Die deutsche und die französische Sprache.
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aus dem Katalog einer Modewaarenhandlung zu übersetzen. Entweder giebt man es auf, oder man macht sich mit seinen Verdeutschungen lächerlich. Sonderbar ist es auch, daß die Musik, eine echt deutsche Kunst, der Fremdwörter nicht entbehren kann. Con- cert mit Zusammenklang und Pianosorte mit Leisestark zu übersetzen, dürste doch nur dem Kladderadatsch gestattet sein.
Als ein großer Vorzug des Deutschen ist endlich die Möglichkeit anzusehen, jeden Infinitiv in ein Substantiv zu verwandeln. Der Franzose sagt zwar ls niauKar, ls boiro, nicht aber ls trouvor, das Finden, Io xurtir, das Abreisen, l'arrivar, das Ankommen. Er behilft sich mit echten Hauptwörtern, die aber auch im Deutschen nebenbei vorhanden sind.
Nachdem wir auf die Lichtseiten des Deutschen einen Blick geworfen, wollen wir den Schattenseiten unserer Sprache, und zwar wiederum an der Hand des Französischen und Englischen eine kurze Betrachtung widmen.
Wir meinten oben, die deutsche Sprache mache den Eindruck des Unfertigen, sobald man das herrliche Material, aus dem sie besteht, zu biegen und aneinanderzureihen versteht. Es gilt, dies jetzt zu erhärten.
Sehen wir uns zunächst die zwitterhafte Deklination und Conjugation an. Die Ursprachen kennen den Artikel und das persönliche Fürwort beim Zeitwort nicht, oder hängen vielmehr Letzteres dem Zeitwort in einer mehr oder weniger erkennbaren Form an. Der Lateiner sagt monsa, uaonsuni, und nicht lila naonsa, illaw. N16N8UIN; er sagt aino, kMUUIUS und nicht 6 KO UNIO, NOS ÄN1NN1NS. Der Deutsche dagegen und der Franzose noch zum Theil biegt nicht blos seine Haupt- und Zeitwörter, sondern stellt ihnen noch einen Artikel oder ein Fürwort vor. Eins von Beiden ist aber überflüssig. Glücklicherweise kommt indessen das deutsche Volk allmählich zum Bewußtsein dieser Verkehrtheit. Die Declination der weiblichen Substantive ist halb ab- geschasft, und es herrscht bereits in der Biegung der männlichen und sächlichen Hauptwörter eine Anarchie, die zu der Hoffnung berechtigt, die deutsche Sprache werde gleich der englischen das Uebergangs-
verwälschten Speisekarte ist eine der vornehmsten und ersten Aufgaben des Deutschen Sprachvereins geworden, welcher im Vorjahre, inmitten der Doppeljubelfeier des hundertjährigen Geburtstages von Jacob und Wilhelm Grimm, also unter glückverheißendem Gestirn, zuerst in Dresden greifbare Form angenommen hat. Was insonderheit die Verdeutschung der Speisekarte anlangt, so laden wir den Herrn Verfasser in die Dresdener „Drei Rabenschänke" ein, woselbst es sich nach rein deutscher Speisekarte (selbst Stephan's „Salse" fehlt nicht), vortrefflich speist.
stadium zwischen der vollen Declination des Gothi- schen und Lateinischen und der Ersetzung der Beugungsfälle durch den Artikel und die Präposition in nicht allzu ferner Zeit überwinden. Heißt es »dem König« oder »dem Könige«, »des Thales« oder »des Thals«, »dem Fische« oder »dem Fisch«? Das weiß eigentlich Niemand, und Jeder schreibt diese Wörter nach seinem Gutdünken, wohl ein Beweis, daß die Biegung nicht mehr als ein Bedürfnis; empfunden wird. Wir freuen uns deshalb, offen gestanden, wenn wir hören, wie die Leute aus dem Volke in Nordostdeutschland »mir« und »mich« verwechseln, »mit die, auf die, von den« sagen, damit gegen die aufgedrungene hochdeutsche Sprache prote- stiren und unbewußt eine Lanze für das hierin viel vorgeschrittenere Plattdeutsche einlegen, welches die Deklination kaum noch kennt, und den weiblichen und männlichen Artikel zusammengeworfen hat. Vielleicht überwindet es noch den sächlichen Artikel und nähert sich damit dem Ideal der modernen Sprache, dem Englischen, welches die überflüssige Unterscheidung zwischen männlichen, weiblichen und sächlichen Hauptwörtern eigentlich kaum noch kennt. Sobald es heißen würde: Der Mann, die Weib, das Tisch, lassen wir uns die Unterscheidung gefallen. Das Weib, das Mädchen, der Tisch sind aber widersinnig.
Mit der Abschaffung der Conjugationsendungen hat es dagegen anscheinend noch gute Weile, und wir werden uns, gleich den Franzosen und im Gegensätze zu den Engländern, noch lange mit den überflüssigen Endsylben plagen müssen.
Gegen diese Endsylben würden wir, offen gestanden, gern einige der deutschen Sprache fehlende Verbalformen eintauschen, deren Mangel der feinen Nuanciruug des Styls Abbruch thut. Wir meinen zunächst die so feinen Unterschiede, die sich bei den alten Sprachen, wie beim Französischen und den romanischen Schwestersprachen, aus dem Vorhandensein des Imperfektums und Perfectums (Lasso äollni) ergeben. Wer unter unfern Lesern für dergleichen Studien Sinn hat, möge von diesem Gesichtspunkte aus namentlich die Schriftsteller der französischen naturalistischen Schule studiren. Er wird über die durch die zum Theil neue Anwendung dieser Zeitwortformen ermöglichte zarte Nüanci- rung in Staunen gerathen und bedauern müssen, daß dieselbe bei einer Verdeutschung gänzlich verloren geht.
Nicht minder vermissen wir in der deutschen, wie überhaupt in den germanischen Sprachen, die feinen Nüancen, die davon herrühren, daß gewisse Zeitwörter stets oder in gewissen Fällen den Con- junctiv regieren. Zwar besitzen wir die indirekte Redeweise mit dem Conjunctiv. Die Anwendung derselben steht jedoch mit dem regierenden Zeitwort