon merkten? Sie sind viel zu klug, um die verschiedenen Fäden, die man um meine gnte Tante spannt, nicht zu sehen.
(Fortsetzung folgt.)
II. 2.
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