226
Theodor Fontane.
An letzterem Ort aber kam er früher an als wir (wir heißt Kramsta's und ich), was die Partenkirchner Post veranlaßte, Deinen Brief nach Liegnitz zurückzuschicken. Da hat er zwei Monate lang gelagert. Du siehst ich bin außer Schuld.
Eine Welt von Dingen habe ich, seitdem Du hier warst, erlebt: Die jünste Kramsta hat sich mit einem Offizier verlobt, Helene Rothkirch ist Hofdame bei der Prinzessin Alexandrine geworden und der alte Zedlitz hat sich wieder verheirathet. Und nun erst die jetzt zurückliegende Reise mit ihren hundert Bekanntschaften und Eindrücken! Aber ich werde mich hüten, Dir von Berchtesgaden und dem Watzmann eine lange Beschreibung zu machen, einmal weil Dir 8000 Fuß nicht viel bedeuten können und zweitens weit ich annehme, daß junge Cavaliere, die sich nach einer schönen Angebeteten erkundigen, lieber von dieser Angebeteten als vom Watzmann hören wollen."
Gordon lachte. „Ganz Clothilde. Und wie Recht sie hat."
„. . Also die St. Arnauds. Nun wir kennen sie hier recht gut, oder doch wenigstens die Vorgänge, die seinerzeit viel von sich reden machten. Es war nicht gerade das Beste, wobei Dich das Eine trösten mag, daß es, alles in allem, auch nicht das Schlimmste war.
„St. Arnaud war Oberstlieutenant in der Garde, brillanter Soldat und unverheirathet, was immer empfiehlt. Man versprach sich etwas von ihm. Es sind jetzt gerade vier Jahre, daß er in Oberschlesien Oberst und Regimentskommandeur wurde. Den Namen der Garnison hall ich vergessen; übrigens auch ohne jede Bedeutung für das was kommt. Er nahm Wohnung in dem Hause der verwittweten Frau von Zacha, richtiger Woronesch von Zacha, in deren bloßem Namen schon, wie Dir nicht entgehen wird, eine ganze slavische Welt harmonisch zusammenklingt. Frau v. Zacha war eine berühmte Schönheit gewesen; ihre Tochter Cocile war es noch. Jedenfalls fand es der Oberst und Verlobte sich mit ihr. Vielleicht auch, daß er sich in dem Nest, das ihm die Residenz ersetzen sollte, blos langweilte. Gleichviel. Drei Tage nach der Verlobung empfing er einen Brief, worin ihm Oberstlieutenant von Dzialinski, der älteste Stabsoffizier, Seitens des Offiziercorps und als Vertreter desselben die Mittheilung machte, daß diese Verlobung nicht Wohl angänglich sei. Daraus entstand eine Scene, die mit einem Duell endete. Dzialinski wurde durch die Brust geschossen und starb vor Ablauf von 24 Stunden. Das Kriegsgericht ver- urtheilte St. Arnaud zu neun Monaten Festung, wobei, neben seiner früheren Beliebtheit, auch die Thatsache mit in Rechnung gestellt wurde, daß er provocirt worden war. Provocirt, so gerechtfertigt
die Haltung Dzialinskis und des gesammten Offiziercorps gewesen sein mochte."
Gordon legte den Brief aus der Hand und wiederholte: „so gerechtfertigt diese Haltung gewesen sein mochte." Warum? Wodurch? Aber was frag ich? Clothilde wird mir die Antwort nicht schuldig bleiben."
Und er las weiter.
„Und hier ist nun die Stelle, mein lieber Robert, wo Herr von St. Arnaud zurück und Frau von St. Arnaud in den Vordergrund tritt. Was lag vor, daß das Offiziercorps gegen seinen eigenen Obersten Front machen mußte? Cscile war eine Dame von zweifelhaftem oder, um milder und rücksichtsvoller zu sprechen, von eigenartigem Ruf. Als sie kaum 17 war, sah sie der alte Fürst von Welfenechingen und ernannte sie bald danach, und zwar nach wenig schwierigen Verhandlungen mit Frau von Zacha, zur Vorleserin seiner Gemahlin, der Fürstin. Die Fürstin war an derartige „Ernennungen" gewöhnt, erhob also keinen Widerspruch. So kam Cecile nach Schloß Cyrillenort, lebte sich ein, begleitete das fürstliche Paar auf seinen Reisen, war mit demselben in der Schweiz und Italien, las am Theetisch vor (aber selten) und blieb im Schloß als die alte Fürstin gestorben war. Nicht sehr viel später schied auch der Fürst selbst aus dieser Zeitlichkeit und hinterließ dem schönen Thee-Fräulein ein oberschlesisches Gut, zugleich mit der Bestimmung, daß es ihr frei stehen solle, Schloß Cyrillenort noch ein Jahr lang zu bewohnen. Es lag dem schönen Fräulein aber fern, ans diesem ihr bewilligten „Wittwenjahr" irgendwelchen Nutzen ziehen oder sich überhaupt unbequem machen zu wollen und erst als Prinz Bernhard, der Neffe, zugleich Erbe des verstorbenen Fürsten, auch seinerseits den Wunsch äußerte, „daß sie Schloß Cyrillenort nicht verlassen möge," gab sie diesem Wunsche nach und blieb. Prinz Bernhard kam von Zeit zu Zeit zu Besuch, dann öfter und öfter, und als das „Trauerjahr" um war, zog er von Schloß Beauregard, das er bis dahin bewohnt hatte, nach dem Hauptsitz und Stammschloß der Familie hinüber. Sonst blieb alles beim Alten; nichts änderte sich, auch uicht in den Ausflügen und Reisen, die nur weiter gingen und bis Algier und Madeira hin ausgedehnt wurden. Denn wenn der alte Fürst alt gewesen war, so war der junge krank. Er starb schon das Jahr darauf und man erwartete nunmehr allgemein, daß die schöne Cöcile dem von ihr protegirten Kammerherrn von Schluckmann (der, nach Ableben des alten Fürsten, als Hofmarschall in die Dienste des jungen eingetreten war) die Hand zum Bunde, zum Ehebunde reichen würde. Dieser Schritt unterblieb aber, aus Gründen die nur ge- muthmaßt werden, und die schöne Frau kehrte jetzt,