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Theodor Fontane.
Besuche gehabten Eindrücke. Was ihn einzig und allein störte, war das, daß er sie nie allein fand. Mitte September traf Cocile's jüngere Schwester auf Besuch ein und wurde ihm als „meine Schwester Kathinka" vorgestellt. Bei diesem Vornamen blieb es. Sie war um mehrere Jahre jünger und ebenfalls fehr schön, aber ganz oberflächlich und augenscheinlich Verhältnisse statt Huldigungen erwartend. Cocile wußte davon und schien erleichtert, als die Schwester wieder abreiste. Der Besuch hatte nur wenig über eine Woche gedauert und war Niemandem zu rechter Befriedigung gewesen. Auch Gordon nicht. Desto größere Freude hatte dieser, als er eines Tages Rosa traf und von ihr erfuhr, daß sie verhältnißmäßig häufig im St. Ar- naud'schen Hause vorspreche, weshalb es eigentlich verwunderlich sei, sich bis dahin noch nicht getroffen zu haben. Das müsse sich aber ändern, womit Niemand einverstandener war als Gordon selbst. Und zu dieser Aeuderung kam es denn auch; man sah sich öfter und erschien dann noch der in der benachbarten Linkstraße wohnende Hofprediger, so steigerte sich der von Roscüs Anwesenheit beinahe unzertrennliche Frohsinn und vom Harz und seinen Umgebungen schwärmend, erging man sich in Erinnerungen an Roßtrappe, Hotel Zehnpfund und Altenbrak. Der Oberst war selten da, so selten, daß Gordon sich entwöhnte, nach ihm zu fragen. „Er ist im Club/' hieß es einmal über das andre. Der Club aber, um den sicl/s handelte, war kein militairischer, sondern ein Haute-Finanze-Club, in dem Billard, Skat und L'hombre mit beinah wissenschaftlichen! Ernst gespielt wurde. Nur die Points hatten eine ganz unwissenschaftliche Hohe.
Neben Rosa war es der Hofprediger, der, wenn man gemeinschaftlich heimging, über diese kleineren oder größeren Jncorrectheiten Aufklärung gab, meistens vorsichtig und zurückhaltend, aber doch immer noch deutlich genug, um Gordon einsehen zu lassen, daß er es mit seinem in seinem Briefe an die Schwester im halben Uebermuthe gebrauchten „Jeu-Oberst" richtiger, als er selbst vermuthet, getroffen habe. Therlnahme mit Cocile war, wenn er derlei Dinge hörte, jedesmal sein erstes und ganz aufrichtiges Gefühl, aber eine nur zu begreifliche Selbstsucht sorgte dafür, daß dies Gefühl nicht andauerte. St. Arnaud war nicht da, das gab doch schließlich den Ausschlag und weder seine Blicke noch seine spöttischen Bemerkungen konnten das Glück ihres Beisammenseins stören.
Ja, diese September-Tage waren voll der heitersten Anregungen und Briefchen in Vers und Prosa, die von Seiten Gordon's beinah jeden Morgen an Cocile gerichtet wurden, sells um sie zu begrüßen oder ihr etwas Schmeichelhaftes zu sagen, steigerten begreiflicherweise das Glück dieser Tage. St. Arnaud seiner
seits gewohnte sich daran, diese Billets doux auf dem Frühstückstische liegen zu sehn und leistete sehr bald darauf Verzicht, von solcher „Moudscheinpoesie" weitere Notrz zu nehmen. Er lachte nur und bewunderte „wozu der Mensch alles Zeit habe". Cö- cile selbst, voll Mißtrauen in ihre Rechtschreibung, antwortete nur selten, wobei sie sich zurückhaltender und ängstlicher als nothig zeigte, da Gordon bereits weit genug gediehen war, um in einer mangelhaften Orthographie, wenn solche sich wirklich offenbart hätte, nur den Beweis immer neuer Tugenden und Vorzüge zu finden.
Zwanzigstes Kapitel.
So waren vier Wochen vergangen, als Gordon, an einem der letzten Septembertage, ein Karte folgenden Inhalts erhielt: „Oberst v. St. Arnaud und Frau geben sich die Ehre Herrn v. Leslie-Gordon zum 4. October zu einem Mittag-Essen einzuladen. 5 Uhr. Im Ueberrock. U. A. w. g."
Gordon nahm an und war nicht ohne Neugier, bei dieser Gelegenheit den St. Arnaud'schen Kreis näher kennen zu lerneu. Was er, außer dem Hofprediger, bis dahin gesehen hatte, war nichts Hervorragendes gewesen, ziemlich sonderbare Leute, die sich allenfalls durch Namen und gesellschaftlich sichere Haltung aber wenig durch Klugheit und fast noch weniger durch Liebenswürdigkeit ausgezeichnet hatten. Beinah alle waren Frondeurs, Träger einer Opposition guauä moros, die sich gegen Armee und Ministerium und gelegentlich auch gegen das Hohen- zollernthum selbst richtete. St. Arnaud duldete diesen Ton, ohne persönlich mit einzustimmen, aber daß er ihn überhaupt zuließ, war für Gordon ein Beweis mehr, daß es keine Durchschnitts-Duellasfaire gewesen sein konnte, was den Obersten verantaßt oder vielleicht auch gezwungen hatte, den Dienst zu quittiren. Etwas Besondres mußte hinzu gekommen sein.
Und nun war der 4. October da.
Gordon, so pünktlich er erschien, fand alle Geladenen, unter denen der Hofprediger leider fehlte, schon vor und wurde, nachdem er Coeile begrüßt und ein paar Worte an diese gerichtet hatte, dem ihm noch unbekannten größeren Bruchtheile der Gesellschaft vorgestellt. Der erste, dem Range nach, war General von Rossow, ein hochschultriger Herr mit dünnem Schnurr- und noch dünnerem Knebelbart, dazu braunem Teint und rothen vorstehenden Backenknochen; nach Rossow folgte: v. Kraczinski, Kriegsministerial-Oberst und polnisch-katholisch, Geheimrath Hedemeyer, hager, spitznasig und süffisant, Sanitätsrath Wandelstern, fanatischer Anti-Schwe- ninger, und Frau Baronin v. Snatterlöw. Gordon verneigte sich nach allen Seiten hin, bis er Rosccks