Heft 
(1.1.2019) 05
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Läcile.

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gewahr Zvurde, der er sich nunmehr rasch näherte. Wir sind hoffentlich Nachbarn .Geb' es Gott." Und nun trat er wieder an Cscile heran, um sich, wegen einiger ihm vorgeworfenen Unklarheiten in seinem gestrigen Morgenbillet, so gut es ging zu verantworten.

Ich habe die schlechte Gewohnheit," schloß er, in Andeutungen zu sprechen und aus Dinge hin­zuweisen, die von zehn kaum einer kennt, also auch nicht versteht."

Sie lachte.Wie gütig Sie sind über den eigentlichen Grund so leicht hinweg zu gehen und gegen sich selbst den Ankläger zu machen. Sie wissen am besten, daß ich nichts weiß. Und nun bin ich zu alt zum Lernen. Nicht wahr, viel zu alt?"

In diesem Augenblicke wurden die Flügelthüren geöffnet und Gordon brach ab, weil er sah, daß General v. Rossow auf Cseile zukam, um ihr den Arm zu bieten. Kracziuski, Hedemeyer, Wandel­stern und einige andere folgten mit und ohne Dame.

Die Plätze waren so gelegt, daß Gordon seinen Platz zwischen der Baronin und Rosa hatte.

Gerettet," flüsterte diese.

Gerichtet," antwortete er mit einem Seiten­blick auf die Baronin, eine hochbusige Dame von 49, mit Ringellöckchen und Adlernase, die sich, ärger­lich über das Geflüster zwischen Gordon und Rosa, mit Ostentation von Gordon ab und ihrem anderen Tischnachbar zuwandte. Sie nannte das »ihre Re­vanche nehmen«.

Die Revanche war aber nicht von Dauer und ehe noch das Tablett mit dem Tokayer herum ge­reicht wurde, setzte sie, wie das ihre Gewohnheit war, bereits höchst energisch ein und sagte mit einer an'S Männliche grenzenden Altstimme:Sie waren in Persien, Herr von Gordon. Alan spricht jetzt so viel von persischer Civilisation, namentlich seit den umfangreichen Uebersetzungen Baron Schack's (jetzt Graf Schack), eines Vetters meines verstorbenen Mannes. Ich kann mir aber nicht denken, daß diese Civilisation viel bedeute, da persische Minister hier im königlichen Schlosse, wenn auch freilich durch eulturelle Gebräuche dazu veranlaßt, eine ganze Reihe von Hämmeln höchst eigenhändig geschlachtet und die Schlachtmesser an den Gardinen abgewischt haben."

Ich halte dies für Uebertreibung, Frau Ba­ronin."

Sehr mit Unrecht, mein Herr v. Gordon. Ich hasse Uebertreibungen und was ich sage ist offiziell. Uebrigens mißverstehen Sie mich nicht. Ich gehöre nicht zu der Gruppe devotest ersterbender Leute, die königliche Schloßgardinen ein für allemal als ein Heiligthum an^ehen. Im Gegentheil, ich hasse miß­verstandene Loyalitäten. Ein freier Sinn ,ist das allein Dienliche, wie das allein Ziemliche. Servilis­

mus und niedrige Gesinnung sind in meinen Augen unwürdig und Hassenswerth. Ein für allemal. Aber Anstand und Sitte stehen mir hoch, und blutige Messer an hellblauen Atlasgardinen abwischen, gleich­viel ob dieses Horreur in königlichen Schlössern stattfindet oder nicht, ist ein Rohheitsakt, den ich beinahe unsittlich nennen möchte, jedenfalls unsitt­licher als manches, was dafür angesehen wird. Denn auf keinem Gebiete gehen die Meinungen so weit auseinander, als gerad auf diesem. Ich werde mich durch Sätze wie diese, keinen Verkennungen Ihrer­seits aussetzen, denn ich spreche zu einem Manne, der die Wandelbarkeit moralischer Anschauungen, wie sie Race, Bodenbeschaffenheit und Klima mit sich führen, in hundertfältiger Abstufung persönlich erfahren hat. Irr' ich hierin oder bin ich umge­kehrt Ihrer Zustimmung sicher?"

Vollkommen," sagte Gordon, nahm aber doch die Pause, die der eben bei der Baronin erscheinende Turbot ihm gönnte, wahr, um Rosa zuzuflüstern: Emaneipirtes Vollblut. Furchtbar."

An der andern Seite des Tisches wurden statt der Steinbutte Forellen präsentirt und Cscile, die sich aus einen Augenblick von ihrem zweiten Nach­bar, dem beständig ironisirenden Geheimrath frei zu machen wußte, sagte zu Gordon über den Tisch hin:Aber von den Forellen müssen Sie nehmen, Herr v. Gordon. Es sind ja halbe Reminiscenzen an Altenbrak. Denn von der Forelle bis zur Schmerle, so wenigstens versicherte uns der alte Emeritus, ist nur ein Schritt."

Rosa, der dieser Zuspruch mitgegolten hatte, nickte. General v. Rossow aber griff das Wort auf und bemerkte mit krähender Commandostimme: Nur ein Schritt, sagen Sie, meine gnädigste Frau. Nun gut. Aber, Parbon, es giebt große uud kleine Schritte, und dieser Schritt ist einfach ein Riesen­schritt. Ich war letztes Jahr in Harzburg, uner­hörte Preise, Staub und Wind, und natürlich auch Schmerlen. Ein erbärmlicher Genuß, der nur noch von seiner Unbequemlichkeit und Mühsal übertroffen wird. Es kommt gleich nach den Artischocken, ebenso langweilig und ebenso fruchtlos. Und um diesen fragwürdigen Genuß zu habe«, war ich bei 24 Grad Roaumur auf den Burgberg hinauf gestiegen."

Und ließen sich die Schmerlen im Freien ser- viren," lachte St. Arnaud.Im Freien und viel­leicht sogar an der großen Säule mit der berühmt gewordenen Inschrift: »Nach Canossa gehen wir nicht«. Aber wir gehen doch."

Und gehen auch noch weiter," fiel der Geheim­rath ein, der (schon unter Mühler »kalt gestellt«) den bald darauf ausbrechenden Culturkampf als Pam­phletist begleitet, seine Wiederanstellung jedoch, trotz andauernder Falk-Umschmeichlung, nicht durchgesetzt hatte.Ja, noch weiter." Und dabei hob er, um