Heft 
(1.1.2019) 05
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Theodor Jontaue.

sie zu putzen, seine goldene Brille, wie das seine Gewohnheit war, wenn er einen heftigen Ausfall plante. Die Götter waren aber dagegen, denn der linke Brillenhaken hatte sich in einem Löckchen seiner blonden Perrücke verfitzt und wollte nicht nachgeben. Unter glücklicheren und namentlich gesicherteren Toupse-Verhältnissen würd' er nun freilich, aller Widerhaarigkeit zum Trotz, mit jener Raschheit und »Energie« vorgegangen sein, die sieben Jahre laug sein Programm und den Inhalt seiner Pamphlete gebildet hatte, dieser Sicherheit aber entbehrend, sah er sich auch hier gezwungen den Verhältnissen Rechnung zu tragen und aus ein rücksichtsloses Vor­gehen zu verzichten, das ihn an seiner empfindlich­sten Stelle blosgestellt haben würde. Schließlich aber war das Häkchen aus dem Toupoe heraus und mit einer Ruhe, die den Mann von Welt zeigte, nahm er seinen Satz wieder auf und sagte:Ja, meine Herrschaften, und gehen auch noch weiter. Das heißt also bis nach Rom. Es sind dies die natürlichen Folgen der Prinzipienlosigkeit, oder was dasselbe sagen will einer Polittk von heut auf morgen, des Gesetzemachens uck lloo. Ich hasse das."

Die Baronin, die sich in dieser Wendung citirt glaubte, klatschte mit ihren zwei Zeigefingern Beifall.

Ich Hasse das," wiederholte der Geheimrath, während er sich gegen die Snatterlöw verbeugte, mehr noch, ich verachte das. Wir sind kein Volk, das seiner Natur und Geschichte nach, einen Dalai­lama ertragen kann und doch haben wir ihn. Wir haben einen Dalailama, dessen Schöpfungen um nicht zu sagen Hervorbringungen wir mit einer Art In­brunst anbeten. Rund heraus, wir schwelgen in einem unausgesetzten Götzen- und Opferdienst. Und was wir am willfährigsten opfern, das ist die freie Meinung, trotzdem keiner unter uns Aelteren ist, der nicht mit Herwegh für denFlügelschlag der freien Seele" geschwärmt hätte. Wie gut das ktingt! Aber haben wir diesen Flügelschlag? Haben wir diese freie Seele? Nein, und wieder nein. Wir sind weiter davon ab, denn je. Was wir haben, heißt Omnipotenz. Nicht die des Staates, die nicht nur hinzunehmen, die sogar das einzig Richtige wäre, nein, wir haben die Omnipotenz eines Ein­zelnen. Ich nenne keinen Namen. Aber so viel bleibt: Uebergriffe sind zu verzeichnen, Uebergriffe nach allen Seiten hin, und so viel Uebergriffe so viel Fehlgriffe. Freilich wer diesen Dingen, direkt und indirekt, durch Jahrzehnte hin nahe gestanden hat, der sah es kommen, dem blutete seit lange das Herz über ein System des Feilschens und kleiner Behandlung großer Fragen. Und womit begann es? Es begann, als man Arnims kluge Worte miß­achtend, einen Hochverräther aus ihm stempelu wollte, blos weil ein Brief und ein Rohrstuhl fehlte. Was aber fehlte, war kein Brief und kein Rohrstuhl,

sondern einfach ^ Unterwerfung. Arnim chatte den Muth feiner Meinung, das war alles, das war sein alleiniges Verbrechen. Aber wenn es erst dahin gekommen ist, daß jede freie Meinung im Lande Preußen Hochverrath bedeutet, so sind wer Alle Hoch­verräther, alle sammt und sonders. Ein Wunder, daß Falk mit einem blauen Auge davon gekommen ist, er, der Einzige, der den Blick für die Nothlage des Landes hatte, der Einzige, der retten konnte. Nach Canossa gehn wir nicht! O, nein, aber wir laufen, rennen, jagen dem Ziele zu und überliefern einer beliebigen und beständig wechselnden Tages­srage zu Liebe, die große Lebensfrage des Staats an unseren Todfeind. Die große Lebensfrage des Staats aber ist unsere protestantische Freiheit, die Freiheit der Geister!"

Die Baronin war hingerissen und steigerte sich bis zu Kußhandchen.Ihr Wohl, Herr Geheim­rath! Ihr Wohl, und die Freiheit der Geister!"

Einige der zunächst Sitzenden schlossen sich an, und sehr wahrscheinlich, daß sich ein allgemeiner Toast daraus entwickelt hätte, wenn nicht der alte General ziemlich unvermittelt dazwischen gefahren wäre. Der Beginn seiner Rede hatte freilich das Schicksal überhört zu werden, aber, mehr ärgerlich als verlegen darüber, nahm er schließlich seine ganze Stimmkraft zusammen und ruhte nicht eher, als bis er sich mit Gewalt Gehör verschafft hatte:Sie sprechen da von der Freiheit der Geister, mein lieber Hedemeyer. Nun ja, meinetwegen. Aber machen wir nicht mehr davon als es werth ist. Wir sind unter uns (ein Blick streifte Gordon), ich hoffe sagen zu können, wir sind unter uns, und so dürfen wir uns auch gestehen, die protestantische Freiheit der Geister ist eine Redensart."

Erlauben Sie . ." warf Hedemeyer dazwischen.

Ich bitte Sie, mich nicht unterbrechenzu wollen", fuhr der alte General mit überlegener Miene fort. Sie haben gesprochen, jetzt spreche ich. Ihr ver­flossener Falk, ich nenn' ihn Ihren Falk, hat es gut gemeint, darüber kann kem Zweifel sein. Aber liourguoi tank ckö brnik xonr uns omolokko . ."

Alles lachte, denn es traf sich, daß eine dicht mit Omelett-Schnitten garnirte Gemüseschüssel dem Ge­neral in eben diesem Augenblicke präsentirt wurde.

Sonst überaus empfindlich gegen derartige Zwi­schenfälle, nahm er diesmal die ziemlich lang an­dauernde Heiterkeit mit gutem Humor auf und wieder­holte, während er eine der Schnitten triumphirend in die Höh' hielt: »Lonr nna oElokto.. Ja, wie viele Menschen, mein lieber Hedemeyer, glauben Sie denn bei dieser sogenannten Canossa-Frage wirklich engagirt oder interessirt? Sehr viele sind es nicht. Dafür bürge ich Ihnen. Auf Ehre. Manches sieht mau doch auch, ohne gerade zum Cultus zu ge­hören oder, Pardon, gehört zu haben. Berlin hat