Heft 
(1.1.2019) 05
Seite
223
Einzelbild herunterladen

Läcile.

223

30 protestantische Kirchen und in jeder finden sich allsonntäglich ein paar hundert Menschen zusammen; ein paar mehr oder weniger, darauf kommt es nicht an. In der Melonen-Kirche habe ich einmal fünse gezählt und wenn es sehr kalt ist, sind es noch we­niger. Und das, mein lieber Hedemeyer, ist genau das, was ich die protestantische Freiheit der Geister nenne. Wir können in die Kirche gehen und nicht in die Kirche gehen, und jeder ans seine Fayon selig werden. Ja, meine Freunde, so war es immer im Lande Preußen und so"'wird es auch bleiben, trotz allem Canossa-Gerede. Das Interesse hält immer gleichen Schritt mit der Angst und Angst ist noch nicht da. Jedenfalls ist es keine Frage, daran die Welt hängt oder auch nur der Staat. Der hängt an was ganz anderem. »Die Welt ruht nicht sicherer auf den Schultern des Atlas, als der preußische Staat auf den Schultern seiner Armee . .« so 'lautete schon das Friedericianische Wort, und das ist die Frage, worauf es ankommt. Da, meine Herrschaften, liegt Tod und Leben. Der Unteroffizier, der Ge­freite, die haben eine Bedeutung, nicht der Küster nnd Schulmeister; der Stabsoffizier hat eine Bedeu­tung, nicht der Consistorialrath. Und nun sehen Sie sich um, wie mau anitzo verfährt, und unter welchen Mißgriffen nnd Schädigungen man zur Be­setzung maßgebendster Stellen schreitet. Also vom Generalmajor aufwärts. Alles was sich dabei »höherer Gesichtspunkt« nennt, ist Dummheit oder Verranntheit oder Willkür. Und in manchen Fällen auch einfach Klüngel nnd Clique."

Sie meinen . ."

Einfach das Cabinet. Ich habe keine Veran­lassung damit znrückzuhalten und aus meinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Ich meine das Ca­binet, das sich's zur Aufgabe zu stellen scheint, mit den Traditionen der Armee zu brechen. Wenn ich von Armee spreche, sprech' ich selbstverständlich von Friedericianischer Armee. Was uns heutzutage fehlt und was wir brauchen wie das liebe Brot, das sind alte Familien, alte Namen aus den Stammprovinzen. Aber nicht Fremde. ."

Kraczinski, der zwei Brüder in der russischen und einen dritten in der österreichischen Armee hatte, lächelte mit kriegsministerieller Ueberlegenheit vor sich hin, v. Rossow aber fuhr fort:Der Chef, trotz altem livländischen Adel, der hingehn mag, ist, von meinem Standpunkt aus, ein llomo uovus, der der unglückseligen Anschauung von der geistigen Be­deutung der Offiziere huldigt. Alles Unsinn. Wissen und Talent ruiniren blos, weil sie den Dünkel groß ziehen. Derlei Allotria sind gut für Professoren, Advokaten und Zungeudrescher, für alle die, die sich jetzt Parlamentarier nennen. Aus die Gesinnung kommt es an, auf das Gefühl der Zusammenge­hörigkeit mit dem Stammlande, das nur die haben,

die schon mit am Cremmer-Damm und bei Ketzer- Angermünde waren. Aber das wird übersehen, in mir ganz unbegreiflicher Weise. Denn die höhere Disciplin ist lediglich eine Frage der Loyalität. Und das wissen auch die Hohenzollern. Aber weil sie nicht gerne drein reden und bescheiden sind und immer glauben, die Herren vom grünen Tisch, und die Armee hat auch ihren grünen Tisch, die müßten es besser wissen, so lassen sie sich bereden und be- timpeln. Ein erbärmlicher Zustand. Und daß es nicht zu ändern ist, das ist das Schlimmste. Na­poleon konnte nicht alle Schlachten selber schlagen und die Hohenzollern können nicht allerpersönlichst in alle Winkel der Verwaltung hineingucken. Da liegt es, mein lieber Geheimrath. Canossa hin, Canossa her. Preßfreiheit, Redefreiheit, Gewissens­freiheit, alles Unsinn, alles Ballast, von dem wir eher zu viel, als zu wenig haben."

Cocile sah verlegen vor sich nieder. Sie kannte längst diese vom Aerger diktirte Beredsamkeit, die sie, bei früheren Gelegenheiten, immer nur als überflüssig, aber nicht als sonderlich ^störend em­pfunden hatte. Heute Peinigte sie's, weil sie sah, was in Gordon's Seele beim Anbören dieser Renom­mistereien vorgiug. Auch St. Arnaud empfand so, weshalb er es für rathsam hielt, sich der Situation zu bemächtigen und in geschickter Anknüpfung an die Rossow'schen Wortevon der Bedeutung alter Namen und Familien" auf die Gordon's überzu­gehen, die, seit dem 30 jährigen Kriege, jedenfalls aber seit dem Schiller'schen Wallenstein uns als unser eigenstes Eigenthum angehörten. Oberst Gor- don, Commandant von Eger, zählte zu den besten Figuren im ganzen Stück und er glaube sagen zu können, die Tugenden desselben fänden sich in dem neuen Freunde seines Hauses vereinigt. Er trmke deshalb aus das Wohl seines lieben Gastes, des Herrn von Gordon.

Gordon, der wohl wußte, daß rasches Erwiedern die beste jedenfalls aber die leichteste Form des Dankes sei, nahm unmittelbar nach diesem Toaste das Wort und bat, nachdem er in einer scherzhaft durchgeführten Antithese denObersten St. Arnaud des 4. October" demGeneral St. Arnaud des 2. December" gegenübergestellt und in Cäcile die Lichtgestalt, die den Unterschied zwischen Beiden be­dinge, gefeiert hatte, das Wohl der liebenswürdigen Wirthe proponireiO'zu dürfen.

Sein Trinkspruch war vorzüglich ausgenommen worden, am enthusiastischsten von der Baronin, die bei dieser Gelegenheit selbstverständlich nicht er­mangelte, von ihrer im vorigen Sommer in Rag- gatz stattgehabten Promenaden-Begegnung mit der Kaiserin Eugenie zu sprechen,einer Frau, die wenn sie', statt ihres Polisson von Gatten, das Heft in Händen gehabt hätte, Frankreich ganz anders regiert,